01.07.2006 | 725 Jahre Heilig-Geist Kirche

725 Jahre Heilig-Geist

Ein historisches Ensemble in Rothenburg
Karl Borchardt (Stadtarchiv Rothenburg)

Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung, 1. Juli 2006
im Schäfersaal des Neuen Spitals

Zu jeder alten Stadt gehören Spitäler. Rothenburg hatte ein großes Spital mit zahlreichen Nebengebäuden. Der Blick vom Turm des Spitaltores oder vom Stöberleinstrum zeigt die Spitalkirche, der Spitalhauptbau sowie verschiedene Wohn- und Wirtschaftsbauten. Als seit dem 11. Jahrhundert in Europa nördlich der Alpen sich Städte entwickelten, zählte das Spital nächst dem Markt, dem Gericht, der Pfarrkirche und der Befestigung als fünftes Element zur Grundausstattung. Wie das Neue Spital in Rothenburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts aussah, läßt der 1812 von dem Feldmesser Matthäus Kohler gezeichnete Plan erkennen. Solche Spitäler hatten vielfältige karitative Funktionen für die Einwohner und die Besucher der Stadt. Sie dienten nicht in erster Linie Kranken. Vielmehr wurden Reisende und Pilger aufgenommen, kostengünstig beherbergt und verpflegt. Alte und Gebrechliche durften im Spital ihren Lebensabend verbringen, wenn sie eine Spitalpfründe kauften oder aus christlicher Nächstenliebe zugewiesen bekamen. Arme erhielten vom Spital eine warme Mahlzeit.

Alle diese Aufgaben hatten im früheren Mittelalter Spitäler bei Bischofs-, Stifts- und Klosterkirchen wahrgenommen. Daher galten Spitäler, die in Städten entstanden, weiterhin als kirchliche Einrichtungen. Sachlich war dies berechtigt, weil die seelsorgerliche Betreuung durch Priester die höchste Pflicht der Spitäler blieb und die Versorgung, die man Reisenden, Bedürftigen und Kranken angedeihen ließ, mit christlicher Karitas religiös motiviert war. Ein Kaplan gehörte unabdingbar zu jedem Spital. Meist traten noch weitere Priester hinzu, die an Altären in der Spitalkirche Messen hielten. Die Reformation änderte daran wenig, nur daß fortan evangelische Geistliche im Spital amtierten.

Vor diesem allgemeinen Hintergrund ist die Spitalgeschichte von Rothenburg ob der Tauber zu sehen. In Rothenburg wurde 1281 bereits ein zweites, ein Neues Spital gebaut. Die Stadtentwicklung hatte in Rothenburg in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eingesetzt, und spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts, belegt 1227, gab es ein Spital der Johanniter bei St. Johannis, damals am südlichen Rand der Stadt an dem Tor nach Gebsattel. Der geistliche Ritterorden der Johanniter betrieb in Jerusalem das Spital des hl. Johannes bei der Grabeskirche.

Den Johannitern übertrug man darum gerne auch Spitäler in Europa, so zwischen 1182 und 1192 in Reichardsroth, 10 km nördlich von Rothenburg an einer wichtigen, aus Norddeutschland nach Rom führenden Pilgerstraße. Doch die Johanniter scheuten die hohen Kosten für den Spitalbetrieb, der den Orden von seiner Hauptaufgabe ablenkte, der Unterstützung des Heiligen Landes. Außerdem wuchs die Stadt Rothenburg seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Befestigungen wurden erweitert. Dadurch lag St. Johannis nicht mehr am Rand der Stadt, wo Reisende und Pilger das Spital abends nach Schließung der Tore bequem aufsuchen konnten. Aus sicherheitspolizeilichen wie hygienischen Gründen wurde für Spitäler eine isolierte Randlage zur Stadt bevorzugt. Daher entschloß man sich in Rothenburg zum Bau eines Neuen Spitals südlich vor den Toren an der Straße nach Gebsattel.

