Jahresbericht 2001/02

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Rothenburg o. d. T. hat rund 12 000, Nürnberg rund 500 000, also mehr als vierzigmal so viele Einwohner. Im Spätmittelalter war Nürnberg nur rund sechs-, sieben- oder achtmal so groß wie Rothenburg, und das war wohl auch am Ende des Alten Reiches kurz nach 1800 nicht viel anders. Folglich ist logischerweise die Nürnberger Altstadt um ein Mehrfaches größer als die Rothenburgs, es findet sich dort trotz der Kriegszerstörungen eine wesentlich höhere Zahl an Baudenkmälern aus der Zeit vor 1800. Dennoch muss man konstatieren: Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Denkmaldichte in Rothenburg viel höher als in der Stadt an der Pegnitz. In Nürnbergs historischer Mitte gibt es nicht vierzigmal so viel Kirchen wie in Rothenburg, die Stadtmauer ist nicht vierzigmal, sondern nur rund .dreimal so lang wie die Rothenburger, Nürnberg hat wie Rothenburg nur ein Rathaus.

In einer Halbmillionenstadt wie Nürnberg gibt es natürlich viel mehr Leute, die sich für Lokalhistorie, Denkmalpflege, Stadtarchäologie, Kunstgeschichte, regionale Geographie und anderes mehr interessieren, als in einer kleinen Stadt wie der unseren. Bezogen auf die Zahl der Denkmäler, existieren in Nürnberg nicht nur absolut, sondern auch relativ viel mehr potenzielle Mitarbeiter in historischen vereinen. Gemessen an Nürnberg und anderen Großstädten stehen wir dann in Rothenburg gar nicht so schlecht da mit unserem Verein Alt-Rothenburg. Es wird geforscht, es wird publiziert, das Museum wird unterstützt, man mischt sich in die Denkmalpflege-Diskussion ein, ja sorgt im Grunde dafür, dass es so etwas in Rothenburg überhaupt gibt.

Benachbarte Städte von der Größe Rothenburgs – Dinkelsbühl mag eine Ausnahme sein – und die kleineren Orte in der Umgebung können in der Regel nicht auf vergleichbare Traditionen und Aktivitäten eines Geschichts- und Denkmalpflegevereins verweisen, wie das in Rothenburg der Fall ist. Und wenn es in diesen Städten überhaupt eine nennenswerte Gruppierung gibt, die sich mit Geschichte, musealen Sammlungen und Denkmalpflege befasst, dann hat sie es meist wesentlich einfacher als wir in Rothenburg, denn sie hat es mit einer erheblich geringeren historischen Bausubstanz zu tun.

Es ist ein Dilemma, in dem der Verein seit eh und je steckt. Es ist eine große Last, die er auf seinen Schultern trägt. Die selbst gesteckten Ziele sind ehrgeizig, die personellen und materiellen Ressourcen dagegen eher knapp. Förderung der Geschichtsforschung und Denkmalpflege nicht nur in der Stadt, sondern auch im gesamten Gebiet der ehemaligen Landhege – wie soll das gehen? Es wäre eine Sisyphusarbeit für Vereinsausschuss und –vorstand, all die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Es ist frustrierend zu sehen, was alles gemacht werden könnte, aber nicht gemacht werden kann.

Und so richtig ärgerlich macht es einen, wenn man in die Vergangenheit blickt und sich eingestehen muss, dass vieles von dem, was wir initiiert haben, unbeachtet blieb oder nur geringe Erfolge gezeitigt hat. Die Judengrabsteine sind immer noch am Weißen Turm eingemauert, Hitze, Regen und Frost ausgesetzt. Die städtischen Brunnen, stolze Monumente ehemaliger Reichsstadtherrlichkeit, leiden mehr und mehr unter der winterlichen Witterung. Darüber, sie durch Abdeckungen zu schützen, wird nach wie vor nicht ernsthaft nachgedacht. Statt dessen hält man herumturnende Kinder für eine große Gefährdung dieser für Rothenburg so kennzeichnenden Denkmäler.

