Jahresbericht 1999/00

Neue Töne aus dem Verein werden Sie nun zunächst hier vernehmen. Vor einem Vierteljahr hat sich die Vorstandschaft zusammengesetzt und sich über die Kassenlage des Vereins unterhalten. Dabei stellte sich heraus, dass das, was unser 1. Vorsitzender und unser Kassier seit Jahren wiederholt gesagt haben, zutrifft: Der Verein hat sich durch sein Engagement bei den Häusern in der Judengasse zwar nicht verschuldet, aber er hat zu diesem Zweck das früher vorhandene Vermögen derart in Anspruch genommen, dass die momentane Lage zu einem deutlichen Sparkurs zwingt.

Wir haben im vergangenen Vereinsjahr im Großen und Ganzen soviel ausgegeben, wie wir eingenommen haben; wir werden dies aus verschiedenen Gründen auch heuer wieder tun müssen. Wenn wir ein solides Haushaltsgebaren für die nähere Zukunft zu unserem Ziel machen wollen, wie das Herr Schneider soeben erklärt hat, müssen wir uns in der Gabe der Bescheidenheit üben, müssen mit konkreten und bindenden Haushaltsvoranschlägen die Ausgabenpolitik des Vereins in den nächsten Jahren lenken und teilweise leider beschränken.

In den Zeiten, als nach der Heilbronner Erbschaft – zudem in einer Hochzinsphase – das Vermögen des Vereins wuchs und wuchs, als Museumsankäufe, Publikationen, Zuschüsse jeder Art kein Problem waren, konnte der Verein mit seinem Kapital leicht arbeiten. Das Vereinsvermögen wurde dann in die Sanierung der Judengassenhäuser investiert; dies war ein richtiger Entschluss, der denkmalpflegerische Zeichen setzte und längerfristig dem Verein eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen wird. Wir sind stolz auf das gelungene Werk, dessen Finanzierung in erster Linie unserem damaligen Kassier Wilhelm Staudacher zu verdanken ist.

Es ist nun fast fünf Jahre her, dass uns sein überraschender Tod so schmerzlich getroffen hat. Vielleicht denken Sie, liebe Vereinsmitglieder, wenn Sie durch die Judengasse laufen und an den Häusern des Vereins vorbeikommen, gelegentlich an diesen außergewöhnlichen Mann, der in seiner Persönlichkeit den geschickten, korrekten Wirtschafter, den klugen, energischen und zugleich taktvollen Verhandlungspartner mit dem gütigen, hilfsbereiten Freund seiner Mitmenschen in einer selten anzutreffenden Weise vereinte. Dass er alle, die vor und mit ihm in Rothenburger Mundart schrieben, besonders in der Lyrik an poetischer Kraft und kritischer Reflexion weit überragt, sei hier nur am Rande angemerkt.

Wie schon gesagt, die Finanzlage des Vereins soll allmählich verbessert werden. Ausdruck der neuen Sparsamkeit war in gewisser Weise die Jahresgabe für das Jahr 1999, die sich im Umfang deutlich von den überwiegend aufwendigen Büchern der Jahre davor unterscheidet. Ich erinnere Sie: die Jahresgabe zum 100-jährigen Vereinsjubiläum, die Sammlung der Aufsätze von Ludwig Schnurrer, die Studie von Gabi Moritz über Rothenburg im 19. Jahrhundert, die von Quester über den Bauernkrieg, der Judaica-Katalog von Hilde Merz, die Arbeit über den Franziskaner-Maler Martin Schwarz – all das waren Bücher, die von der Seitenzahl und teilweise auch von der Ausstattung und Aufmachung für unsere Verhältnisse außergewöhnlich stattlich waren und denen aus den vergangenen Jahrzehnten wenig Vergleichbares gegenübersteht. Der Jahresbeitrag der Mitglieder wurde zu einem guten Teil oder völlig für die Finanzierung der Druckkosten verwendet.