Finanziert wurde das Projekt durch Ablässe, deren erster 1281 überliefert ist. Mindestens 13 weitere Ablässe folgten bis zum Jahre 1301, und 1308 konnte die Spitalkirche geweiht werden. Spenden von Bürgern und Einwohnern der Stadt sowie von Ritteradeligen und Bauern des Umlandes ermöglichten die Errichtung des Neuen Spitals. Organisiert wurde der Spitalbetrieb durch eine Bruderschaft, die sich an dem Spitalorden vom Heiligen Geist orientierte, dessen Hauptsitz in Rom das Spital Santo Spirito in Sassia beim Vatikan war. Allerdings schloß sich die Bruderschaft in Rothenburg nicht formell diesem Spitalorden an, sondern übernahm nur das Patrozinium Heilig-Geist für ihre Kirche. Geleitet wurde die Bruderschaft durch einen Spitalmeister und eine Spitalmeisterin.

Ob neben einzelnen, in einem Buch festgehaltenen Spendern besondere Stifter auftraten, die sich und ihren Nachkommen Herrschaftsrechte über das Neue Spital vorbehielten, ist unklar. Die Grafen von Flügelau wären hier zu nennen, deren letzter, Graf Otto, 1317 in der Spitalkirche beigesetzt wurde; seine Grabplatte ist erhalten. Doch Ottos Erben führten eine blutige Fehde gegen die Stadt, und die Jahrtagsliste des Neuen Spitals nennt keine Grafen von Flügelau mehr. Stattdessen werden die Herren von Weiltingen als Stifter des Neuen Spitals bezeichnet, eine Seitenlinie der Reichsküchenmeister von Nordenberg. Lupold II. von Weiltingen war während des Baus des Neuen Spitals 1285-91 königlicher Schultheiß in Rothenburg. Sein Vater Lupold I. soll nach einem verschollenen Grabstein, der ihn als Gründer der Spitalkirche bezeichnete, 1291 gestorben sein. Mitte des 14. Jahrhunderts sicherte sich dann der städtische Rat die Kontrolle des durch fromme Zuwendungen reich und einflußreich gewordenen Neuen Spitals. Fortan wurde der Spitalmeister vom Rat ernannt; die Spitalmeisterin als eigenes Amt entfiel. Der Betrieb wurde fortan durch zwei Spitalpfleger kontrolliert, die der Rat jedes Jahr aus dem Kreis der Ratsherrn wählte. Seither darf man von einem bürgerschaftlichen Heilig-Geist-Spital in Rothenburg reden.

Unter städtischer Verwaltung blieb das Neue Spital dennoch eine eigenständige juristische Person, die selbst Urkunden ausstellte und mit einem eigenen Siegel bekräftigte. Eine Pergamenturkunde vom Jahre 1380 wurde ausgestellt durch den Spitalmeister Seybot und die sammnunge gemeinlich in dem Newen Spital zw Rotenburg, und besiegelt erstens durch das Neue Spital selbst, zweitens durch die burger dez ratz und der stat ze Rotenburk als vormünd und phleger dezselben spitals. Das Stadtsiegel hinten zeigt die Burg, das Spitalsiegel vorn eine Verkündigung Mariens. Die Engel hält außer dem Lilienszepter ein Spruchband mit der Aufschrift AVE GR(ACI)A PLENA. Gegrüßet seist du, voll der Gnaden. Die Umschrift lautet: S(IGILLVM) HOSPITALIS S(AN)C(T)I SP(IRITV)S ET S(AN)C(T)E MARIE DE ROTENBVRG Siegel des Hospitals des Heiligen Geistes und der heiligen Maria von Rothenburg. Maria war nach dem Heiligen Geist Mitpatronin.

In kirchlicher Hinsicht wurde das Neue Spital im 14. Jahrhundert zur zweiten Stadtpfarrei ausgebaut. Der Rat war daran zweifellos interessiert, weil er auf das dem Deutschorden gehörende St. Jakob nicht leicht zugreifen konnte. Zunächst erhielt die Spitalkirche 1305 einen eigenen Kaplan, dem der zuständige Pfarrer von Gebsattel gegen Entschädigung 1327 einen eigenen Seelsorgsprengel zuwies. Die Grenze zwischen den Sprengeln von Heilig-Geist und St. Jakob, wie sie bis heute besteht, entspricht der Grenze zwischen den Pfarreien Detwang und Gebsattel aus dem 10. Jahrhundert (!).