Der Bebauungsplan für die Altstadt, für den wir uns so massiv engagiert haben, hat nicht die erwarteten Wirkungen nach sich gezogen; vor allem der traditionelle innerstädtische Einzelhandel muss Laden um Laden, Position um Position räumen zugunsten des touristisch orientierten Angebots. Und man soll sich hier nicht täuschen und den Verlust dieser „klassischen“ Einzelhandelsgeschäfte für die Stadt unterschätzen. Wenn ich wegen ein paar läppischer Gegenstände einen Musikalienladen in Würzburg oder Nürnberg aufsuchen muss, werde ich dort nicht nur Flötenputzer und Notenhefte erwerben, sondern ich werde, damit die weite Fahrt überhaupt einen Sinn macht, die Gelegenheit nutzen und Kleidung, Schuhe, Bücher, Schreibwaren und was weiß ich noch alles kaufen, ich werde mich ins Café setzen, ins Kino gehen und anderes mehr. All das bedeutet Umsatz, der Rothenburg verloren geht.

Ein „Scheunenprogramm“, vor langer Zeit angedacht und geplant, wurde eigentlich nie umgesetzt, wenngleich zuzugeben ist, dass sich das Stadtbauamt in den einzelnen Fällen bedrohter Scheunen durchaus energisch und mit Erfolg um deren Erhalt kümmert.

Die Berücksichtigung der Stadtarchäologie ist nur kleine Schritte vorangekommen, sie wird in ihrer Bedeutung nach wie vor wenig gewürdigt; die große Stadtmauergrabung in der Judengasse liefert den Gegenbeweis nicht, solange bei Bauarbeiten in der Altstadt unkontrolliert gebuddelt werden kann.

Es gibt so vieles, das im Argen liegt, dass ich mich über die Erfolge der letzten Jahrzehnte, über das unbestreitbar Geleistete manchmal gar nicht so recht zu freuen vermag. Freilich, wir können uns glücklich schätzen, ein so gut geführtes Stadtarchiv mit einem hauptamtlichen Stadtarchivar zu besitzen, noch dazu besetzt mit einem profilierten Historiker wie Professor Borchardt. Das Reichsstadt-Museum wird unter der Leitung von Dr. Möhring weiter ausgebaut – auch hier zeigt die Stadt Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem historischen Erbe und erhebliches finanzielles Engagement. Vergleichbares finden Sie weit und breit kaum in Städten von der Größe Rothenburgs. Das historische Schrifttum über Rothenburg und sein Umland wurde Jahr für Jahr erweitert, die „Linde“ als heimatgeschichtliche Zeitschrift wird unter der Regie von Dr. Schnurrer mit ihren interessanten und anregenden Beiträgen regelmäßig herausgegeben, die gewichtigen, ja für die Stadtgeschichtsforschung epochalen Werke von Schnurrer und Borchardt wurden vom Verein finanziell unterstützt – ich meine hier das Rothenburger Urkundenbuch und die Darstellung der geistlichen Institutionen der Stadt und der Landwehr, beides für jeden Forscher unverzichtbare Nachschlagewerke auf Jahrzehnte hinaus. Die Stadt pflegt die in ihrem Besitz befindlichen Baudenkmäler, das Stadtbauamt bemüht sich nach Kräften. Die Stadtmauer, die städtischen Häuser, oft von hohem Denkmalwert, das Rathaus – all das und anderes mehr ein Fass ohne Boden, eine Mammutaufgabe angesichts der Finanzkraft der Stadt und spärlich fließender Fördermittel. Wir vom Verein wissen diese Leistungen zu schätzen, wir wissen, dass die Stadt schwer trägt an ihrer Vergangenheit und ihren im weit überdurchschnittlichen Maß erhaltenen Zeugnissen verflossener Jahrhunderte.