Wenn wir im letzten Jahr gespart haben, heißt das aber nicht, dass wir an der wissenschaftlichen Qualität der Jahresgabe Abstriche gemacht haben. Die drei publizierten Aufsätze können sich sehen lassen. Karl Borchardts Ausführungen über die Herren von Schillingsfürst betreten wissenschaftliches Neuland und beleuchten die Rothenburger Frühzeit einmal von einer anderen Warte aus, Friedrich Lotters Aufsatz über die Judenpogrome des 13. und 14. Jahrhunderts ist absolut auf der Höhe der momentanen Forschungslage, fasst die Thematik in eingängiger Form zusammen und bietet Erklärungsmuster auch und gerade für die Rothenburger Geschehnisse, und Manfred Vasolds Beitrag zur Medizinalgeschichte des 19. Jahrhunderts lenkt den Blick auf ein bislang eher am Rande der Stadtgeschichtsschreibung stehendes Arbeitsfeld.

Die Satzarbeiten für Jahresgabe und Jahresbericht erledigte wiederum Herr Parr, dem hiermit herzlich gedankt werden soll und dem vor allem in gesundheitlicher Hinsicht die besten Wünsche nach Ochsenfurt übermitteln möchte. Zu danken ist ihm auch für die uneigennützige und unentgeltliche Vorbereitungsarbeit, die er hinsichtlich Verteilung bzw. Versand der Vereinsschriften wiederum erledigt hat. Zusammengestellt und redigiert wurde die Jahresgabe von unserem 2. Vorsitzenden Ekkehart Tittmann, der sich auch um eine reichhaltige und solide erläuterte Bebilderung kümmerte. Aus seiner Feder stammen auch eine Reihe von Artikeln zu baugeschichtlichen und anderen Themen, die im letzten Jahr in der Lokalpresse erschienen sind und sicherlich dazu beitragen, das historische Interesse in der Bevölkerung zu wecken bzw. zu verstärken. Sie sorgen auch für eine stärkere Präsenz des Vereins im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Angesichts leicht schrumpfender Mitgliederzahlen und einer gewissen Überalterung der Vereinsmitglieder können derartige Versuche, in der Lokalpresse präsent zu sein, nicht schaden, wenn es darum geht, neue und jüngere Mitglieder zu werben.

Zur Jahresgabe 1999 sei ein Letztes gesagt. Bei der Verteilung bzw. beim Versand ergaben sich recht erhebliche Verzögerungen. Ich möchte mich dafür bei den Mitgliedern, die vielleicht vor Weihnachten voller Spannung und Ungeduld auf die Lieferung warteten, entschuldigen. Wir geloben Besserung.

Die nächste Jahresgabe, die für das Jahr 2000, wird das Gebot der Sparsamkeit noch nicht einhalten. Seit langem waren wir in Verhandlungen mit Frau Heilmann aus Erlangen, die über das Rothenburger Wildbad eine kunstgeschichtliche Dissertation verfasst hat. Die Arbeit ist ebenso vorzüglich wie umfangreich, sie wird mehr als ordentlich illustriert werden und einen Abschnitt der Rothenburger Kunstgeschichte behandeln, der nicht zum „Mittelalter“ gehört, sehr wohl aber massiv auf die Vergangenheit zurückgriff, nämlich die des Historismus der protzigen wilhelminischen Epoche. Sie werden also ein stattliches, reich bebildertes Buch erhalten, das sich sehen lassen kann. Zur Finanzierung der Jahresgabe eventuell eingehenden Spenden wäre unser Dank gewiß. Hier sei angefügt, dass sich in letzter Zeit der eine oder andere Referent der wissenschaftlichen Vortragsabende bereit erklärt hat, auf sein Honorar zu verzichten.

In diesem Zusammenhang soll nicht vergessen werden, dass uns im letzten Jahr eine erhebliche Zuwendung von Frau Gisela Eugen aus Erlangen erreichte, die als Enkelin des Rothenburger Bildhauers Oertel ihre Geburtstagsfeier mit einem Spendenaufruf für den Verein verbunden hat; gegen Nachahmungen dieser hochherzigen Aktion haben wir nichts einzuwenden.

