Jahresbericht 2003/04
Vorgetragen von Schriftführer Dr. Schmitt auf der Jahreshauptversammlung am 11. 05. 2004 im Gasthof „Zur Schranne“
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
was bayerischer Zentralismus bedeutet, habe ich im letzten Jahr mehr als deutlich erfahren. Als Gymnasiallehrer wurde mir zu Beginn des Schuljahres im September 2003 ein schön gestalteter, weiß-blauer Ordner überreicht, der für alle Fächer den neuen Lehrplan des Gymnasiums von der 5. bis zur 11. Jahrgangsstufe enthielt und mit dem laufenden Schuljahr in Kraft trat. Einige hundert Kollegen und andere pädagogische Fachleute haben wohl Tausende von Stunden in dieses Werk investiert.
Es dauerte nicht lange, da erfuhr man aus den Medien, dass der mit viel Geld, Zeit und Herzblut ausgearbeitete Lehrplan ein Fall für die Altpapiersammlung sein würde. Er gilt bzw. galt gerade mal für ein Schuljahr. Warum das? Warum eine derartige Verschwendung von finanziellen und personellen Ressourcen?
Genau! Weil eben etwas Wichtigeres Vorrang hatte. Trotz der mannigfachen Studien und Untersuchungen, die dem bayerischen Gymnasium bisheriger Prägung durchaus keine schlechten Noten attestierten. Nämlich die handstreichartige Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern, ohne eine zumindest mehrjährige Erprobungsphase mit gründlich vorbereiteten Lehrplänen, ohne eine nennenswerte öffentliche Diskussion über das Für und Wider, ohne seriöse Befragung der Betroffenen. Über den Sinn und die Notwendigkeit dieser im Geiste des bürokratischen Absolutismus dekretierten Maßnahme konnte und kann man im modernen Bayern des dritten Jahrtausends ausgiebig streiten – allerdings erst nachdem Fakten geschaffen wurden.
Die Schulreform, die momentan abläuft, wird die Stadt Rothenburg letztlich nicht sonderlich schädigen, sie wird ihr auch keinen besonderen Nutzen bringen. Gehen weniger Kinder aufs Gymnasium, besuchen sie eben die Realschule oder die Hauptschule; schrumpft die eine Schule, wächst die andere.
Andere der verordneten bzw. angekündigten Verschlimmbesserungen im Zuge der Stoiberschen Verwaltungsstraffung stäuben allerdings auch unsere Stadt durcheinander. Das Amtsgericht in Gefahr! Das Forstamt ebenso. Der Rang Rothenburgs als zentraler Ort ist durch die Pläne der Staatsregierung nicht unerheblich bedroht. In München mag man sich einbilden, mit solchen zunächst unpopulären und schmerzhaften Beschlüssen die Weichen für eine glorreiche Zukunft zu stellen, ganz so, wie es vor rund 200 Jahren ein Graf Montgelas konsequent und gnadenlos praktiziert hat. Stoiber, Hohlmeier und Co. in einer Reihe mit dem Freiherrn von Stein, mit Wilhelm von Humboldt und anderen. Eindeutig ein Fall für die Geschichtsbücher späterer Generationen, in denen zu lesen sein soll: Kurz nach der Jahrtausendwende machte die Bayerische Staatsregierung das Bundesland Bayern gerade noch rechtzeitig fit für den Überlebenskampf der Nation im Zeitalter der Globalisierung!
Doch noch stehen die Büsten unseres Ministerpräsidenten und seiner vornehmsten Mitstreiter nicht in der Walhalla, so einfach ist die Sache nicht. Auch von höchster Stelle verordneter Unsinn bleibt Unsinn. Und das darf man heutzutage auch öffentlich und laut sagen. Denn wir leben nun einmal nicht mehr im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Man macht sich damit keine Freunde, man wird als Beamter vielleicht diskret darauf hingewiesen, dass derart aufmüpfiges Verhalten nicht unbedingt karriereförderlich sei. Aber man kann es sagen, ohne in seiner Existenz bedroht zu sein. Das ist eindeutig ein historischer Fortschritt.