Dass hinter all diesen Bemühungen selbstredend nicht immer reiner Idealismus steckt, sondern dass es dabei auch ums ökonomische Kalkül geht, ist mir klar. Rothenburg muss ein adrettes Bild abgeben für die Besucher, es muss „Mittelalter“ konservieren und oft auch vorgaukeln. Wenn dies, wie es ja inzwischen bei den traditionsreichen historischen Vereinigungen und Spielgruppen in der Stadt teilweise geschieht, ohne geschichtstümelnden Bierernst erfolgt, sondern mit einem gewissen Maß an Leichtigkeit und Selbstironie verbunden ist, finde ich das nicht nur legitim, sondern sogar sympathisch. Der Verein Alt-Rothenburg leistet ja schließlich auch seinen Beitrag zur Identitätsfindung und –bestimmung der Stadt, indem er Stück für Stück die Vergangenheit der Stadt und ihrer Denkmäler erforscht und damit Baustein für Baustein beiträgt zur Erweiterung unseres Bildes von der Vergangenheit.

Wesentlichen Anteil an der Vermittlung und Verbreitung neuen Wissens hat hier die winterliche Vortragsreihe des Vereins. Sie wurde erstmals von Professor Borchardt organisiert, dem für seine Mühe herzlich gedankt werden muss. Die Vorträge fanden wie seit langen Jahren in der „Glocke“ statt und waren durchwegs gut besucht. Zum Auftakt sprach die junge englische Historikerin Dr. Alison Rowlands über 28 Prozesse wegen Hexerei und Zauberei, die in Rothenburg zwischen ca. 1550 und 1750 stattfanden und in die insgesamt 65 Personen verwickelt waren. Seit Jahren beschäftigt sich Frau Dr. Rowlands auf der Grundlage intensiver Archivrecherchen mit der Rolle der Frau auch im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt Rothenburg und hat auch ihre Doktorarbeit über diesen Gegenstand angefertigt. S dürfte für die meisten Zuhörer überraschend gewesen sein, in welch präzisem, klarem deutsch die sympathische Wissenschaftlerin ihre Ergebnisse dem Publikum vorlegen konnte.

Bislang war durch schon länger zurückliegende Untersuchungen von Dr. Schnurrer sehr wohl bekannt, dass im Unterschied zu benachbarten Territorien in und um Rothenburg die von Verblendung und Bestialität geprägten Hexenverfolgungen des 16. Und besonders des 17. Jahrhunderts nicht vorkamen. Frau Dr. Rowlands bestätigte dieses Ergebnis, erhärtete es durch empirisch-statistische Befunde und lieferte eine sehr überzeugende Analyse der Hintergründe, die zu diesem für Rothenburg durchaus rühmlichen Zustand geführt haben. In fast zwei Jahrhunderten gab es nur drei Hinrichtungen von „Hexen“ (mit dem Schwert, anschließend wurden die Leichen verbrannt), wobei in zwei Fällen das Delikt „Hexerei“ gekoppelt war mit der als schweres Kriminaldelikt angesehenen Kindstötung bzw. einem Giftmordversuch. Viele Verdächtige wurden gar nicht erst verhört, relativ wenige gefoltert. Es kam durchaus vor, dass nicht der oder die Beschuldigte bestraft wurden, sondern der Denunziant. Das geringe Ausmaß der Hexenprozesse, die Besonnenheit, mit der die Stadtobrigkeit vorging – das gehört durchaus zu den Ruhmesblättern der reichsstädtischen Vergangenheit Rothenburgs.

Im Januar sprach Prof. Werner Blessing von der Universität Erlangen über „Die Revolution von 1848/49 in Franken“. Neben einer Zusammenschau der bisher bereits bekannten Ursachen, Verlaufsstränge und Ergebnisse der bürgerlichen 48er Revolutionsbewegung konnte der Wissenschaftler dem Publikum auch einen Einblick in neuere Forschungsergebnisse und –ansätze vorlegen. Der Vortrag von Prof. Blessing kann sich auch für die Rothenburger Lokalgeschichtsschreibung in mancher Hinsicht befruchtend auswirken. Denn das 19. Jahrhundert gehört noch immer zu ihren Stiefkindern. Hier gibt es noch viel zu tun, als Ergänzung und Weiterführung der wegweisenden Arbeit von Gabriele Moritz.