Kehren wir zurück zum Thema, zur Tätigkeit des Vereins im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Veröffentlichung. Hierzu gehören in erster Linie – neben dem Jahrbuch und der „Linde“, die glücklicherweise von Dr. Schnurrer nach wie vor betreut wird – die Vorträge im Winterhalbjahr. Herr Tittmann hat diese Arbeit im letzten Jahr wieder mustergültig geleistet, er hat ein Programm zusammengestellt, das in einer Abwechslung von streng wissenschaftlichen und leicht populärwissenschaftlich angehauchten, von lokalen und über die Rothenburger Landwehr hinausblickenden Beiträgen einen starken Zustrom von Besuchern sicherte.

Anja Friedl aus Rothenburg stellte im November in ihrem zweiten Vortrag die Zeit des Nationalsozialismus in Rothenburg vor. Mit vielen Details, Auszügen aus Zeitdokumenten, Bildquellen und einem sehr lebendigen Vortrag gelang es ihr, vor allem den Zeitgeist und die Geschehnisse der Vorkriegszeit zu illustrieren. Eine eigentliche „Reichskristallnacht“ hat es nach ihren Recherchen in Rothenburg nicht gegeben, wohl aber eine – man kann es nur so sagen – Vertreibung der Juden aus der Stadt nur kurze Zeit vorher. Dass man im Nachhinein als braver Rothenburger Bürger aus der Epoche des Nazireiches auch viel scheinbar Positives in Erinnerung behielt und in Zusammenhang mit dem Regime brachte, wurde aus dem Referat von Frau Friedl recht klar. Den Bau der Turnhalle, des Schwimmbades mit Hilfe des Reichsarbeitsdienstes, den Aufschwung des Tourismus durch die KdF-Fahrten, soziale Hilfsaktionen etc. – all das vergaßen die Zeitgenossen weniger leicht als den Gesinnungsterror, die Schikanen gegenüber den Kirchen, die einzelnen Übergriffe gegen jüdische und andere Bürger. Ich hoffe sehr, dass die Arbeit von Anja Friedl in näherer Zukunft gedruckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Mit ihrer Fülle an Material stellst sie für den einen oder anderen interessierten Forscher oder Laien eine Fundgrube und regt möglicherweise zu eigenen Recherchen in manchen Punkten an.

Unser Ausschußmitglied Dr. habil. Karl Borchardt sprach über die mittelalterliche Geschichte der geistlichen Ritterorden, die für den Raum der westlichen, lateinischen Christenheit so überaus bedeutsam waren, also über die Templer, den Johanniterorden und den Deutschen Orden, von denen die beiden letzteren ja auch für Rothenburg eminent wichtig waren. Daß dieser Vortrag – wie fast alle anderen – sehr gut besucht war, obwohl er keinen spezifisch Rothenburger Gegenstand zum Thema hatte, ist natürlich Ausdruck der hohen Anerkennung, die der Referent in unserer Stadt genießt. Zugleich kann man vermuten, daß für derartige historische „Nachhilfestunden“ auf hohem Niveau durchaus ein Bedarf bei unseren Mitgliedern besteht.

Heinz Ott aus Lohr, der sich seit langem mit der Geschichte seines Dorfes beschäftigt, stellte die dortige Sankt-Egidius-Kirche vor, die vor allem der auswärtige Autofahrer als auffallendes, ungewöhnliches Bauwerk kennt, von der aber Otto Normalverbraucher wohl nicht ahnte, um welch ästhetisch und kunsthistorisch bemerkenswerten Kirchenbau es sich handelt. Entstehungsgeschichte und Entstehungsbedingungen des neoromanischen Gotteshauses wurden von Herrn Ott in ihrer Einmaligkeit für mich so sorgfältig und plastisch dargelegt, daß man von Seiten des Vereins durchaus an eine Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse denken sollte.