So kann man zum Beispiel die Auffassung äußern, dass die von oben geplante, womöglich bereits beschlossene Verringerung der Außenstellen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege im Bereich der Vor- und Frühgeschichte ein ausgemachter Blödsinn sei. Bisher wurden die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Landesamtes von Nürnberg aus betreut, in Zukunft soll das von Augsburg aus geschehen – bei entsprechender Kürzung der hauptberuflichen Mitarbeiterstellen. Hier wird im Endeffekt wenig gespart und unendlich viel vernichtet. Hier besiegt womöglich der Rotstift den regionalen und lokalen Sachverstand. Es muss ja nicht immer alles so bleiben, wie es war. Doch Veränderungen, wollen sie als Reformen in die Geschichte eingehen, müssen Verbesserungen mit sich bringen, nicht Verschlechterungen für die Sache und die betroffenen Menschen.
Eine kleine Episode des aufgeklärten Absolutismus in der Alt-Rothenburg-Chronik des letzten Jahres gibt es heute abend auch zu vermelden. Ich meine damit nicht die Erneuerung der Rathaustreppe, die meiner Meinung nach sorgfältig und ins Gesamtbild des Marktplatzes gut eingepasst erfolgt ist. Nicht zuletzt wurde die archäologische Forschung gebührend beteiligt. Dank und Anerkennung an den Stadtbaumeister. Ich meine etwas anderes. Im Herbst 2003 wurden in der Stadt zahlreiche neue Ruhebänke aufgestellt, ohne Zweifel eine sinnvolle, verdienstvolle Aktion der Stadtverwaltung. Über die Gestaltung und teilweise auch die Standorte der Bänke entstand ein kurzer, aber heftiger Streit in der Lokalpresse mit ihren Leserbriefen. Ich meine dazu: Bänke sind Bänke, sie kommen und gehen, sie besitzen nicht die Bedeutung, die etwa im vorletzten Jahr die fragwürdige Umgestaltung der Rödertorbastei einnimmt. Aber auch an diesen Bänken in der Altstadt reibt sich mein Selbstverständnis als Beobachter des Stadt- und Vereinsgeschehens. Mit den Leserbriefschreibern empfinde ich die nüchternen Bänke nicht als besonders stilvoll, ich will sie andererseits nicht in Grund und Boden verdammen. Es gäbe Schlimmeres, vor allem Kitschigeres. Also ein Streit um des Kaisers Bart? Beileibe nicht. Denn als wenig stilvoll empfand ich die Reaktion seitens der Stadtobrigkeit auf die maßvoll und höflich vorgebrachten Einwände einiger ihrer Bürger bzw. Bürgerinnen. Als Berichterstatter und Kommentator des Vereins ist es meine gottverdammte Pflicht, auf Missstände hinzuweisen. Das macht mir keinen Spaß, es bringt mir keine Vorteile, sondern gelegentlich giftige Repliken und Anfeindungen. Aber es geht nun einmal nicht an, dass in einer Stadt, in der Denkmal- und Stadtbildpflege einen derart hohen Rang einnehmen und in der gottseidank noch immer eine große Zahl von Menschen ein hohes Maß an Sensibilität für diese Materie besitzen, solche Entscheidungen gefällt werden ohne öffentliche Diskussion und ohne Hinzuziehung aller eigentlich zu befragenden Gremien. Oder hat man etwa den Bau- und Werbebeirat gefragt? Mag der eine oder andere der Auffassung sein, am Brunnen vor dem Röderbogen müsse eine Bank stehen – ich bin es nicht. Und ich will mich auch nicht abkanzeln lassen, wenn ich eine abweichende Meinung vertrete und öffentlich Kritik äußere.
Drum richte ich an dieser Stelle huldvollst die wiederholte Bitte an den Souverän: Beteiligt um Himmels Willen die Bürger, die vorgesehenen Instanzen und Vereine am Prozess der Meinungsbildung und an den Entscheidungen, wann immer dies möglich ist. .