Im Februar sprach Professor Dieter Weiß von der Universität Bayreuth über König Ludwig I. von Bayern und sein Verhältnis zum „neubayerischen“ Franken. Seine bewusste Geschichtspflege sollte, wie bekannt, die Integration der wittelsbachischen Gebietsgewinne aus napoleonischer Zeit vorantreiben.

Beide Vorträge, die die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts thematisierten, wiesen voraus auf das Jahr 1803, in dem die reichsstädtische Herrlichkeit und Unabhängigkeit Rothenburgs endgültig ihr Ende fand und auf das wir demnächst in einem Jubiläumsjahr zurückblicken können. Wir werden versuchen, unseren Beitrag zu diesem Gedenkjahr zu leisten.

Den Abschluss der Vortragsreihe bildete das Referat von Ekkehart Tittmann über den weithin unbekannten, aus Rothenburg stammenden Dichter Lupold von Hornburg, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts wohl überwiegend in Würzburg lebte und wirkte. Es gab zwei im Mittelalter belegte Familien, die sich Hornburg bzw. von Hornburg nannten: Zum ersten waren dies die als Bürger der Stadt belegten Hornburg, die seit 1319 bis zu ihrem Aussterben Ende des 16. Jahrhunderts in der Reichsstadt als ratsfähiges Geschlecht, als „Patrizier“ eine nicht unbedeutende Rolle spielten. Ihr bekanntester Vertreter war wohl Johann Hornburg, der an der Einführung der Reformation in Rothenburg maßgeblich beteiligt war. Noch heute finden sich, wie Ekkehart Tittmann mit vielen Dias belegte, Spuren der Hornburg in der Stadt. Neben den bürgerlichen, wenngleich möglicherweise aus der hochmittelalterlichen Ministerialität herkommenden Hornburg kennen wir die niederadeligen Ritter von Hornburg, eines Stammes mit den Küchenmeistern von Nordenberg, den Butiglern von Weiltingen und den Herren von seldeneck. Diese Hornburg gehörten also zu dem mächtigen Clan von eng versippten Reichsministerialen, die zeitweise eine dominierende Position in der Stadt innehatten und dort wichtige geistliche Institutionen reich dotierten bzw. an ihrer Gründung maßgeblich beteiligt waren: das Dominikanerinnenkloster, das Kloster der Franziskaner und das Neue Spital. Die Hornburg saßen in der Wasserburg von Insingen, dann auf der Hornburg bei Kirchberg an der Jagst. Daneben besaßen sie auch die unweit gelegene Burg Sulz, schließlich Reinsbürg bei Reubach, bevor sie 1478 ausstarben und von den Seldeneck beerbt wurden.
Es kann beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht entschieden werden, ob der Dichter Lupold dem bürgerlichen oder dem niederadeligen Stand zuzuordnen ist. Der Dichter ist mit seinen fünf Werken ausschließlich im Hausbuch des bekannten Michael de Leone aus Würzburg überliefert. In die politischen Verwicklungen seiner Zeit, nämlich den Thronstreit zwischen Ludwig dem Bayern und Karl von Luxemburg griff er mit der „Reichsklage“ ein, sicherlich im Auftrag eines mächtigen Herrn. Auch sein Nachruf auf Konrad von Schlüsselberg enthält eminent politische Passagen. Er, der in Rothenburg geborene Dichter, dessen Lebenslauf nur durch einige Schlaglichter erhellt wird, gehört zur Rothenburger Historie des 14. Jahrhunderts. Ekkehart Tittmann hat darauf hingewiesen.

Das Vereinsgeschehen im letzten Jahr, das ja nur ein gutes halbes Kalenderjahr war, soll zum Abschluss dieses Berichts nur kurz und unzusammenhängend skizziert werden. Es wird sich zeigen, dass wir auch weiterhin viel zu tun haben werden.

Noch immer gibt es in der Judengasse problematische Häuser, die wir zum Thema öffentlicher Diskussion machen wollen. Auf länger
Sicht sind Anwesen in ihrer statischen Substanz gefährdet. Man fragt sich, was wohl geschehen würde, wenn sich ein Haus am Marktplatz in so einem Zustand befinden würde. Unabhängig von Erfolgsaussichten müssen wir in so einem Fall Flagge zeigen und auf die bedenklichen Zustände hinweisen.