An den Altären der Spitalkirche wurden bis 1378 insgesamt vier Meßpfünden für Priester gestiftet. Das Ernennungsrecht für den Spitalkaplan sowie für die vier Altaristen sicherte sich am Ende der Rat der Reichsstadt. Der Pfarrer von St. Jakob dagegen wurde wie bisher vom Deutschen Orden ernannt. In der Reformationszeit sah es zeitweise so aus, als könne der Deutsche Orden sich in St. Jakob behaupten, gestützt auf den über die Protestanten im Schmalkaldischen Krieg siegreichen Kaiser Karl V. Die Spitalpfarrei wurde damals zur Zuflucht für die Evangelischen in Rothenburg. Die Zahl der dort tätigen Geistlichen wurde kräftig aufgestockt. Unter anderem amtierte 1548-53 als Spitaldiakon Primus Truber, der vor den Habsburgern ins rothenburgische Exil geflüchtete Reformator Sloweniens; eines seiner in slowenischer Sprache und glagolitischer Schrift gedruckten Bücher ist ausgestellt. Doch der Augsburger Religionsfriede bewog den Deutschen Orden vertraglich 1556 zum Verzicht auf die Pfarrei St. Jakob. Heilig-Geist mußte sich mit der Rolle der kleineren, zweiten Stadtpfarrei begnügen, was den Spitalkaplan und die Spitaldiakone immer wieder zu Profilierungsstreben anstachelte. Die strukturelle Rivalität gegenüber St. Jakob wirkte übrigens bis ins 20. Jahrhundert und mag mit erklären, warum ausgerechnet die Spitalpfarrei in der NS-Zeit und in der 68er-Bewegung dem Zeitgeist besonders eifrig huldigte.

Nach der Reformation baute man das Neue Spital in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts systematisch zur führenden karitativen Anstalt in Rothenburg aus. Der Rat wies dem Spital Einkünfte abgeschaffter Meßpriester aus Kirchen der Stadt und des Umlandes sowie viele Zehnten zu. Mit diesen Mitteln wurden neue Gebäude errichtet, darunter der Spitalhauptbau 1574/78 und die Spitalküche mit der Bereiterwohnung 1591. Neue Ordnungen für die rund 40 Pfründner und die spitälische Landwirtschaft wurden erlassen. Andererseits nutzte der Rat den mit Abstand größten Wirtschaftsbetrieb in der Stadt, um wiederholt Anleihen aufzunehmen, besonders im Dreißigjährigen Krieg, sowie um sich den Bau eigener Pferdestallungen und Wagenremisen für seine Staatskutschen zu sparen. Um den Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Franzoseneinfall 1688 im Pfälzischen Erbfolgekrieg machte sich der 1689-99 amtierende Spitalmeister David Josaphat Schäfer verdient, wie Bauinschriften von 1691 am Schulhaus und 1699 an der großen Getreidescheune bezeugen.

Einen tiefgreifenderen Einschnitt als die Reformation bedeutete für das Neue Spital die Mediatisierung der Reichsstadt Rothenburg 1802/03. Die bayerische Verwaltung zog die städtischen Stiftungen mit dem Neuen Spital an der Spitze 1808 zur Schuldentilgung heran. Das Neue Spital wurde einer staatlichen Stiftungsadministration unterstellt und erst nach langem Streit 1829 der Kommune Rothenburg zurückgegeben, die allerdings im Gegenzug Bedürftigen aus den jetzt administrativ-politisch selbständigen Landgemeinden vertraglich Unterstützung aus der Spitalstiftung zusichern mußte. Inzwischen hatte der Staat 1808 im Neuen Spital ein kleines Krankenhaus eingerichtet, das die Kommune Rothenburg fortführte und ausbaute. Wirtschaftlich war das nicht einfach, denn die spitälische Grundherrschaft mit ihren Gülten, Zinsen und Zehnten wurde durch die allgemeine Agrargesetzgebung bis 1848 aufgelöst.

Mit den Landgemeinden mußte sich Rothenburg wegen deren Beteiligung an dem Neuen Spital noch im 20. Jahrhundert auseinandersetzen. Die Baulast für Dorfkirchen, die Besoldung für Pfarrer und Dorflehrer mußte neu geregelt werden. Das Neue Spital diente als städtisches Krankenhaus, bis 1948/49 wurde vor den Toren der Stadt ein Krankenhausneubau errichtet wurde. Inzwischen untersteht dieses Krankenhaus übrigens nicht mehr der Trägerschaft der städtischen Hospitalstiftung. Gebäude, die zum Neuen Spital gehörten, wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neuen Nutzungen zugeführt als Alters- und Pflegeheim, als Bürgerheim oder als Reichsstadthalle.