Sehr lobenswert empfinde ich deshalb, dass es im letzten Jahr weitere Anläufe gegeben hat, ein Konzept für die zukünftige Stadtentwicklung zu finden, neue Wege zu suchen und darüber nachzudenken, welche Vorstellungen – heute heißt das „Visionen“ – man davon hat, wie die Stadt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voranschreiten soll. Das ist keine einfache Materie, da herrscht wohl noch Ratlosigkeit an allen Fronten. Der Verein Alt-Rothenburg hat sich bisher nur am Rande in diese Diskussion eingeschaltet, es ist auch die Frage, inwieweit es zu seinen Aufgaben gehört, als Organ aktueller Stadtplanung tätig zu werden. Wir sind dabei, darüber nachzudenken. Versperren möchten wir uns diesem Vorhaben keineswegs, wir haben auch an verschiedenen Gesprächsrunden teilgenommen, die im Vorfeld stattgefunden haben. Skepsis muss ich allerdings empfinden angesichts so mancher Thematik, die in der Lokalzeitung breiten Raum einnahm – und sogar vielleicht in erster Linie von ihr inszeniert wurde. Manchmal scheint es mir, als streite man sich um Luftschlösser, da die Realisierung solcher Projekte von vorneherein unmöglich ist.
Das gilt nicht für den im letzten Jahr gegründeten „Kulturverein“, an dem wir nach einer Phase der Beobachtung sicherlich mitwirken werden, wenn es ihm gelingt, wirklich zu einem organisatorischen Fixpunkt in der Stadt zu werden. Der Stadt kann ein solcher Verein allerdings nicht allzuviele Aufgaben abnehmen, hier muss sie auch in Zukunft selbst Verantwortung übernehmen. Unter anderem im Hinblick auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem hohenloheschen Nachbarraum. Ein noch so gut gemeinter „Kulturverein“ ist hier überfordert.
Kommen wir zur konkreten Vereinsarbeit des letzten Jahres. Es gibt nicht viel Neues zu berichten, auch nichts außergewöhnlich Erfolgreiches. Den Schwerpunkt unseres Interesses, bildete die Judengasse. Das vom Verein erworbene Haus Nr. 12 wurde von uns wenigstens insoweit gesichert, dass das Gebäude für einige Jahre gegen Witterungseinwirkungen und weiteren Verfall geschützt werden konnte. Bei der Beseitigung von Abfall und schimmeligem Holz aus dem Keller beteiligten sich einige Ausschussmitglieder – vielleicht ein Hinweis darauf, dass man die Mitglieder im Notfall doch stärker einbeziehen könnte, als bisher geschehen.
Die Dokumentation und fachmännische Aufnahme des Gebäudes konnte durch den Bauingenieur Kim Keller, der im Rahmen eines Zusatzstudiums an der Universität Bamberger im Büro Knoll/Konopatzki praktizierte, in seiner akademischen Abschlussarbeit geleistet werden. Danken möchte ich auch unserem Ausschussmitglied Herrn Restaurator Heckmann, der an den Untersuchungen im Haus beteiligt war und erhebliche finanzielle Abstriche in Kauf nahm. Insgesamt wurde am Haus Judengasse 12 – wieder einmal, möchte ich anmerken – eine wissenschaftliche Untersuchung an einem Rothenburger Altstadthaus geleistet, die zwar weder vom Verein initiiert noch finanziert wurde, – das alleinige Verdienst liegt hier bei Knoll, Konopatzki usw. – , die aber dennoch die Bedeutung unseres Vereins als Ansprechpartner, als „Scharnier“ zwischen verschiedenen Institutionen belegt. Das Haus Judengasse 12 wird uns möglicherweise auch in Zukunft Probleme machen. Da warten wir ab. Vorläufig muss festgehalten werden: Das Haus ist gesichert, ja vielleicht in seiner Substanz gerettet worden durch unsere Maßnahmen..