Die Verbesserung der Brandschutzanlage auf dem Röderturm, die insgesamt billiger gekommen ist als erwartet, konnte nicht zuletzt wegen der Hilfe von Herrn Knoll vorgenommen werden.

Die ursprünglich geplanten Baumaßnahmen der Diakonie im Heim Gottesweg (St. Leonhard) wurden inzwischen abgeändert und verträglicher gemacht. Eine denkmalpflegerische Argumentation ist in diesem Fall natürlich schwierig; dennoch ist die öffentliche Debatte darüber doch noch zum Glück einigermaßen erfolgt. Der Verein wird den Fortgang der Angelegenheit aufmerksam verfolgen. Ich bin mir sicher, dass die Silhouette des Taubertalhanges durch das neue Gebäude auch nach der abgemilderten Planung beeinträchtigt werden wird. Man muss nur einmal unvoreingenommen und offenen Auges durch die Gegend fahren.

Entscheidungen von dieser Tragweite – in ähnlicher Form gilt dies natürlich für die noch vel sensiblere Partie vor dem Klingentor mit dem Brauhausgelände – sollten erst nach einer längeren Diskussion im Stadtrat und in der Öffentlichkeit gefällt werden. Hier, meine ich, muss man dem Bau- und dem Werbebeirat mehr Zeit lassen, sich zu informieren und zumindest im Rahmen der Vorstandschaft der beteiligten Vereine und Gruppierungen eine fundierte Meinung zu bilden. Vielleicht sollten unsere Mitglieder doch verstärkt die Sitzungen des Bauausschusses besuchen, um sich einmal ein Bild zu machen.

Eine große Zukunftsaufgabe ist die Sicherung und Ergänzung des Film- und Fotobestandes des Vereins, die sich im Stadtarchiv befindet. Dies reicht vom Überspielen der Videokassetten auf DVD über das Sammeln alter, in Rothenburg gedrehter Spielfilme bis hin zum Aufruf an die Bevölkerung in der Linde oder im Jahresbericht, Material ins Archiv abzugeben. Vielleicht können wir diesbezüglich eine Arbeitsgruppe des Vereins ins Leben rufen.

Der fortgesetzte Verfall der Brunnen in der Stadt, ihr teilweise desolater Zustand, ruft nach einem Brunnenprogramm. In einer unserer Ausschusssitzungen wurden die Schäden mit Fotos belegt, auch seitens des Bauamtes sind bereits Bestandsaufnahmen dieser Art gemacht worden. Große Schäden wurden auch an anderen Orten festgestellt, z. B. am Reichsadler am Burgtor, am Renaissance-Portal am Rathaus. Man muss unbedingt ein genaues Schadensbild aufnahmen und über Maßnahmen nachdenke, etwa über eine Abdeckung der Brunnen im Winter. Denn als „Weihnachtsdekoration“ sind die Brunnen zu schade!

Das Brunnen-Thema war schon zu Beginn der Tätigkeit unseres 1. Vorsitzenden brisant und blieb es bis heute. Es bietet mir heute Abend des Anlass, Ihnen einen kurzen Rückblick auf die Arbeit von Karl-Heinz Schneider in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins Alt-Rothenburg vorzulegen.

Sie begann mit Donnergrollen, und sie endete mit Sturm, Blitz und scharfem Gegenwind: die „Ära Schneider“ im Verein Alt-Rothenburg. Im Jahr 1986 waren die Fronten zwischen Verein und Stadt offenbar derart verhärtet, dass der seinerzeitige 1. Vorsitzende Friedrich Keith keine Möglichkeit zur weiteren Zusammenarbeit mehr sah und nicht mehr kandidierte. Für Schriftführer Hans Winnerlein, der dem Verein lange Jahre treu gedient hatte, war das Maß ebenfalls voll. In seiner Rücktrittserklärung hieß es unter anderem: „In letzter Zeit mehren sich die Fälle und Anzeichen dafür, dass diesem Wachhund (gemeint ist der Verein) immer mehr vorgeschrieben werden soll, ob, wie laut und in welche Richtung er zu bellen hat.“ Auf Keiths Vorwurf der „Arroganz der Macht“ reagierte man seitens der Stadt sehr empfindlich, ob aus ehrlicher Verletztheit oder aus taktischem Kalkül wird nie zu klären sein.