Ekkehart Tittmann, einen im positiven Sinne umtriebigen Menschen, hat es offenbar seit Jahrzehnten immer wieder umgetrieben, wenn er das Schlagwort „Stauferburg“ in Rothenburg hörte. Es trieb ihn ins Archiv, ins Gelände, auf das Baugerüst der Blasiuskapelle. Es ließ ihn dendrochronologische Bohrungen durchführen. Es führte zur Auseinandersetzung mit der Fachliteratur. Mit Archäologen und auswärtigen Burgenforschern. Das Ergebnis seiner Überlegungen präsentierte er im Dezember mit einem materialreichen Dia-Vortrag zur Geschichte der Rothenburger Burg, der sicherlich nicht den Abschluß der diesbezüglichen Forschungen darstellen wird – was angesichts fast völlig fehlender archäologischer Grabungen als selbstverständlich erscheint – , aber auf jeden Fall anregend für weitere Untersuchungen ist. Tittmanns Thesen zum Pharamundsturm, zur Blasiuskapelle, zum Erdbeben von 1356 und andere mehr müssen und werden aufgegriffen werden, können und müssen von anderen erst einmal widerlegt oder verifiziert werden. Insofern sind seine vielfältigen Aktivitäten ohne Zweifel ein erfrischendes, belebendes und vorantreibendes Element in der momentanen Rothenburger Geschichtsforschung, das man nicht hoch genug veranschlagen kann. Zur Stauferburg wurde von ihm zusätzlich ein kleines Symposion mit einheimischen und auswärtigen Fachleuten veranstaltet, bei dem es zu einem interessanten Austausch von Standpunkten kam.

Manfred Akermann aus Heidenheim an der Brenz führte mit seinem Dia-Vortrag ins hochmittelalterliche Kernland der Staufer zwischen Ries und Albtrauf. Als profunder Kenner der Stauferhistorie und der romanischen Sakral- und Profanarchitektur hat er sicher manche seiner Zuhörer zu einem Ausflug in diese burgenreiche Region animiert.

Den Abschluß der Vortragsreihe bildete ein Abend im Wildbad, an dem Lore Heilmann aus Erlangen Teile ihrer Dissertation vorstellte, vor allem ging sie auf die Geschichte des alten Wildbades vor 1900 und auf Leben und Werk Friedrich Hessings ein. Sie können das ja demnächst nachlesen.

An dieser Stelle möchte ich in die Aufzählung der Vereinsaktivitäten zwei längere Exkurse einschieben.

Der erste soll in aller Knappheit die hiesige Altstadtarchäologie berühren. Initiiert von Herrn Tittmann wird in diesem Sommer in einem Anwesen in der Judengasse eine größere Grabung stattfinden, bei der man hofft, einen Befestigungsturm der ersten in Stein errichteten Rothenburger Stadtmauer freilegen zu können und natürlich zugleich noch ältere Erdwälle und Stadtgräben zu entdecken. Die Gelegenheit ist günstig und konnte kaum vertan werden: der Bauherr spielt mit, die Stadt hat ebenso Interesse wie das Landesamt für Denkmalpflege, die Finanzierung läuft zum guten Teil über Zuschüsse. Auch der Verein und die Stadt entrichten ihren Anteil; wir werden uns heuer mit 5000.- DM beteiligen, was uns im Anbetracht der schmalen Kasse nicht leicht fällt. Bei diesem archäologischen Projekt, das in solcher Form erstmals in unserer Stadt durchgeführt wird, kommt mir allerdings in den Sinn, in welch hohem Maße bisher die Altstadtarchäologie in Rothenburg kostengünstig oder besser gesagt: umsonst zu haben war. Es bedrückt mich nach wie vor, wie unglücklich die juristische Auseinandersetzung zwischen der Stadt und unseren ehemaligen Ausschußmitgliedern Horst Brehm sowie Regina Däschner verlaufen ist und zu welch katastrophalem Ausgang sie geführt hat. Vielleicht erkennt man jetzt im Nachhinein, welche Verdienste sich vor allem Herr Brehm in der Bodendenkmalpflege erworben hat. Ich sage das nicht, weil ich die Rechtsstreitigkeit um den Münzschatz in irgendeiner Form kom
entieren oder gar für den Vorstand bzw. Ausschuß sprechen möchte. Ich betone noch einmal wie schon im letzten Jahresbericht: Mit der juristischen Auseinandersetzung hatte der Verein nichts zu tun.

