Das Ende der jüdischen Gemeinde Creglingen
Prof. Dr. Horst. F. Rupp
„Das Ende der jüdischen Gemeinde Creglingen in den Jahren 1933 bis 1939.“
In der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg schilderte Prof. Horst. F. Rupp (Universität Würzburg) am vergangenen Freitag im Gasthof „Glocke“ das Schicksal der Creglinger Judengemeinde in den Jahren 1933 bis 1939.
Zusammen mit dem Mergentheimer Gymnasiallehrer Hartwig Behr hat er 2001 Forschungsergebnisse zur jüdischen Geschichte Creglingens in einem historisch fundierten, den Leser beeindruckenden und teilweise bedrückenden Buch mit dem Titel „Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen“ vorgelegt, dessen Thematik noch immer für Unruhe in der kleinen Stadt und zu offenen Fragen über ihren Umgang mit der Nazivergangenheit sorgt.
Jüdischer Friedhof Creglingen:
Grab von Hermann Stern, gestorben am 25. März 1933 an den Folgen der schrecklichen Mißhandlungen während des Creglinger Pogroms. Dazu Prof. Dr. Rupp: „Gäbe es eine Namensliste der über 6.000.000 ermordeten Juden, Hermann Stern und Arnold Rosenfeld stünden ganz oben als erste Opfer der Shoa“.
In Creglingen wohnten seit dem späten Mittelalter Juden, seit 1799 gab es eine Synagoge. Gelegentliche Konflikte mit der christlichen Mehrheit sind zwar für das 19. Jahrhundert dokumentiert – Störung des Sonntags bzw. Feiertags durch Geschäfte, öffentliches Waschen von Kleidung, werktägliche Kleidung usw. – , doch herrschte in der Regel wohl eine wie auch anderswo zu beobachtende Normalität. Juden spielten im Gemeindeleben teilweise eine geachtete Rolle, einzelne wurden wohlhabend – und vermutlich entsprechend beneidet -, andere waren arm. Waren die extrem hohen Wahlergebnisse für die Hitler-Partei am Ende der Weimarer Republik tatsächlich eine deutliche Warnung für die kleine jüdische Gemeinschaft mit ihren rund 75 Mitgliedern bei einer Stadtbevölkerung von rund 1700 Einwohnern? Wohl kaum. Die dortigen Juden hofften auf ein auch weiterhin friedfertiges Zusammenleben mit ihren Nachbarn. Creglingen hat sich sicher nicht fundamental unterschieden von vergleichbaren Kleinstädten mit kleinbürgerlich-evangelischer Struktur und bäuerlichem Umland. Dort gab es schon immer latenten Antisemitismus, Rothenburg und seine „Landwehr“ machten da keinen Unterschied, wie etwa an den Wahlergebnissen abzulesen ist.
Creglingen ist vermutlich eher zufällig zu einem Ort mit Symbolcharakter geworden. Wenn Prof. Rupp formuliert: „Die Shoa hat in Creglingen ihren Anfang genommen“, will er sicherlich nicht eine außergewöhnliche Schuld der Bewohner ausgerechnet dieser Gemeinde einfordern, sondern es handelt sich lediglich um eine sachlich-nüchterne Feststellung. Denn offenbar waren die zwei 1933 von der SA in Creglingen zu Tode geprügelten Bürger die ersten Opfer von Hitlers Rassenwahn.
Noch bevor es zu ersten reichsweiten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte gekommen war, terrorisierte eine Bande von SA-Schlägern unter der Führung des 25jährigen Fritz Klein aus dem Heilbronner Raum verschiedene Städte in Württembergisch-Franken und ließ ihren Hass vor allem an Mitgliedern von KPD, SPD und Gewerkschaftlern aus. Am 25. März 1933, einem Samstag, kam die SA-Terrorgruppe, begleitet von Schutzpolizisten, nach Creglingen, ergriff einen Großteil der jüdischen Gemeinde beim Gottesdienst in der dortigen kleinen Synagoge, ließ die übrigen Juden mit Hilfe der örtlichen Nazis zusammentreiben und schließlich 16 Männer aufs Rathaus bringen. Hausdurchsuchungen in den Häusern der Juden brachten natürlich weder Waffen noch Propagandamaterial zutage. Im Rathaus wurden die jüdischen Männer gedemütigt und derart durch Schläge misshandelt, ja gefoltert, dass die geachteten Bürger Hermann Stern (53 Jahre alt) und Arnold Rosenfeld (67) starben. Die bei dem Verbrechen auf den Straßen anwesenden Creglinger blieben meist passiv, nur einer erhob Protest und konnte tatsächlich seinen jüdischen Nachbarn aus den Händen seiner Verfolger befreien. Eine Reihe von Creglingern äußerte an diesem Morgen allerdings öffentlich Beifall und wünschte einzelnen Juden Schlimmes.
Das Martyrium der jüdischen Männer in ihrer Heimatstadt Creglingen wäre wohl kaum so erfolgt, hätten nicht Einheimische die von auswärts anrückenden Verbrecher mit Informationen versorgt und ihnen assistiert. Dass Prof. Rupp und andere die Creglinger Ereignisse von 1933 dem Dunkel des Vergessens und Verdrängens wieder entrissen haben und dass sich die Creglinger gerade dieser Vergangenheit ganz einfach stellen müssen, ist mit ein Verdienst des Referenten. Die Bereitschaft einiger weniger Leute in Creglingen und außerhalb, Konflikte – auch gegen polemisch-unsachliche Einwände – mutig durchzufechten, hat dafür gesorgt, dass man in Creglingen über das „Dritte Reich“ mehr weiß als anderswo. Und zugleich hat Prof. Rupp einen nennenswerten wissenschaftlichen Beitrag zur düsteren Geschichte des Nationalsozialismus und der mit ihm verbundenen menschlichen wie intellektuellen Verirrung im 3. Reich geleistet. Das von Hartwig Behr und Horst. F. Rupp geschriebene Buch ist unbedingt als Lektüre zu empfehlen.
Rothenburg kann leider derartiges nicht vorweisen. Die Stadtgeschichte während der Nazizeit kennt man nur in einzelnen Punkten, ein von der Stadt initiierter und mitfinanzierter Forschungsauftrag verlief bis jetzt im Sande. Dieter Balb hat vor rund 20 Jahren mit der Auswertung der Lokalpresse aus den Jahren 1920/1939 einen beachtlichen und verdienstvollen Anfang gemacht. Viel mehr geschah seitdem leider nicht.
Dr. Richard Schmitt