Für die Erhaltung, ja eventuell Gestaltung der archäologischen Grabungsstätte in der Judengasse sind gingen nur wenig Spenden ein. Man musste das ohnehin sehr optimistisch geplante Projekt begraben. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Viel Geld wurde dabei nicht verloren, die Sensibilität für die Altstadtarchäologie wurde während der Ausgrabungen vielleicht in der Stadt geschärft, die Befunde sind gesichert. Es wäre natürlich traumhaft gewesen, ein Stück der ältesten Rothenburger Stadtmauer der Öffentlichkeit präsentieren zu können, ähnlich etwa dem archäologischen „Schaufenster“, das es seit einiger Zeit in benachbarten ehemaligen Reichsstadt Windsheim gibt. Es blieb beim Traum. Gedankt werden soll hier dennoch und gerade deswegen denjenigen, die sich für das Projekt engagiert haben.
Beim sogenannten Judengassenfest, das im Juli 2003 stattfand, konnten sich viele Besucher über unsere Bemühungen informieren. Auch unser Haus Nr. 12 wurde von vielen besichtigt. In einer Ausstellung zur Judengasse in der Sparkasse, gestaltet von Herrn Konopatzki sowie von Herrn Brehm, der die archäologischen Fundstücke aufbereitete, wurde die Tätigkeit des Vereins in der Judengasse einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Allen Beteiligten sei hier herzlich gedankt.
Zur Situation der Altstadtarchäologie in Rothenburg war Herr Brehm zu einer Ausschusssitzung eingeladen worden. Er referierte kurz über die Aktivitäten der letzten Jahre, etwa über die Ausgrabungen im Alten Stadtgraben, im Keller der Marienapotheke, im Fleischhaus, unter der Rathaustreppe, in Burggasse 27, in der Insinger Kirche und bei Dombühl (Brunnenstube). Angesichts dieser umfangreichen Aktivitäten bezeichnete Oberbürgermeister Hachtel Herrn Brehm als „Glücksfall für die Stadt“, Stadtbaumeister Mühleck bestätigte seine Einsatzfreude und Zuverlässigkeit. Herr Brehm beklagte die momentane Lage der Bodendenkmalpflege in Bayern. Durch beabsichtigte Sparmaßnahmen soll das Landesamt für Denkmalpflege, wie ich vorhin schon angedeutet habe, seine bisherigen ac
t Außenstellen in diesem Bereich auf vier zusammenstreichen; Mittelfranken würde demnach von Augsburg aus betreut. Ein enormer Qualitätsverlust ist zu befürchten.
Die winterliche Vortragsreihe des Vereins, von Prof. Borchardt gestaltet, enthielt vier interessante Beiträge und erfreute sich guten Zuspruchs teilweise auch jüngerer Leute.
Dr. Schnurrer sprach über Wallfahrten nach Rothenburg und von Rothenburg aus. In Erinnerung gerufen und in Form eines bisher so nicht vorliegenden Überblicks wurde der religiöse, kulturgeschichtliche, aber auch sozioökonomische Kontext des Phänomens Wallfahrt vorgelegt. Die vier Wallfahrtsstätten der Stadt – Heilig-Blut-Kapelle, Kobolzell, Wolfgangskirche und Kapelle zur Reinen Maria wurden in ihrer Entwicklung beschrieben. Die älteste, bedeutendste und lange Zeit einzige Wallfahrtsstätte in der Stadt war natürlich eine Kapelle unmittelbar westlich der alten, romanischen Jakobskirche, in der bei der Wandlung vergossene Weintropfen als „Blut Christi“ verehrt wurden; die anderen Rothenburger Pilgerziele folgten erst wesentlich später. Die interessanteste Wallfahrt ist jedoch für den Historiker ohne Zweifel die kurzlebige, allein schon durch die Persönlichkeit ihres Begründers Johannes Teuschlein, des radikalen Antisemiten, aus dem Rahmen fallende Pilgerstätte auf dem heutigen Schrannenplatz. Teuschleins Charakter gab dem patrizischen, konservativen Stadtregiment nicht ohne Grund Anlass zu Befürchtungen. Der glühende Marienverehrer wandte sich bald entschieden der Reformation zu, wurde zu einem