16 Jahre später führten dann die Vorgänge um die Klosterscheune, die daraus entstandene öffentliche Kontroverse, schließlich die geringschätzige Behandlung des Vereins durch den Bauausschuss zum Verzicht von Herrn Schneider auf eine neuerliche Kandidatur für das Amt des 1. Vorsitzenden des Vereins. Die Diskussionen, die im Vorfeld dieser Entscheidung geführt wurden, liefen häufig auf die Alternative „Reine Lehre, vertreten durch den Verein“ – „praktizierter und praktikabler Denkmalschutz durch einzelne Bauherren“ hinaus. Ein falscher Ansatz! Wir haben in den letzten 16 Jahren nie eine reine Lehre verfolgt, waren in fast allen Fragen kompromissbereit. Wenn wir das einmal nicht waren, hat man uns das von verschiedenen Seiten übel genommen. Und dieses Übelnehmen beruht leider offenbar nicht allein auf den Differenzen in der Sache, sondern enthält wohl auch gelegentlich eine gehörige Portion an echtem oder gespieltem Beleidigtsein. Anders kann ich mir manchen Gefühlsausbruch in Ausschusssitzungen, manches unvermittelte Lospoltern nicht erklären.
Dabei müsste doch jedem klar sein, dass es gerade bei einem derart sensiblen Gegenstand wie der Denkmalpflege nicht darauf ankommt, über den Gegner zu triumphieren, auf Biegen und brechen recht zu behalten, seinen Kopf durchzusetzen. Hier geht es nicht allein um wirtschaftliche Interessen, nicht ausschließlich um die Frage: Wie mache ich mit meinem Baudenkmal Profit? Es geht auch nicht um politische Machtfragen: Wie und mit welchen Mitteln setze ich die von mir gewählte Lösung durch? Sondern es muss immer auch an einen ideellen Aspekt gedacht werden, nämlich daran, was dem Baudenkmal am besten bekommt, was es in seiner Substanz, in seiner Authentizität am bestens schont und der Nachwelt so lange wie möglich erhält. Um die Beantwortung der letzten Frage kümmert sich in dieser Stadt seit langem der Verein Alt-Rothenburg – selbstverständliche nicht allein, aber doch an exponierter Stelle. Und ich glaube, in weiten Kreisen der Bevölkerung hat man dafür Verständnis und bringt dem Verein Sympathie entgegen.

Kommen wir zurück zu unserem kurzen Rückblick auf die langen Jahre, in denen Karl-Heinz Schneider den Verein geführt hat. Es begann 1986; über den Konflikt zwischen dem Verein und der Stadt berichtete die Presse noch positiv. Es folgte eine längere öffentliche Diskussion über die auch überregional so gesehene Einstufung bzw. „Verunglimpfung“ der Stadt als „Disneyland“, es ging um Begriffe wie „Verkitschung“ und „Massentourismus“ mit all den ärgerlichen Begleiterscheinungen, an die sich die Stadt inzwischen gewöhnt hat. Man kann es sich kaum vorstellen: Die Zustandsbeschreibung, in der Stadt herrsche Massentourismus, wurde damals von manchen noch erbittert abgelehnt.

Im Vereinsausschuss bzw. –vorstand saßen noch Rothenburger Institutionen wie Wild, Hahn, Hannwacker, Rosemann, Fritz Schmidt, natürlich als Kassier Wilhelm Staudacher, an den wir noch immer mit Wehmut zurückdenken, Frau Dr. Merz, die das Reichsstadt-Museum prägte, als Bodendenkmalpfleger Anton Müller.