Das historische Ensemble Heilig-Geist und Neues Spital am südlichen Stadtrand unterlag, so läßt sich zusammenfassen, viermal einem einschneidenden Funktionswandel: im 14. Jahrhundert, als der Rat die Leitung in die Hand nahm und 1376/78 den Komplex in die Stadtmauer einbezog, im 16. Jahrhundert, als die Reformation unter anderem eine zeitgemäße Neuorganisation der Karitas anstieß, im 19. Jahrhundert durch die Auflösung der Grundherrschaft und den Ausbau als Krankenhaus, und schließlich im 20. Jahrhundert, wo einerseits touristische, andererseits trotz Aufgabe des Krankenhauses weiter karitative Zwecke im Vordergrund standen. Welche Folgen der viermalige Funktionswandel für die Gebäude hatte, wurde bisher nicht systematisch untersucht. Das verwundert, denn die Voraussetzungen für solche Untersuchungen sind günstig. Heilig-Geist und das Neue Spital haben den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden, anders als andere Teile Rothenburgs, so daß Baubefundungen vielversprechend erscheinen.

Außerdem ist die Geschichte des Neuen Spitals hervorragend dokumentiert. Ein erheblicher Teil der Urkunden und Akten des Stadtarchivs stammt vom Neuen Spital. Spitalrechnungen sind summarisch seit dem Rechnungsjahr 1426/27, ausführlich seit dem Rechnungsjahr 1489/90 überliefert, wenn auch mit kleinen Lücken. Die Schriftquellen erlauben ausgezeichnete Einblicke zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Rothenburgs, wie Ludwig Schnurrer hinsichtlich der Schafzucht oder des Weinbaus gezeigt hat, aber selbstverständlich auch zur Baugeschichte des Neuen Spitals.

Dessen allgemeine Entwicklung wurde durch eine juristische Dissertation von Heinrich Hauck und, für das Mittelalter, durch meine eigene Dissertation aufgearbeitet. Ein wissenschaftliche Darstellung der Baugeschichte in Zusammenarbeit von Historikern und Bauforschern wäre wünschenswert. Daß man dies in den letzten Jahrzehnten versäumt hat, während gleichzeitig drastische Eingriffe in die alten Substanz wie der Abriß des Marstalls erfolgten, steht einer Stadt, die „Weltkulturerbe“ sein will, nicht gut an. Übrigens können Sie in der Ausstellung einen Plan von 1858 sehen, der noch viel drastischere Eingriffe vorsah, um Kavallerie im Neuen Spital unterzubringen. Eine Kaserne sollte damals Rothenburg wirtschaftlich aufhelfen. Daraus wurde nichts, und im gleichen Jahr 1858 schuf Spitzweg mit seinen Skizzen, unter anderem von dem Bereiterhäuschen, Voraussetzungen für den Aufschwung des Fremdenverkehrs, für den das Spitalensemble zweifellos eine Attraktion darstellt.

Der Plan des Matthäus Kohler von 1812 zeigt: A) Nr. 1 den dreistöckigen Spitalhauptbau mit vier Dachgeschossen, errichtet 1574/78, Nr. 2 die 1308 geweihte Spitalkirche, Nr. 3 die Pfarrerwohnung, Nr. 4 die Vordere und Hintere Pfründe, eine zweischiffige, große Halle aus dem Spätmittelalter, in der die Pfründner untergebracht waren und die 1823 abgerissen wurde. Nicht eigens aufgeführt wird auf dem Plan der von Ulrich Morder Anfang des 14. Jahrhunderts gestiftete Brunnen. Westlich vor der Spitalkirche ist übrigens eine der wenigen Stellen, wo sich alte Pflastersteine in Rothenburg erhalten haben.