Mit dem „Fall“ an sich jedoch leider schon. Und mit dieser Aussage muß ich eine Passage aus dem letzten Jahresbericht teilweise modifizieren. Denn in der letzten Ausschußsitzung des Vereinsjahres 1998/99 wurde bei Stimmengleichheit ein ursprünglich für die Jahresgabe 1999 in Frage kommender Beitrag von Brehm/Tittmann über die Alte Burg aus den Planungen herausgenommen mit Rücksicht auf die damalige hitzige Stimmung und ebenso im Hinblick auf die vielfältigen Verflechtungen und Abhängigkeiten des Vereins im Zusammenleben mit der Stadt. Ich halte diese Position nach wie vor für übervorsichtig, kann sie aber nachvollziehen. Verlierer der unglücklich verlaufenen und wohl vermeidbaren Querele ist eindeutig die Altstadtarchäologie, also eine Angelegenheit, die dem Verein satzungsgemäß am Herzen liegen muß. Allein schon aus diesem Grund ist es selbstverständlich, daß der Verein eine zukünftige Mitarbeit der beiden aus dem Ausschuß ausgeschiedenen Stadtarchäologen begrüßen würde, egal wie sie aussehen könnte. Und auch die Stadt möchte ich bitten, das Gewesene abzuhaken und um der Sache, um der Sache Alt-Rothenburgs willen, einen Neubeginn in die Wege zu leiten. Es ist inzwischen genug Wasser die Tauber hinuntergeflossen, um Wut und Ärger wegzuschwemmen.

Der schon angekündigte zweite Exkurs soll sich kurz mit der – in Anführungszeichen – „Nachwuchsarbeit“ des Vereins beschäftigen. Wir haben ja kein eigentliches Vereinsleben, wie es den klassischen deutschen Sport-, Schützen- oder auch Heimatverein auszeichnet. Wir veranstalten keine Weihnachtsfeiern oder Fastnachtsbälle, wir bieten keine Wanderungen oder Ausflüge an, wir überreichen nicht einmal Ehrenurkunden für langjährige Mitgliedschaften. Insofern versäumen wir es möglicherweise, die Mitglieder enger an den Verein zu binden, insofern sind wir auch im gesellschaftlichen Leben der Stadt kein nennenswerter Faktor. Es dürfte in der Vereinsgeschichte, abgesehen von den optimistischen Aufbruchsjahren um 1900 und den – zumindest auch – von einem hohen Maß an bürgerlichem Engagement und Solidarität gegenüber dem Idealbild „ Mittelalterliches Alt-Rothenburg“ geprägten Jahren nach 1945 immer so gewesen sein. Der aktive Teil des Vereins bestand und besteht im Grunde aus einem relativ überschaubaren Kreis von Personen, die sich , aus welchen Gründen auch immer, für die Erforschung der Stadtgeschichte, für ihr kulturelles Erbe und ihre Erhaltung engagieren. Gemessen an den fast unüberschaubaren Aufgaben und Möglichkeiten, die eine Stadt wie Rothenburg bietet mit ihren reichen Archivbeständen, mit ihrem trotz der Kriegszerstörungen und Nachkriegssünden überaus großen Bestand an Baudenkmälern, kann sich ein Verein wie der unsere nur in zweierlei Weise äußern.

Zum einen kann er in Einzelfällen seine Ziele umsetzen, kann an Einzelobjekten seine Kompetenz beweisen und tatsächlich Neues und Bleibendes schaffen. Dies gilt natürlich besonders für die Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtsforschung, auf der immer wieder Hervorragendes geleistet wurde.