der Hauptagitatoren im Bauernkrieg und 1525 auf dem Marktplatz hingerichtet. Er war Täter und Opfer. Eine Straße in Rothenburg ist heute nach dem Judenhasser und -verfolger benannt. Diesen Sachverhalt muss man nicht unbedingt ändern, auf die Problematik der Namengebung könnte man jedoch durchaus hinweisen. Dies gilt auch für die Ludwig-Siebert-Straße. Ludwig Siebert, Rothenburger Bürgermeister und Wohltäter der Stadt, zeitweise auch Vorsitzender des Vereins Alt-Rothenburg, hat es im Dritten Reich immerhin zum Bayerischen Ministerpräsidenten gebracht. Bei allem Wohlwollen: Als „unbelastet“ im Sprachgebrauch der Entnazifizierung wird man ihn kaum einstufen können, wohl eher als „Mitläufer“, vielleicht als „minder belastet“ – oder ist er gar höher einzustufen? Wir wissen es nicht. Auch dieser Straßenname in Rothenburg sollte nicht unkommentiert bleiben. Und schon gar nicht die „Hindenburgstraße“! Was verbindet die Stadt von heute mit dem kaiserlichen General? Sicherlich nicht die Anerkennung seiner militärischen Leistung, denn nach Tannenberg kam ja die unsinnige, Millionen von Menschenleben vernichtende Strategie der OHL unter seiner Führung, kam die Dolchstoßlegende, kam seine unglückliche Rolle als Reichspräsident in den letzten Jahren der Weimarer Republik, die Hitler den Weg mit bereitete, kam der „Tag von Potsdam“.. Egal, ob er persönlich integer war – in der deutschen Geschichte hat er mehrfach eine unglückliche Rolle gespielt. Auf seinen Namen könnte ich im Rothenburger Straßenverzeichnis gerne verzichten.
Dass in Dr. Schnurrers Vortrag die zur Zeit propagierten, sogenannten Jakobswege in Franken als eher unhistorisch gekennzeichnet wurden, musste einmal – wenngleich am Rande – deutlich gesagt werden. Das bedeutet ja nicht, dass man solche – nebenbei durchaus erfolgreichen – Bemühungen dem Spott und der Lächerlichkeit preisgeben will. Sie haben zweifelsohne ihren Sinn. Aber der Historiker ist nun einmal kraft Amtes der Wahrheit verpflichtet, er darf eine Legendenbildung nicht dulden, und sei sie noch so gut gemeint.
In einem wissenschaftlich fundierten und zugleich an die Emotionen der Zuhörer appellierenden Vortrag schilderte Prof. Horst. F. Rupp von der Universität Würzburg am das Schicksal der Creglinger Judengemeinde in den Jahren 1933 bis 1939. Waren die extrem hohen Wahlergebnisse für die Hitler-Partei am Ende der Weimarer Republik tatsächlich eine deutliche Warnung für die kleine jüdische Gemeinschaft mit ihren rund 75 Mitgliedern bei einer Stadtbevölkerung von rund 1700 Einwohnern? Wohl kaum. Die dortigen Juden hofften auf ein auch weiterhin friedfertiges Zusammenleben mit ihren Nachbarn. Creglingen hat sich sicher nicht fundamental unterschieden von vergleichbaren Kleinstädten mit kleinbürgerlich-evangelischer Struktur und bäuerlichem Umland.
Creglingen ist vermutlich eher zufällig zu einem Ort mit Symbolcharakter geworden. Noch bevor es zu ersten reichsweiten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte gekommen war, terrorisierte eine Bande von SA-Schlägern verschiedene Städte in Württembergisch-Franken. Am 25. März 1933 kam die SA-Terrorgruppe nach Creglingen, ließ die Juden mit Hilfe der örtlichen Nazis zusammentreiben und schließlich 16 Männer aufs Rathaus bringen. Im Rathaus wurden die jüdischen Männer gedemütigt und derart durch Schläge misshandelt, ja gefoltert, dass zwei von ihnen starben.
Die Bereitschaft einiger weniger Leute in Creglingen und außerhalb hat dafür gesorgt, dass man in Creglingen über die örtliche Geschichte im „Dritten Reich“ mehr weiß als anderswo. Rothenburg kann leider derartiges nicht vorweisen.
