27.01.2012 | Zeugnis aus keltischer Zeit

Eher „Refugium“ als „Oppidum“

Der große spätkeltische Ringwall bei Burgstall/Finsterlohr

Am vergangenen Freitag (27.01.2012) referierte im Rahmen der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg Markus Rehfeld M.A. im Gasthof „Glocke“ über ein in unserem Raum einmaliges prähistorisches Bodendenkmal: das sogenannte „Oppidum“, in dem oberhalb der Tauber auf baden-württembergischem Gebiet der Weiler Burgstall liegt.

Der aus Creglingen stammende Markus Rehfeld, der zur Zeit an der FU Berlin in Prähistorischer Archäologie promoviert, stellte sein Thema mit hoher fachwissenschaftlicher Kompetenz und zugleich anschaulich und für die zahlreiche Zuhörerschaft gut verständlich vor. Auch eine ganze Reihe von Besuchern aus der baden-württembergischen Nachbarschaft sorgte dafür, dass der Glockensaal bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Als Einführung zu seinem Vortrag definierte Rehfeld zunächst „die Kelten“ aus archäologischer Sicht. (Dieses „Volk“ bzw. dieser Kulturkreis ist natürlich auch Gegenstand historischer, sprachwissenschaftlicher und ethnologischer Forschungen.) Die Archäologen setzen die Kelten weitgehend mit der von ca. 800 v. Chr. bis zur Zeitenwende dauernden mitteleuropäischen Eisenzeit (= Hallstattzeit und Latènezeit) gleich. Die Entstehung des „Oppidums“ Finsterlohr fällt in die späteste Phase dieses Zeitraums (ab ca. 200 v. Chr.).

Das „keltische“ Zeitalter großer Teile Frankreichs und Mitteleuropas war geprägt von einer einheitlichen Kultur, in der es soziale Hierarchien, Herrscher und Beherrschte gab. Es entstand eine „Oppida-Zivilisation“ mit städtischen Zentren (wie Manching bei Ingolstadt) und befestigten Höhensiedlungen (etwa der Staffelberg am Obermain oder der Schwanberg bei Kitzingen), in denen die Verwendung von Münzgeld („Regenbogenschüsselchen“) und sogar der griechischen Schrift üblich war. Caesar hat uns vieles über diese vergangene Kultur überliefert – aus römischer Sicht.
Die Anlage von Finsterlohr wurde in einer einzigartigen topographischen Situation errichtet. Nach drei Seiten war sie durch die Steilhänge der Tauber, der Holderbachschlucht und der Schonachschlucht geschützt, auf der „Landseite“ errichtete man eine gewaltige, mehrphasige Mauer aus Holz, Erde und Steinen. (Der dortige Vorwall, der ein doppeltes Annäherungshindernis darzustellen scheint, ist allerdings nicht typisch „keltisch“.)

Einen Größenvergleich mit bekannten keltischen „Oppida“ braucht Finsterlohr/Burgstall nicht zu scheuen. Es gehört zu den größten Anlagen dieser Art. Die Umfassungsmauern waren rund 5 km lang und mehr als 10 Meter dick, der Flächeninhalt beträgt 124 Hektar. Nur wenige mittelalterliche „Großstädte“ wie Köln bedeckten ein umfangreicheres Areal. Was lag folglich näher, als in Burgstall/Finsterlohr eine bedeutende vorgeschichtliche „Stadt“, einen Herrschaftsmittelpunkt der Kelten zu vermuten?

Archäologische Ausgrabungen wurden bereits kurz nach 1900 durchgeführt, hier gelang der Nachweis der typisch keltischen Pfostenschlitzmauern sowie des (keltischen) Zangentors. Nach damals modernsten Maßstäben durchgeführte Grabungskampagnen der 70er Jahre ergaben, dass der Hauptwall drei Bauphasen aufweist. In der zweiten Phase war er ein ein „murus gallicus“, so wie ihn Caesar beschreibt. Der Zustand der letzten Befestigungsmauer wurde vom Keltenverein Finsterlohr in ehrenamtlicher Arbeit rekonstruiert, nach Aussage des Referenten mustergültig und den historischen Verhältnissen entsprechend. Neuere Grabungen, vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg nach 2000 veranlasst, ergaben kaum sensationelle Ergebnisse. Vor allem fiel wieder auf, dass es im Inneren des sogenannten „Oppidums“ so gut wie keine Siedlungsspuren und entsprechende Bodenfunde gibt. Geomagnetische Untersuchungen, vielfältige Begehungen und mehrere Grabungen führten zu dem (vorläufigen) Ergebnis, dass das „Oppidum“ Finsterlohr niemals über einen längeren Zeitraum besiedelt war, und das, obwohl seine Befestigungsanlagen über viele Jahrzehnte hinweg sorgfältig gepflegt und immer wieder erneuert wurden.

Man muss wohl Abstand nehmen von der Vorstellung, Finsterlohr/Burgstall sei ein quasi städtisches Oppidum wie Manching gewesen, in dem Handwerk und Handel blühten. Vielmehr wird es sich um eine gewaltige Befestigungsanlage gehandelt haben, in der die Menschen der Umgebung – in der sich viele Spuren keltischer Besiedlung finden, etwa in den sog. „Vierecksschanzen“ – Zuflucht finden und mitsamt ihrem Vieh auf ausgedehnten Weide- und Ackerflächen in Kriegszeiten lange ausharren konnten. Hier ist an kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen keltischen Völkern oder an das Einsickern germanischer Stämme aus dem Norden im 1. Jahrhundert v. Chr. zu denken. Der enorme Aufwand, mit dem vor mehr als 2000 Jahren unzählige Menschen Tausende von Tonnen Erde, Steinen und Holz bewegt haben, scheint zu beweisen, dass man in einer krisengeschüttelten, gefährlichen Zeit lebte, als man die große Anlage von Finsterlohr errichtete. Es könnte sich also, wie man schon vor Jahrzehnten vermutete, um eine Fliehburg, ein „Refugium“ für die bäuerliche Bevölkerung eines weiten Umlandes gehandelt haben. Allerdings wurden bei den bisherigen Ausgrabungen mit Ausnahme eines auch anders erklärbaren Brandes an einem Stück der Mauer keinerlei Spuren von Kampf und Zerstörung entdeckt.
Zum Abschluss seines Vortrags würdigte Markus Rehfeld die vorbildliche Arbeit des „Keltenvereins“, der überaus seriös arbeitet und das „Oppidum“ wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat. Sein neuestes Projekt, die Rekonstruktion eines einfachen keltischen Wohnhauses nach dem Muster von Manching, steht kurz vor der Vollendung. Auch das sollte ein Anlass sein, wieder einmal einen Ausflug über die Landesgrenze zu machen – nämlich zur keltischen Befestigungsanlage bei Finsterlohr.