Ebenso können wir das bei der Museumsarbeit reklamieren. Es ist uns nach wie vor ein Anliegen, daß im Reichsstadt-Museum der aus Alt-Rothenburger Beständen stammende Anteil der Ausstellungsobjekte deutlicher gekennzeichnet wird, um zu zeigen, in welchem Maße der Verein über lange Jahrzehnte der Hauptmäzen des Stadtmuseums gewesen ist. Im letzten Jahr haben wir immerhin mit 3500.- DM den Ankauf eines Creußener Fayence-Kruges aus dem 17. Jahrhundert mit dem Wappen der Patrizierfamilie Krebs bezuschußt. Zudem haben wir beschlossen, daß die Dorfkirchen-Aquarelle von Willi Foerster, die wir vor einiger Zeit angekauft haben, ins Reichsstadt-Museum gelangen werden.

Auch in der Arbeit, in manchen Fällen muß man sagen, im Kampf für die Erhaltung der Rothenburger Bausubstanz im Einzelnen und des Stadtbildes in seiner Gesamtheit hat der Verein in der Vergangenheit teilweise spektakuläre Einzelerfolge erzielt, auf die ich hier nicht näher eingehen will.

Aber gerade auf dem Gebiet der Denkmalpflege und Stadtentwicklung können wir im besten Falle eine unentschiedene Bilanz vorweisen, haben viele Niederlagen einstecken müssen, sind oft gescheitert und haben inzwischen aufgrund der Tatsache, daß Denkmalschutz und Stadtplanung immer stärker zur hoheitlichen Aufgabe geworden sind, deutlich weniger Möglichkeiten, direkt in das Geschehen einzugreifen. Selbstverständlich ist es eine positive Entwicklung der letzten Jahrzehnte, wenn sich das Landesamt für Denkmalpflege, die Regierungsbaubehörden und das Stadtbauamt um die Erhaltung von historischen Bauten kümmern, wenn sich der Stadtrat zu einem in vielen Aspekten positiv zu sehenden Bebauungsplan für die Altstadt entschlossen hat. Doch hat dies für den Verein auch zur Folge, daß er nicht mehr so wie in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens automatisch in die amtlichen Entscheidungsprozesse über einzelne Bauvorhaben einbezogen ist oder in Fragen der Stadtentwicklung mitreden kann.

Unser neuer Stadtbaumeister, Herr Mühleck, dem ich für sein bisheriges Mitwirken im Ausschuß meine Anerkennung aussprechen und zugleich herzlich danken möchte, hat uns in einer der Ausschußsitzungen diesen Sachverhalt zurückhaltend und zugleich klar dargestellt. Das Stadtbauamt kann, ja darf bei privaten Baugesuchen nicht an den Verein herantreten und ihn informieren, der Verein ist keine quasi amtliche Instanz, die bei allen möglichen Bausachen gefragt werden muß. Dennoch bitte ich hier die Stadt darum, den Verein möglichst frühzeitig über brisante Bauvorhaben zu informieren; schließlich sollte er in seiner Funktion als Mitglied des Baubeirates sinnvoll mitreden können.

Die Hauptaufgabe des Vereins im Bereich der Denkmalpflege und Altstadterhaltung sehe ich in grundsätzlichen, aufklärenden Beiträgen zur Thematik. Und das ist die zweite grundsätzliche Möglichkeit, die dem Verein zur Verfügung steht, für seine Ziele in Rothenburg zu werben. Wir haben vor Jahren – insbesondere durch diverse Vorträge unseres Ausschußmitglieds Knoll – die Öffentlichkeit (und natürlich, sofern es nicht ohnehin bekannt war, Stadtverwaltung und Stadtrat) über denkmalpflegerische Problemzonen informiert, sei es nun das Schicksal der Altstadtscheunen, seien es die sogenannten „Kleinen Kostbarkeiten“. Auch und gerade in der Entstehungsphase des Bebauungsplanes haben wir uns massiv geäußert, wenngleich mit geringer Resonanz.