B) Nr. 5 das Waschhaus, früher wohl die Kelter, laut Inschrift 1661 erneuert, Nr. 6 das Brauhaus, früher wohl die Bäckerei, nach Brand 1619 zusammen mit der Kelter erneuert, wie Bauinschriften 1624 und 1629 oder 1630 [verrestauriert 1633 oder 1634] zeigen. Im Kern sind Nr. 5 wie Nr. 6 älter. Sie wurden 1949 Herberge des Kreisjugendrings, 1984 Jugendherberge. Nr. 7 die Hofpfründe, urkundlich 1399 als Reihenhaus mit vier Wohnungen für die vier Spitalaltaristen erbaut, fälschlich als „Pesthaus“ bekannt, übrigens mit einem Dendrodatum von 1464, das sich aber nur auf eine Renovierung beziehen kann.

C) Nr. 8 Haus des Spitalbereiters, 1591 erbaut, seit dem 19. Jahrhundert fälschlich als „Hegereiterhaus“ bekannt, Nr. 9 die Weth nebst Brunnen, Nr. 10 Schlachthaus. Nr. 11 Hengststall, Nr. 12 Wagenschuppen, nicht mehr vorhanden, Nr. 13 große Getreidescheune, laut Inschrift 1699 durch den Spitalmeister David Josaphat Schäfer erneuert, seit 1975 Reichsstadthalle, Nr. 14 Ochsenbau, erbaut 1542, nach Brand 1922 erneuert, jetzt Bürgerheim, Nr. 15 Schweizerei und Nr. 15b Neue Pfründe, möglicherweise erbaut 1496 und erweitert 1569, im 19. Jahrhundert Arbeitshaus, dann Pfründe, jetzt Alten- und Pflegeheim, Nr. 16 der erst vor wenigen Jahren abgerissene Marstall (zuletzt Hummelamt, zur Deckung des Hausviehs), der nach August Merz, 1881, durch seine architektonische Ausstattung, zwei hölzerne Kreuzgewölbe, die auf schlanken dorischen Säulchen ruhten, besonderes Interesse verdiente. Erwähnt sei der sogenannte Stöberleinsturm, ursprünglich als Stadttor an der Steige hinab zur Tauber konzipiert, aber schon im 15. Jahrhundert nicht mehr unter den Toren aufgeführt, was auf einen stadtplanerischen Konzeptionswechsel hinweist.

Der Spitalhauptbau 1574/78 zählt, wie jüngst Karl-Heinz Schneider belegt hat, zu einer umfassenden Neuplanung nach Augsburger Vorbild entlang einer Längsachse vom Spitaltor bis zum Judenkirchhof, in die als weitere Akzente das Rathaus, das Gymnasium, die Schranne und verschiedene Brunnen gehören. Im Spitalbereich hatte man 1560 ein Blatternhaus (Spitalgasse 34, später Armenhaus) und südlich davon 1561 ein deutsches Schulhaus begonnen (Spitalgasse 36). Der Elementarunterricht fand sonst in den Privatwohnungen der Schulmeister oder in angemieteten Räumen statt. Bis zu den bayerischen Schulreformen Anfang des 19. Jahrhunderts war in Rothenburg allein das deutsche Schulhaus beim Spital speziell dem Elementarunterricht gewidmet.

Der wiederholte Funktionswandel im Verlaufe von mehr als sieben Jahrhunderten hat das historische Ensemble Heilig-Geist und Neues Spital immer wieder verändert. Historiker und Bauforscher mögen früheren Veränderungen genauer nachspüren. Veränderungen wird es jedoch auch in Zukunft geben. Bei allen künftigen Maßnahmen sollte man erst denken, reden und dokumentieren, bevor man handelt und historische Substanz, die immerhin den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs überstanden hat, unwiederbringlich zerstört. Wenn in solchen Fällen keine fachgerechte Dokumentation publiziert wird, dürfte Rothenburg Schwierigkeiten haben, als „Weltkulturerbe“ anerkannt zu werden. Der Kappenzipfel mit dem Spitalbereich gehört wie das Klingenviertel zu jenen Teilen der Altstadt, die, 1945 verschont, noch man meisten Originalsubstanz bieten. Der von Pfarrer Ulrich Winkler und Lothar Schmidt konzipierten Ausstellung ist deshalb zu wünschen, daß sie in den Debatten und Überlegungen zur Stadtentwicklung Beachtung findet.

Prof. Dr. Karl Borchardt