21.11.2014 | Rothenburger Reaktionen auf die Ausbreitung der reformatorischen Bewegung.

21.11.2014, 20 Uhr, Gasthof Glocke

Dr. Markus Naser:
Rothenburger Reaktionen auf die Ausbreitung der reformatorischen Bewegung.

Veranstalter:
Verein Alt Rothenburg, Evangelisches Bildungswerk

 

Ausschnitt aus dem Manuskript.

Die 95 Thesen Martin Luthers markieren den Beginn einer neuen Epoche. Durch die Erfindung des Buchdrucks konnte sich die reformatorische Bewegung wie ein Lauffeuer verbreiten und Luthers Ideen wurden vielerorts sofort mit Begeisterung aufgenommen – so die gängige Darstellung in Geschichtsbüchern. Inwieweit diese Vorstellung auch auf die Reichsstadt Rothenburg zutrifft, wird Dr. Markus Naser vom Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte der Universität Würzburg auf Basis von Rothenburger Quellen beleuchten. Wie lange dauerte es, bis Luthers Thesen Rothenburg erreichten? Wie sahen die Reaktionen des hiesigen Klerus aus? Wer waren die führenden Köpfe der Reformation in Rothenburg? Wer die entschiedensten Gegner? Und welche Rolle spielte der Stadtrat bei der Ausbreitung der reformatorischen Bewegung, die in Rothenburg alles andere als geradlinig verlief?

Eine Veranstaltung im Rahmen der „Rothenburger Diskurse“

 

 

 

 

Am 21.11.2014 hielt Dr. Markus Naser (Wolfsau), Wissenschaftlicher Rat am Lehrstuhl für fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg, einen sehr fundierten und anschaulichen Vortrag über die Einführung der Reformation in Rothenburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Die zeitgeschichtlichen Hintergründe dieses mehrere Jahrzehnte dauernden Prozesses sowie die nicht selten dramatischen Vorgänge in dessen Verlauf wurden gerafft und zugleich präzise vorgestellt. Rund 80 Zuhörer füllten die „Kelter“ des Gasthofs „Zur Glocke“ – eine für Veranstaltungen dieser Art in Rothenburg sehr große Zahl.

Dass sich derart viele Interessenten einfanden, liegt sicherlich an der Zusammenarbeit des Evangelischen Bildungswerks (Pfarrer Dr. Gußmann) mit dem Verein Alt-Rothenburg, die den Abend gemeinsam veranstalteten, maßgeblich unterstützt von der Städtischen Kulturbeauftragten Johanna Kätzel, die einen Gutteil der Organisation und Werbung übernommen und den Vortrag in die von ihr ins Leben gerufenen „Rothenburger Diskurse“ aufgenommen hatte.

Im 15. Jahrhundert hatte die abendländische, die katholische Kirche endgültig ihr Monopol über die Seelen der Menschen durchgesetzt, Andersdenkende („Ketzer“) waren mit Feuer und Schwert zum Verstummen gebracht worden. Aber es herrschte damals oft eine große Unzufriedenheit mit der Amtskirche, deren Würdenträgern man persönliches Fehlverhalten vorwarf (z. B. Prunksucht, Vernachlässigung der Seelsorge oder liederlichen Lebenswandel). Auf der Rückseite des Herlin-Altars in der Jakobskirche hat sich das Gemälde eines „Weltgerichts“ von 1466 erhalten, das zeigt, wie König, Bischof und Papst nicht nur im Himmel, sondern auch in der Hölle landen können. Man darf das als offene, zumindest aber latente Kritik am damaligen Klerus interpretieren.

Hochkonzentriert: Publikum und Referent

 

Luthers Missfallen an der Amtskirche betraf zunächst den Ablasshandel; seine 1517 publizierten „95 Thesen“ von Wittenberg waren eine Generalabrechnung mit dieser Unsitte, die nebenbei auch viel Geld in die Kasse des Papstes brachte. Luthers Thesen und wenig später seine weiteren reformatorischen Schriften verbreiteten sich durch den Buchdruck in Windeseile. In Rothenburg hat wohl der vom Rat bestellte Prediger Johannes Teuschlein Zugang zu den „95 Thesen“ gehabt. Er arbeitete allerdings vorläufig noch in eine andere Richtung: Mit judenfeindlicher Agitation bewirkte er 1520 die Vertreibung der Juden aus der Stadt und rief als glühender Marienverehrer eine kurzzeitig sehr erfolgreiche Wallfahrt „Zur reinen Maria“ ins Leben, die als Ziel die zur Marienkapelle umgebaute ehemalige Synagoge auf dem Schrannenplatz („Judenkirchhof“) hatte.

1522 findet sich dagegen schon reformatorisches Gedankengut bei Teuschlein. Der Rat der Stadt stellte sich auf seine Seite, als Teuschlein im Streit mit den Deutschordenspriestern lag, denen St. Jakob unterstand. Dies hatte zur Folge, dass der Deutsche Orden einen neuen, evangelisch gesinnten „Stadtpfarrer“ namens Kaspar Christian schickte. Luthers Ideen breiteten sich in Rothenburg weiter aus, etwa im Franziskanerkloster, wo Hans Schmidt, der „blinde Mönch“ predigte, oder in der Landwehr. Dorfpfarrer predigten in deutscher Sprache und postulierten die Orientierung allein am Evangelium.