Trotzdem hoffe ich, daß wir auch in Zukunft eine Rolle, möglichst eine führende, in der Diskussion um Alt-Rothenburg spielen werden. Wir wollen im Gespräch bleiben und die öffentliche Meinung der Stadt beeinflussen. Dazu benötigen wir aber, um den Roten Faden wieder aufzugreifen, Vereinsmitglieder, die zum einen bereit sind, Position zu beziehen gegen den Strom aus Kommerz, Spekulantentum und Verkitschung, dem die Altstadt mehr denn je ausgesetzt ist. Diese Leute, egal ob jung oder alt, sollten sich jedoch zum anderen der Tatsache bewußt sein, daß die Arbeit im Verein Alt-Rothenburg nur selten Lustgewinn verheißt, daß wir den Realitäten ins Auge sehen müssen, daß wir hie und da Kompromisse schließen werden, daß man uns gelegentlich gar nicht zu Rate ziehen wird, wo es eigentlich angebracht wäre. Es ist ein eigentümlicher Spagat, den der Verein angesichts seiner Konstruktion seit langem vollbringen muß und den viele nicht verstehen können oder wollen.

Ich möchte deshalb die neuen Ausschußmitglieder und andere mitarbeitswillige Vereinsmitglieder darum bitten, sich weiterhin und verstärkt zu engagieren, neue Ideen einzubringen, auch gegen den Stachel zu löcken; sie sollten sich aber ein dickes Fell und eine hohe Frustrationstoleranz zulegen.

Falls Sie mich mißverstanden haben sollten: dies war keine Warnung, sondern eine Werbung dafür, im Verein tätig zu werden. Wenn ich etwa an unser Ausschußmitglied Gustav Weltzer denke, der als gelegentlicher Querdenker unsere Sitzungen oft bereichert, nicht selten auch verlängert: ging es nicht auf seine Initiative (neben der von Dr. Heuser) zurück, daß wir uns mit einem Beitrag zum Rabbi-Meir-Gedenken beschäftigten? Diese Vereinsinitiative mündete schließlich in der Errichtung des Denkmals an der Blasius-Kapelle, das einen bis vor wenigen Jahrzehnten eher verdrängten oder vergessenen Aspekt der Stadtgeschichte unübersehbare Gestalt werden läßt und zur Auseinandersetzung auffordert. Der Dank für dieses Werk gebührt natürlich in erster Linie dem Geldgeber – nämlich dem Verkehrsverein – , des weiteren der Stadtverwaltung, vor allem dem Oberbürgermeister, dem Stadtrat, dem ausführenden Künstler Peter Nedwal und anderen. Doch auch die Tatsache, daß Gustav Weltzer und Dr. Heuser oder sonstige Alt-Rothenburger ein solches Projekt überhaupt angedacht haben, sollte nicht übersehen werden.

Mit einer Mischung aus Idealismus und Pragmatismus, mit der Fähigkeit, Enttäuschungen zu verarbeiten und zugleich zäh und geduldig das nächste Ziel anzusteuern, können wir vielleicht auch in Zukunft Einfluß zu auf die baulichen Veränderungen bzw. Verschlechterungen in der Altstadt. In mehreren Ausschußsitzungen des verflossenen Jahres wurde über die sogenannten „kleinen Bausünden“ geklagt, die sich häuften, über mögliche Gefährdungen von Häusern oder Scheunen in privater Hand. Es scheint nämlich ein neues Problem auf die Altstadt zuzukommen: (Ich zitiere einmal aus dem Protokoll der Ausschußsitzung vom 1. 12. 1999.)

„AM Knoll beschrieb aus seiner Sicht die derzeitige Situation des Bauens in der Altstadt, teilweise unterstützt von Herrn Mühleck und Herrn Konopatzki. Der Stadtbaumeister möchte allerdings die verschiedenen Einzelfälle nicht als Regel ansehen, sondern meinte, die meisten Bauherren in der Stadt seien einsichtig und zu Kompromissen bereit. Herr Knoll führte u. a. aus: Die Bayerische Bauordnung sei seit einigen Jahren wesentlich liberaler, Kontrollen und Einschränkungen durch die Baubehörde seien seltener und schwieriger durchzusetzen. Sie wirke nicht unbedingt im Sinne der Baudenkmäler. Zudem sei die öffentliche Meinung in der Stadt derzeit der Denkmalpflege gegenüber relativ gleichgültig. Durch die oft ohne Architekten durchgeführten Baumaßnahme von teilweise auswärtigen Spekulanten komme es häufig zur bewußten Zerstörung von Substanz; der private Bauherr, der sein eigenes Haus, in dem er wohne, saniere, sei nicht das Problem. Insofern habe sich die Qualität der Stadtzerstörung geändert. Der Verein müsse stärker an die Öffentlichkeit gehen. Stadtbaumeister Mühleck zitierte Frau Mandel vom Landesamt: „Wenn die Rothenburger ihre Stadt erhalten wollen, müssen sie das schon selbst tun.“ Er merkte an, daß bei einer ganz harten denkmalpflegerischen Haltung der Stadt manche Sanierungsvorhaben einfach unterbleiben würden, da den Leuten die Auflagen als unzumutbar vorkämen.“