Unser damals noch junger, heute noch immer jugendlicher neuer Vorsitzender wollte die Eigentumsverhältnisse im Reichsstadt-Museum geklärt wissen. Waren doch zu Beginn des Dritten Reiches gegen eine eher geringe finanzielle Abfindungen die Sammlungen des Vereins an die Stadt übergegangen, hatte der Verein in den Nachkriegsjahrzehnten beträchtliche Summen für teilweise spektakuläre Museumsankäufe gespendet. Es ist sicher ein verdienst von Karl-Heinz Schneider, auf diese Problematik hingewiesen zu haben. Denn unsere Leistungen für das Museum sind unbestreitbar. In der Zeit von Herrn Schneider haben wir rund 180. 000.- DM für die Erweiterung der Museumsbestände ausgegeben. Erwähnt seien nur die Zinnwaren, die Judaica, die spätgotischen Scheibenleuchter, Porträts der Patrizierfamilien Pürckhauer und Walther, mittelalterliche Gefäße, verschiedene Gemälde u. a. von Prentzel und Foerster, die Creußener Fayence-Krüge, das Skizzenbuch von Hans Thoma, die Einrichtung der Georgen-Apotheke – und das alles in einer Zeit, da aus dem Stadtsäckel kaum etwas für Ankäufe ausgegeben wurde. Zusätzlich konnte der Verein auf dem Weg der Bezuschussung von ABM-Maßnahmen oder durch Werkverträge tätig werden. Ich denke etwa an die Inventarisierung des Nachlasses von Theodor Alt oder an die Arbeiten von Michael Kamp über die Judengasse.

Es gab auch eine Reihe von Ankäufen für das Stadtarchiv, von der Koberger-Inkunabel über das Stammbuch aus dem 19. Jahrhundert bis zum historischen Film aus dem Jahr 1906.

Jahr für Jahr wurde das Rothenburg-Schrifttum erweitert, durch die oft recht aufwändig gestalteten Jahresgaben oder durch namhafte Zuschüsse zur Drucklegung umfangreicher Werke wie die von Borchardt oder Schnurrer. Die vom Verein getragene und finanzierte winterliche Vortragsreihe hat sicherlich auch manches in der Stadt bewirkt.

Der Aufbau der Judaica-Abteilung im Reichsstadt-Museum, die ernsthafte Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte der Stadt und damit das Ins-Bewusstsein-Rufen eines wichtigen Teils der mittelalterlichen Stadtgeschichte zählen zu den bleibenden Verdiensten der damaligen Museumsleiterin. Die finanzielle, ideelle und wissenschaftliche Unterstützung seitens des Vereins waren dabei sicherlich hilfreich.

Ein guter Teil dieser soeben angesprochenen Vereinsausgaben stammt aus den Einnahmen, die der Röderturm Jahr für Jahr abwarf. Seit dem Wiederaufbau nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges hat die Stadt dem Verein, der sich nach 1945 um diesen Turm kümmerte und zu seiner Restaurierung beitrug, die Nutzung des Turmes überlassen. Der Turm bildete über eine lange Zeit die wichtigste finanzielle Stütze des Vereins und ist auch heute noch von großer Bedeutung für uns. Wir haben uns den Turm aber auch einiges kosten lassen, wenn es um Feuerschutzmaßnahmen oder um die museale Gestaltung der Turmstube ging, die maßgeblich von Ekkehart Tittmann geprägt und von Peter Nedwal gestaltet wurde.

Die Altstadtarchäologie hatte immer wieder ihren Platz im Vereinsleben. Die Grabungen etwa im Feuerleinserker, in der Rossmühle, an der Brücke am Turmseelein, in der Franziskanerkirche, in der ehemaligen Dresdner Bank am Marktplatz, in der Judengasse und andere mehr sind in erster Linie als große Leistung von Horst Brehm, den ich gerne wieder in unseren reihen sehen würde, zu würdigen. Der Verein hat die Bedeutung der Mittelalterarchäologie für die Stadtgeschichte stets betont und ihre Aktivitäten nach Kräften unterstützt, ohne einen Idealzustand in der Stadt herbeiführen zu können. Hier besteht ein Informationsdefizit, ohne das die vielleicht beschämenden, auf jeden Fall ärgerlichen und für die Sache schädlichen Vorgänge im Rechtsstreit Brehm contra Stadt wegen des Münzschatzfundes kaum zu erklären sind.

