05.02.2016 | Lorsch – eine Klostergeschichte

Kloster Lorsch

„Ein Märchenvogel aus einem versunkenen Land“

Vortrag von Manfred Dreiß beim Verein Alt-Rothenburg

Der Dichter Werner Bergengrün hat die berühmte „Torhalle“ von Lorsch poetisch und zugleich zutreffend charakterisiert. In Deutschland gibt es kaum eine Handvoll gut erhaltener Monumentalbauten aus der Karolingerzeit. Neben der Pfalzkapelle in Aachen zählt zu ihnen der auf wundersame Weise auf uns gekommene Bau aus Lorsch an der hessischen Bergstraße. Auf seinem „Gang durch die Klostergeschichte“ erklärte der Verleger Manfred Dreiß aus Insingen (Degener-Verlag, einer der führenden Fachverlage in den Bereichen Genealogie und Heraldik, früher Neustadt/Aisch) anschaulich und mit vielen Bildern die Geschichte des bis weit ins hohe Mittelalter höchst bedeutenden Großklosters. Von der alten Klosteranlage, wie sie auf Merians Stich aus dem frühen 17. Jahrhundert noch zu sehen ist, existiert heute neben der sogenannten Torhalle lediglich ein kleiner spätmittelalterlicher Rest der Klosterkirche.

Das Kloster wurde 764 von Mitgliedern der fränkischen Reichsaristokratie gegründet. In den ersten sechs Jahrzehnten seines Bestehens wurde es mit fast 3200 Schenkungen, also mehr als 50 jährlich, überaus reich ausgestattet. Kaiser Ludwig „der Deutsche“ bestimmte es als Grablege für seine Familie. Nach 815 sank der Schenkungseifer gewaltig, pro Jahr waren es im Durchschnitt nur noch zwei oder drei.

Zur Zeit Karls des Großen war das Kloster unter anderem bedeutsam wegen seiner Bibliothek und seiner Schreibwerkstatt. Zum Weltdokumentenerbe der UNESCO zählt des Lorscher Arzneibuch aus der Zeit um 800, das das damalige Wissen der Klostermedizin dokumentiert. Eminent wichtig für die Geschichtsschreibung ist der „Codex Laureshamensis“, ein Kopialbuch, das um 1170 angelegt wurde und sämtliche Urkunden, Schenkungen und Erwerbungen des Klosters seit seiner Gründung erfasst. Das Original liegt heute im Staatsarchiv Würzburg, ein Faksimile hat Manfred Dreiß in seinem Verlag 2002 herausgegeben.

Manfred Dreiß legte in seinem Vortrag einige neue Erkenntnisse und interessante Theorien der aktuellen Geschichtsforschung vor. Die Häufigkeit der Schenkungen an Lorsch vor und um 800 könnte damit zu erklären sein, dass Lorsch ein Treffpunkt oder Musterungsplatz des karolingischen Adels war, wo man sich traf. Dazu würde passen, dass man die Reliquien des römischen Märtyrers Nazarius, eines römischen Offiziers, nach Lorsch gebracht hatte. Man konnte ihn als einen „neuen St. Georg“, eine Identifikationsfigur für die Reiterkrieger betrachten. Diese Leute bildeten bereits eine Art „Berufsarmee“, die regelmäßig trainieren musste.Die berühmte „Torhalle“ war sicher nicht der alte Eingang zum Kloster, sondern vielleicht ein Triumphbogen oder ein Audienzsaal.

 

Zu den Nachkommen der Lorscher Klosterstifter zählt wahrscheinlich das fränkische Hochadelsgeschlecht der Popponen, die vor allem am mittleren und oberen Main begütert waren. Man kann annehmen, dass nachgeborene Söhne des Adels in die östlichen Grenzgebiete des Karolingerreiches „versetzt“ wurden, um dort die Herrschaft für den König zu sichern und zu organisieren.

Nach 300jähriger Blütezeit entwickelte sich das Kloster, das dem Mainzer Bischof unterstellt war, wirtschaftlich kaum weiter. Nachdem es an die Kurpfalz verpfändet worden war, wurde es 1564 im Zuge der Reformation aufgehoben und später bis auf die karolingische Torhalle und einen gotischen Rest der Kirche abgebrochen. Da das Klostergelände anschließend nicht überbaut wurde, bietet es heutigen Archäologen einzigartige Ausgrabungsmöglichkeiten. Es zählt seit 1991 zum Weltkulturerbe und ist unbedingt einen Besuch wert.

 

Der Blick in die Veranstaltung