Als 1524 ein „nationales“ deutsches Konzil vorbereitet wurde (zu dem es nicht kam), lieferte die Reichsstadt Rothenburg zwei konträre Gutachten ab: ein altgläubiges, hinter dem der überwiegend katholische Rat stand, und ein reformatorisches, das offensichtliche von der großen Mehrheit der Handwerker und einfachen Leute unterstützt wurde – und vom Ratsherrn Ehrenfried Kumpf. Immerhin beweist das Zustandekommen beider Stellungnahmen von 1524, dass man damals noch nach Kompromissen suchte.

 

Reich bebildert hat Dr. Naser seinen Vortrag. Foto: Jochen Ehnes

Ende 1524 kam Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (dort wurde er geboren), erst Anhänger Luthers, dann als radikaler „Bilderstürmer“ dessen Gegner, nach Rothenburg und wohnte bei Ehrenfried Kumpf. Seine Rolle bei den Ereignissen des Jahres 1525 ist umstritten, sollte aber keineswegs überschätzt werden.

Als im Frühjahr 1525 die Rothenburger Handwerker und weitere Unzufriedene, unterstützt von den aufständischen Bauern des Umlandes, den alten Rat entmachteten und einen vorübergehend in der Stadt dominierenden „Ausschuss“ einrichteten, konnte Karlstadt eine Zeitlang öffentlich predigen. Es kam in der Kobolzeller Kirche zu bilderstürmerischen Verwüstungen, die Deutschordens- und Johanniterritter, die Rothenburger Mönche und Nonnen mussten den Bürgereid schwören und sich damit den Regeln der Stadt unterwerfen. Für eine kurze Zeit galt das (lutherische) Evangelium.

Da aber die Stadt massiv in den Bauernkrieg involviert war, die Bauern – etwa durch die Lieferung von Geschützen zur Belagerung der bischöflichen Feste Marienberg in Würzburg – unterstützt hatte und nach der grausamen Bestrafung der Bauern bei den Fürsten eindeutig in Misskredit geraten war, erlitt die reformatorische Richtung einen gehörigen Rückschlag. Teuschlein und der „blinde Mönch“ waren enthauptet worden, Ehrenfried Kumpf und Pfarrer Christian geflohen. Nun wurde in Rothenburg wieder die katholische Messe gelesen, die dauerhafte Einführung der Reformation ließ noch fast zwei Jahrzehnte auf sich warten.

 

Dr. Markus Naser lebt in Wolfsau und ist Wissenschaftlicher Rat am Lehrstuhl für fränkische Landesgeschichte an der Universität Würzburg.

Nach Dr. Nasers Meinung hätte es auch anders kommen können. Die mächtige Reichsstadt Nürnberg etwa zeigte ein besonnenes Verhalten gegenüber den Bauern, gab berechtigten Anliegen nach, trat aber nicht in ein Bündnis mit den Aufständischen ein. Die Stadt wurde schon sehr früh evangelisch, ebenso das kleine Windsheim. Rothenburg, das sich 1525 „die Finger verbrannt hatte“ (Naser), nahm nun am Fortschritt der Reformation (1529 Speyerer Protestation, 1530 Augsburger Bekenntnis) nicht mehr teil, wenngleich die meisten Bürger „innerlich“ wohl reformatorisch eingestellt blieben. Erst eine neue Generation von Mitgliedern der Ehrbarkeit startete einen zweiten Reformationsversuch. Zu nennen sind hier vor allem Johannes Hornburg (1537 im Rat, 1539 Bürgermeister) und Johannes Winterbach. Beide hatten in Wittenberg studiert.

Als der Deutsche Orden seinen Verpflichtungen an der St.-Jakobskirche nicht mehr nachkommen konnte und zu wenig Priester stellte, nahm der Rothenburger Rat 1544 das inzwischen reichsrechtlich verankerte Prinzip des „cuius regio, eius religio“ in Anspruch, nach dem der Landesherr über die kirchlichen Verhältnisse in seinem Gebiet bestimmen durfte. Aus Nürnberg gewann man den fähigen Prediger Thomas Venatorius, der am 23. März 1544 seine erste Predigt hielt. 1545 verdrängte man die Deutschherren aus der Jakobskirche, auch bei den Johannitern durfte keine Messe mehr gelesen werden.

Einen vorübergehenden Rückschlag erlitten die Protestanten, nachdem sie von Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 besiegt worden waren. In St. Jakob konnten die Deutschordenspriester wieder katholische Gottesdienste abhalten. Aber dann wurde in kurzer Zeit die Reformation in Rothenburg endgültig vollendet. 1559 bildete eine eigene Rothenburger Kirchenordnung, entworfen von Jakob Andreä aus Tübingen, den logischen Abschluss der Rothenburger Reformation.

Es war typisch für die damalige Zeit und auch für Luthers Obrigkeitsverständnis, dass der radikaldemokratische und sozialrevolutionäre Versuch, Rothenburg in den Jahren des Bauernkriegs für die Reformation zu gewinnen, scheiterte, während zwanzig Jahre später die Einführung der neuen Lehre von oben problemlos erfolgen konnte.

In der auf den Vortrag folgenden Aussprache beantwortete Dr. Naser souverän und sympathisch zahlreiche Fragen aus dem Publikum.

 

Der scheidende VAR-Vorsitzende Dr. Karl-Heinz Schneider dankte Dr. Naser für seinen fachkompetenten Vortrag. Foto: Jochen Ehnes

 

 

Eindrücke von der Veranstaltung