Von Schmusern, Kissingern und anderen

Von Schmusern, Kissingern und anderen

 

Stefanie Fischer

 
ROTHENBURG – Stefanie Fischer sprach im Rahmen der vom Evangelischen Bildungswerk getragenen und vom Verein Alt-Rothenburg unterstützten wissenschaftlichen Vorträge aus Anlass der vor 70 Jahren erfolgten Vertreibung der Rothenburger Juden über das Thema „Von Schmusern, Kissingers und anderen. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken“.Pfarrer Gußmann stellte die aus Weißenburg stammende, zur Zeit am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin tätige junge Historikerin in der „Kelter“ des Gasthofs „Zur Glocke“ einem überraschend zahlreichen Publikum vor.

Im Mittelalter lebten die deutschen Juden in den Städten, waren Händler und Bankiers. Im Laufe der Zeit wurden sie aus den Städten vertrieben. Man kennt in Rothenburg die verschiedenen Pogrome, angefangen 1298 und endend 1520. Danach durften sich Juden nicht mehr in der Stadt ansiedeln. Viele gründeten außerhalb der Landwehr in den Dörfern der Reichsritterschaft, wo sie als Steuerzahler willkommen waren, eine neue Existenz, etwa in Archshofen, Michelbach an der Lücke oder Ermetzhofen.

Das Phänomen des fränkischen Landjudentums entstand. Als Hausierer, Klein- und vor allem Hopfen-, Wein- und Viehhändler waren die Juden aus dem ländlichen Wirtschaftsleben kaum wegzudenken, zumal sie auch als Geldverleiher immer benötigt wurden. Nebenher traten sie als „Schmuser“ auf – als Heiratsvermittler ebenso wie als Immobilienmakler. Erst mit dem endgültigen Erreichen der staatsbürgerlichen Gleichheit nach 1871 kam es zum Abzug vieler Landjuden in die großen Städte, wo sich viele assimilierten und bürgerliche Karrieren als Geschäftsleute oder in akademischen Berufen antraten.

Ein großer Teil der Juden blieb allerdings in seiner Heimat in den Dörfern oder zog in die benachbarten Kleinstädte. So kam auch Rothenburg nach 1871 wieder zu einer kleinen jüdischen Gemeinde (mit einem Betsaal in der Herrngasse). Deren Mitglieder waren Kleinunternehmer, Viehhändler wie die Familie Mann in der Adam-Hörber-Straße. Die Manns waren offenbar wirtschaftlich erfolgreich, gehörten wie die andere Juden in Rothenburg einfach dazu und sie beschäftigten nichtjüdische Angestellte.

Im März 1933 wurde die Familie von den Rothenburger Nazis terrorisiert. Die Firmeninhaber kamen in „Schutzhaft“, das Haus wurde offenbar wochenlang isoliert, Frau Mann beging Selbstmord, ihr Mann kam in die Nervenheilanstalt, die Firma geriet in Konkurs. Im historischen Bewusstsein Rothenburgs hat dieser Gewaltexzess noch nicht seinen gebührenden Platz gefunden. Die Geschichte dieser Rothenburger Familie führt nach Auschwitz, aber auch in die USA.

In Mittelfranken gab es mehr Juden als in Altbayern. Ihr Anteil an der Bevölkerung betrug um 1900 nur 1,37 %. Neben dem städtischen Zentrum Fürth existierten noch zahlreiche Landjudengemeinden. Als Viehhändler waren sie für die ländliche Gesellschaft unentbehrlich. Sie waren mobil, ihr Aktionsradius betrug oft bis zu 30 km, sie hatten Beziehungen in die großen Städte, sie bedienten sich schon moderner Geschäftsmethoden (Auto, Telefon) und konnten so den Bauern oft günstigere Preise zahlen.

Die jüdischen Viehhändler waren ein selbstverständlicher Bestandteil des fränkischen Dorflebens. Aber natürlich waren sie anders als die Bauern und hoben sich von ihnen durch einen anderen Lebensstil ab. Ihre Kleidung, ihre Häuser waren mittelständisch-bürgerlich, bei Geschäften verwendeten sie die „Viehhändlersprache“ mit ihren hebräischen und jiddischen Elementen. Zwischen dem einfachen „Schmuser“ und dem Inhaber einer großen Viehhandelsfirma gab es starke Einkommensunterschiede, und die von der Referentin gezeigten Bilder von jüdischen Anwesen aus der Zeit vor 1938 lassen nicht unbedingt auf großen Wohlstand ihrer Bewohner schließen.

In der Krisenzeit nach dem 1. Weltkrieg (in dem die Juden selbstverständlich für ihr Vaterland starben), als die Inflation von 1923 und schließlich am Ende der Weimarer Republik der völlige Zusammenbruch der Wirtschaft auch viele Bauern in den Ruin trieben, erhielten alte antisemitische Vorurteile wieder Oberwasser. Als Geldverleiher gaben Juden oft riskante Kredite an Bauern, die von den örtlichen Genossenschaftsbanken als Kunden abgelehnt wurden. Kam es nun zur Zwangsversteigerung eines solchen Anwesens, waren oft Juden beteiligt. Diesen Sachverhalt machten sich vor allem die Nationalsozialisten zunutze, die mit ihrem Hetzvokabular von der „Schuldknechtschaft“ gerade im vom „Nationalprotestantismus“ geprägten „braunen Gürtel“ in Franken und Württemberg ab 1930 einen enormen Aufschwung verzeichnen konnten.

Schon 1933 kam es in Mittelfranken zu Übergriffen gegen jüdische Viehhändler, oft durch Profilierungssucht besonders eifriger Nazis bedingt. Bauern, die weiter mit Juden Geschäfte machten wurden bedroht oder kamen in „Schutzhaft“. Juden wurden verprügelt, Schulden wurden nicht mehr bezahlt, Judentafeln wurden an vielen Orten aufgestellt („Juden sind hier unerwünscht“), die Viehhändler durften ihre Sprache auf den Märkten nicht mehr verwenden.

So vernichtete man die wirtschaftliche Existenz der mittelfränkischen Landjuden, von denen viele angesichts der scharfen Verfolgung in Julius Streichers „Mustergau“ in die größeren Städte oder ins Ausland abwanderten. Nach 1938 gab es fast nur noch in Nürnberg und Fürth eine nennenswerte jüdische Bevölkerung. Etwa 4700 Menschen wurden in die Vernichtungslager verschleppt.

Am Beispiel einiger nach Israel oder in die Vereinigten Staaten entkommenen mittelfränkischen Familien wurde das weitere Schicksal der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen kurz beleuchtet. Im Staat New York waren 1960 rund neunzig Prozent des Viehhandels in deutsch-jüdischer Hand. Heinz Kissinger aus Fürth, 1938 emigriert, brachte es bis zum US-Außenminister. Seine Mutter entstammte einer angesehenen Viehhändlerfamilie aus Leutershausen.

Noch erinnern sich ältere Rothenburger an ihre jüdischen Nachbarn. Und es zeigte sich, dass viel an Detailforschung nötig sein wird, bis man das Schicksal der Rothenburger Juden im 20. Jahrhundert genauer kennt. „Gras“ wird über die Sache noch lange nicht wachsen, denn dazu müsste man erst einmal den Boden gründlich bearbeiten. Die Gruppe um Pfarrer Gußmann trägt zur Zeit ihren Teil dazu bei.

Dr. Oliver Gussman