Unzumutbares wollen auch wir vom Verein Alt-Rothenburg den Bauherren nicht aufnötigen. Sanierungen müssen von den Baukosten her und in puncto Wohnqualität und Nutzungsmöglichkeiten möglich sein. Allerdings kann man wohl gerade in einer Stadt wie Rothenburg erwarten, daß sich Hausbesitzer verantwortungsbewußt den hiesigen Regeln der Denkmalpflege unterordnen. Und die verlangen eben besondere Rücksicht auf die historische Substanz. Und da gehört es ganz einfach dazu, daß man beim Bauen auch die Archäologie und Bauvoruntersuchungen mit einbezieht, sich informiert und informieren läßt und in manchen Dingen mehr Verständnis zeigt. Die historische Bausubstanz der Stadt ist für uns keine heilige Kuh. Über das Maß und die Art und Weise ihrer Erhaltung kann und darf gestritten werden. Aber ohne jede Diskussion einfach klammheimlich einreißen, ausräumen, Schutt wegschaffen – das geht nicht.

Ich möchte die Stadt durchaus ermuntern, gegen Bausünder hart vorzugehen. In einem Fall ist das im verflossenen Jahr ja offenbar schon massiv geschehen.

Kehren wir noch einmal kurz zurück zur Geschichtsforschung und –pflege der Stadt und ihres Umlandes, die zu den ureigensten Aufgaben des Vereins gehören. Im letzten Sommer konnte im verdienten feierlichen Rahmen im Sitzungssaal des Rathauses das zweibändige Rothenburger Urkundenbuch unseres langjährigen 2. Vorsitzenden Dr. Ludwig Schnurrer der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dieses Werk, das die Gesellschaft für fränkische Geschichte verlegt hat, wurde vom Verein finanziell unterstützt, so gut es eben ging. Und das mit gutem Recht. Denn wohl selten haben Leute, die sich mit der Geschichte der Stadt Rothenburg und ihres Umlandes beschäftigen, so sehnsüchtig auf etwas gewartet wie auf dieses Buch. Und das Warten hat sich gelohnt. Die zwei Bände, die den Zeitraum von 1182 bis 1400 behandelt, werden auf Jahrzehnte hinaus eine unentbehrliche und ungemein nützliche Hilfe für jeden darstellen, der als professioneller Historiker, als Student, als Heimatforscher oder als interessierter Laie etwas über die hoch- und spätmittelalterliche Vergangenheit von Stadt und Landwehr erfahren möchte. Auch wer Superlative scheut, muß ohne Einschränkung konstatieren, daß hier ein epochales, ein Jahrhundertwerk vorgelegt worden ist. Der Verein kann Dr. Schnurrer nur mit Worten danken für diese Arbeit; wir haben keine Ehrennadeln und keine Lorbeerkränze, die wir verleihen. Und das ist gut so; der Kranz, den wir Dr. Schnurrer umhängen müßten, wäre ziemlich groß und schwer. Und wo wollte er ihn in seinem Haus auch deponieren angesichts der zahllosen Bücher, die dort den Platz an den Wänden für sich fordern?

Gedankt sei zum Schluß dieses Jahresberichts all denen, die sich für den Verein engagiert haben, die mit geholfen haben, daß wir unseren satzungsgemäßen Aufgaben einigermaßen nachkommen konnten.

Dr. Richard Schmitt, 08.08.2002