Über eine weitgehend unbeachtete architektonische Kostbarkeit in Rothenburg referierte unser Ausschussmitglied Hans-Gustaf Weltzer M.A., nämlich über die vom seinerzeitigen Stararchitekten Theodor Fischer geplante Luitpoldschule unmittelbar vor den Mauern der Stadt. Im Zusammenhang mit der 100-Jahr-Feier der Schule hat er sich ausgiebig mit diesem Bauwerk beschäftigt und konnte Neues und Interessantes über die hohe ästhetische, kunst- und stadtgeschichtliche Bedeutung des Schulhauses berichten.
Für die Luitpoldschule leistete sich die Stadt einen der prominentesten Architekten der damaligen Zeit, Theodor Fischer, Professor in München und Stuttgart, zeitweise auch Berater der Stadt Rothenburg in denkmalpflegerischen Fragen, ein sehr aktiver und zugleich bescheidener Mann, der unzählige Schüler ausgebildet hat und entsprechenden Einfluss auf die Nachkommenden hatte, etwa im „Werkbund“, dem Vorläufer des Bauhauses. Wir werden heute abend den Vortrag von Herrn Weltzer noch einmal hören und sicherlich über manches staunen, was er herausgearbeitet hat.
Hans-Eckhard Lindemann, wohnhaft in Sommerhausen und früher als führender Stadtplaner in Würzburg und Baudezernent in Braunschweig tätig, referierte schließlich über „Bauen und Planen in der Altstadt“. Mit seinen Ausführungen über den Strukturwandel der Städte und die Möglichkeiten der Stadtplanung konnte er den durchaus zahlreich vertretenen Vertretern aus Stadtpolitik und Stadtverwaltung, Architekten und anderen Interessierten nützliche Hinweise und Anregungen vermitteln. Manche Probleme kennt Rothenburg mit seinem alles in allem gelungenen Wiederaufbau nicht. Dennoch sollte man auch hier auf Entwicklungen achten, die im Rahmen der „Globalisierung“ bei uns stattfinden. Es darf nicht passieren, dass die Spielregeln von Leuten ohne Bindung an die Stadt, denen lediglich Gewinnstreben und kurzfristiger Vorteil wichtig sind; diktiert werden. Deswegen muss eine Stadt über Pläne und Konzepte für die Zukunft verfügen, muss diese auch offenlegen und damit verbindliche „Entwicklungskorridore“ schaffen für ihre Bürger, aber auch im Interesse der „Investoren“. Nicht alle, so Dr. Lindemann, aber doch viele Menschen suchen individuelle Lebenswelten wie z. B. das Wohnen in der Altstadt mit kurzen Wegen, einem unverwechselbaren Milieu. Kann die Altstadt überdauern? Kann sie es in ihrer bisherigen Form? Einige Hinweise gab Dr. Lindemann. Steuerungsinstrumente besitzt jede Kommune durch ihre Verfügung über den öffentlichen Raum, auf den sie unmittelbar einwirken kann, dessen Eigentümer sie ist: Plätze, Straßen, Fußgängerzonen, Verkehrsregelungen.
Für die Organisation der Vortragsreihe mit ihren abwechslungsreichen Themen möchte ich unserem 2. Vorsitzenden, Herrn Prof. Borchardt, herzlich danken. Im Nachhinein liest sich das so einfach: Es gab vier oder fünf Vorträge, sie waren mehr oder weniger gut besucht, sie waren mehr oder weniger gut. Aber kein Mensch weiß oder ahnt natürlich, was für eine Arbeit darin steckt, wie viele Telefongespräche geführt werden, welche Korrespondenz nötig ist, bis die Vortragsreihe endlich steht. Nebenbei: Für sinnvolle Tipps, für Ratschläge, für Hinweise auf qualifizierte Referenten sind wir immer dankbar.