Ein anderes, ein erfreuliches Kapitel aus der Ära Schneider soll nun folgen. Nachdem man sich jahrelang über die Entwicklung der Altstadt den Kopf zerbrochen, in der Öffentlichkeit gestritten, mit Vorträgen, insbesondere von unserem Ausschussmitglied Knoll, geworben, die Scheunenproblematik und die Ausblutung des Klingenviertels angesprochen und schließlich sogar den Vorschlag eines Bebauungsplanes für die Altstadt in mühseliger Arbeit ausgearbeitet hatte, verschaffte die segensreiche Heilbronner Erbschaft im Jahr 1989 dem Verein ein erhebliches Vermögen und versetzte ihn in die Lage, auf dem Gebiet der praktizierten Denkmalpflege selbst tätig zu werden. Die Sanierung der Judengassenhäuser nahm über Jahre hinweg die Kräfte des Vereins in Anspruch. Aber der Aufwand hat sich gelohnt, wie wir heute bei einem Gang durch die Judengasse sehen können.

Nicht alles, was im Verein in den letzten 16 Jahren geschehen ist, wird Karl-Heinz Schneider in der Rückschau mit Freude erfüllen. Es gab viel Ärger und noch mehr Arbeit, es gab viele Ideen, viele Anregungen aus dem Kreis des Ausschusses und der Vereinsmitglieder, die nie über den Zustand der Planung hinaus gerieten. Das Projekt „Judengassenhäuser“ wäre zu Beginn der Vorstandschaft von Karl-Heinz Schneider noch als Utopie belächelt worden. Dass das Werk gelang und zu einem guten Ende gebracht wurde, ist zweifelsohne das Verdienst vieler Leute – Wilhelm Staudacher, Architekt Knoll in vorderster Reihe. Nicht zu vergessen sind die Vertreter der Stadt, denn nur im guten Einvernehmen mit ihnen konnten wir Erfolg haben. Aber selbstverständlich hat auch der 1. Vorsitzende des Vereins einen gehörigen Anteil an der Wiederauferstehung der schönen spätmittelalterlichen Reihenhäuser. Wenn ihn in Zukunft gelegentlich der Ärger beim Zurückdenken an seine Arbeit für den Verein drücken sollte, möge er die Judengasse hinab spazieren, und der Groll wird sich in Wohlgefallen auflösen.

Man kann Karl-Heinz Schneider bewundern ob seines Einsatzes für Alt-Rothenburg, ob seiner vielfältigen Aktivitäten, und man kann es ihm nicht verdenken, wenn nun, nach 16 Jahren, seine Frustrationstoleranz an ihre Grenzen stößt. An „Männerstolz vor Königsthronen“, um einmal Friedrich Schiller zu bemühen, hat es ihm selten gefehlt, und „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ war gewiss nicht seine Devise. Der Verein hat ihm viel zu verdanken, und er drückt dies, wie es seinen Gepflogenheiten entspricht, nach außen zurückhaltend und ohne großes Tamtam aus. Im Inneren aber sagen wir ihm ein um so herzlicheres Dankeschön und wünschen ihm für die Zukunft alles erdenklich Gute. Mangel an beruflichen Aufgaben und öffentlichem Engagement herrscht ja bei ihm nicht gerade.

Vielleicht gelingt es uns, auch mit einer neuen Vorstandschaft Probleme wie die eben skizzierten weiterhin aufzugreifen und irgendwann zu lösen. Dazu werden wir eine gute Portion Courage und eine gewisse Hartnäckigkeit benötigen. Karl-Heinz Schneider hatte diese Standfestigkeit und einen langen Atem – über 16 Jahre hinweg. Wir werden versuchen, in seinem Sinne weiter zu arbeiten.

Dr. Richard Schmitt, 07.12.2002