05.04.2004 | Wohnwert der Altstadt verbessern
Wohnwert der Altstadt verbessern – auch durch Entkernung?
In der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg sprach am 05.03.2004 in der „Glocke“ Dr. Hans-Eckhard Lindemann, Sommerhausen, über „Bauen und Planen in der Altstadt“. Dr. Lindemann, früher Leiter des Stadtplanungsamtes in Würzburg und Baudezernent in Braunschweig, fasste moderne Erkenntnisse über die Dynamik – oder auch Beharrung – von gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Einflüssen zusammen, die die bauliche Entwicklung einer Stadt bestimmen. Mit seinen Ausführungen über den Strukturwandel der Städte und die Möglichkeiten der Stadtplanung konnte er den durchaus zahlreich vertretenen Vertretern aus Stadtpolitik und Stadtverwaltung, Architekten und anderen Interessierten nützliche Hinweise und Anregungen vermitteln.
„Alte Städte“ täuschen heutzutage den Besucher. Form und Inhalt sind nicht mehr identisch. So wie es Dörfer ohne Bauern gibt, so sind inzwischen in den Städten häufig die Handwerker in die Gewerbegebiete und der Einzelhandel auf die grüne Wiese abgewandert. Dieser Strukturwandel ist nicht aufzuhalten; es ist nur zu fragen, wie ihn die Städte bewältigen. Phänomene wie das „Gewerbegebiet“ Dettelbach, das inzwischen zu einem Vergnügungszentrum für Würzburg geworden ist und massenhaft Publikum von der dortigen City abzieht, oder das factory-outlet-center bei Wertheim mit seinem Freizeitangebot wurden von Dr. Lindemann mit einem warnend-missbilligenden Unterton angesprochen. Verändert haben sich Stadtorganismen schon immer; neu ist das Tempo, mit dem dieser Prozess abläuft. Es hängt in erster Linie von der gesellschaftlichen Haltung zum historischen Erbe, vom „Zeitgeist“ ab, wie eine Stadt darauf reagiert.
In einem weit gespannten Bogen demonstrierte der Referent, wie unterschiedlich man nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges in Deutschland, als sich den Stadtplanern eine einmalige Ausgangslage bot und ihnen fast alle Möglichkeiten offenstanden, den Wiederaufbau betrieb. In der DDR wurden teilweise radikale Konzepte umgesetzt: die „Sozialistische Stadt“, etwa in Magdeburg, der Abriss des Berliner Stadtschlosses. In der Bundesrepublik wurde im Süden stärker als im Norden eine historische Linie verfolgt: München, Würzburg, Nürnberg sieht Dr. Lindemann mit nur geringen Abstrichen gelungene Beispiele für den Wiederaufbau. An Rothenburg erstaunt positiv der Wiederaufbau innerhalb des alten Formenkanons. In Nord- und Westdeutschland allerdings gibt es schon mehr Beispiele für grundlegende und in der Regel misslungene Veränderungen, bei denen letztlich den Städten nur noch „historische Inseln“ verblieben inmitten eines nach „modernen“ Grundsätzen neu errichteten Gebildes ohne umbauten Straßenraum, ohne individuelle Platzlösungen, statt dessen mit monotonen Reihenhauskomplexen und dem Autoverkehr untergeordneter Straßenführung. Solche Probleme kennt Rothenburg mit seinem alles in allem gelungenen Wiederaufbau nicht. Dennoch sollte man auch hier auf Entwicklungen achten, die nach Dr. Lindemann für die Rahmenbedingungen von Stadtentwicklung und Stadtplanung weltweit stattfinden: Im Rahmen der „Globalisierung“ setzen sich auch in Deutschland allmählich die Spielregeln anderer Länder bzw. übernationaler Konzerne durch, der Sinn für das Örtlich-Besondere geht verloren; Bauherren sind oft nicht mehr „die Bürger“, sondern Leute ohne Bindung an die Stadt, denen lediglich Gewinnstreben und kurzfristiger Vorteil wichtig sind; der Markt bestimmt, die Kommunen können nur noch reagieren; Alle Städte sind arm, private Investoren treten oft an ihre Stelle, die Stadt muss kompromissfähig sein; In diesem Zusammenhang muss eine Stadt über Pläne und Konzepte für die Zukunft verfügen, muss diese auch offenlegen und damit verbindliche „Entwicklungskorridore“ schaffen für ihre Bürger, aber auch im Interesse der „Investoren“; Nicht alle, aber doch viele Menschen suchen individuelle Lebenswelten wie z. B. das Wohnen in der Altstadt mit kurzen Wegen, einem unverwechselbaren Milieu; Die demographische Entwicklung in Deutschland – Überalterung – , die momentan in Ostdeutschland mit vielen leerstehenden Wohnungen in den Innenstädten bereits ihre Auswirkungen zeigt, wird auch den Westen Deutschlands erreichen. Kann die Altstadt überdauern? Kann sie es in ihrer bisherigen Form? Einige Hinweise gab Dr. Lindemann. Steuerungsinstrumente besitzt jede Kommune durch ihre Verfügung über den öffentlichen Raum, auf den sie unmittelbar einwirken kann, dessen Eigentümer sie ist: Plätze, Straßen, Fußgängerzonen, Verkehrsregelungen.
Zum Thema „Bauen in der Altstadt“ lieferte Dr. Lindemann folgende Hinweise. Das Bild der Altstadt darf nicht gestört werden, „angemessene“ Architektur unterwirft sich dem Gesamteindruck, sie ist Ergänzung des Bestehenden. Ob man rekonstruiert oder moderne Formen riskiert, hängt von der Qualität moderner Lösungen zusammen. In früheren Zeiten musste man ganz einfach örtlichen Traditionen folgen, bestimmt durch in der Region verfügbare Baumaterialien und das Können der lokalen Handwerker. Heute, da nun technisch fast alles möglich ist, sollte man in Altstädten nicht geschmäcklerisch und effekthascherisch irgendetwas Modernes um der Moderne willen bauen. Ein Glashaus etwa, damit ein Glashaus da ist. Das Museum der Moderne in Nürnberg dagegen, das sich in eine historischen Altstadt einfügt, bereichert das Stadtbild.
Zur Förderung des Wohnens in der Altstadt hält es Dr. Lindemann unter Umständen für sinnvoll, die Hinterhofbebauung durch Abrisse aufzulockern und damit freundliche, helle Wohnungen zu gewinnen. Verkehrsberuhigte Bereiche in Altstädten haben sich seiner Meinung nach bewährt, wenn man dort nur die Anlieger fahren lässt. Er ermutigt, solche Projekte auszuweiten. Trotz begrenzter Möglichkeiten haben die Kommunen Chancen, die Wohnqualität in der Altstadt zu verbessern und die weitere Entwicklung der Stadt zu beeinflussen.
Dr. Richard Schmitt