Auch die Jahresgabe für das Jahr 2003 wurde wieder von Prof. Borchardt betreut und redigiert. Für die frühe Geschichte Rothenburgs ist der Aufsatz von Lubich sehr bedeutsam, Quelleneditionen von Dr. Schnurrer und Prof. Borchardt ermöglichen den leichten zugriff auf bisher kaum bekannte Archivalien, und Ekkehart Tittmann legte neue kunstgeschichtliche Ergebnisse zur Kirche in Leuzenbronn vor. Für das breite Publikum am attraktivsten dürfte jedoch der Beitrag von Dr. Möhring über Rothenburger Stadtansichten sein, der reich bebildert zum einen dem Lokalforscher manche Anregung vermittelt und einen Gang ins Archiv oder Museum erspart und andererseits für die Liebhaber der Stadt vieles zusammengetragen hat, was ganz einfach Herz und Auge erfreut. Erwähnt sei hier auch, dass Dr. Möhring die Satz- und Layout-Arbeiten für die Jahresgabe übernommen und ein sehr schönes, auch optisch attraktives Buch gestaltet hat, das in seiner Qualität an die Vorläufer anschließt. Für seine Arbeit sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt.
Die Verteilung der Jahresgabe wurde innerhalb der Stadtgrenzen wieder von einigen Vorstands- und Ausschussmitgliedern übernommen – was dem Verein durchaus nennenswert Geld spart. Auch diesen Leuten muss gedankt werden. Nicht vergessen werden sollte Herr Parr, der sich nach wie vor um die Adressenverwaltung kümmert und die Verteilung bzw. den Versand der Jahresgabe unentgeltlich vorbereitet hat. Sein Einsatz, seine unauffällige und dabei so wichtige Tätigkeit kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Dies gilt ebenso denjenigen, die sich um die Internetseite des Vereins kümmern, in erster Linie Lothar Schmidt. Die Vereinsseite im Internet erscheint mir, nachdem ich sie mit einer Reihe anderer Homepages verglichen habe, als mustergültig. Sie ist seriös vom Inhalt her und klar und logisch aufgebaut. Vielleicht könnten sich noch mehr Mitglieder mit Beiträgen und Anregungen einbringen.
Wie überhaupt in Zukunft mehr darüber nachgedacht werden sollte, wie man die vielen, vielen Vereinsmitglieder in irgendeiner Form aktivieren, zur Mitarbeit bewegen könnte. Sicher, wir sind kein Geselligkeitsverein, wir haben auch einen wissenschaftlichen Anspruch und wollen nicht jeden Beitrag dilettierender Privatgelehrter publizieren, wir sind auch keine tagespolitische Gruppierung, die im städtischen Interessengeflecht unmittelbar mitmischen möchte. Aber das Internet bietet wohl Möglichkeiten, manches zu sagen und mitzuteilen, ohne dass es gleich in gedruckter Form für die Ewigkeit festgehalten wird. Und mancher kann hier zu Wort kommen, der sonst zum Schweigen verurteilt ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mein heuriger Jahresbericht ist etwas kürzer ausgefallen als so mancher seiner Vorgänger. Das liegt aber nicht daran, dass wir im letzten Jahr weniger aktiv gewesen wären als früher. Eher im Gegenteil. Aber zu manchen und gerade zu den die Stadt Rothenburg in ihrer zukünftigen Entwicklung betreffenden Themen fällt mir derzeit wenig ein, oder, genauer gesagt, es herrscht bei mir eine gewisse Ratlosigkeit. Ist nun die Schließung des Mc Donald’s in der Oberen Schmiedgasse ein Verlust, wird die Stadt dadurch ein Stück ärmer, wie der Fränkische Anzeiger titelte, oder sollte man es eher begrüßen, wenn derartige Betrieb in der Altstadt scheitern? Es sei dahingestellt. Aber unbedingt notwendig erscheint es mir, dass sich die Stadt einerseits vermehrt um die Menschen in der Region, in ihrem unmittelbaren Umland kümmert und andererseits weiterhin stärker auf einen qualitativ höherwertigen Tourismus setzt. Unser Verein kann dabei natürlich nicht sonderlich aktiv mitwirken, dazu haben wir nicht die personellen Ressourcen, es ist eigentlich auch nicht unsere satzungsgemäße Aufgabe. Aber eine gewisse Basis als Erforscher der Vergangenheit, als Diagnostiker, Berater und Warner in der Gegenwart stellen wir doch dar. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern unsere Beiträge ernst genommen werden.
Dr. Richard Schmitt, 18.06.2004