21.03.2014 | Der Renaissancetrakt des Rothenburger Rathauses

Das Rothenburger Renaissance-Rathaus –

 

ein Bauwerk von europäischem Rang
Dr. Karl-Heinz Schneider referiert beim Verein Alt-Rothenburg

Am Freitag. 21.03.2014 spricht Dr. Karl-Heinz Schneider um 20.00 Uhr im Gasthof „Zur Glocke“ (Kelter) über den Renaissance-Trakt des Rothenburger Rathauses.

Die Rathausfassade von Osten; kolorierte Lithographie um 1840/50.

„Ein herrlicher Bau in Rothenburg ist das Rathaus, welches in Wahrheit nicht nur seines äußeren prächtigan Aussehens, sondern auch seiner inneren Magnificenz und Vortrefflichkeit halber ein kaiserlicher oder königlicher Palast genannt werden möchte.“ So rühmt bereits eine Reisebeschreibung des späten 16. Jahrhunderts das Rathaus. Und der große Kunsthistoriker Georg Dehio nennt es 1874 voller Begeisterung „ein Gemeindehaus, wie es sich selten eine deutsche Stadt umfangreicher, keine glänzender und geschmackvoller errichtet hat.“

Trotz seines internationalen Rufs, trotz zahlreicher Einzeluntersuchungen und einzelner, oft gegensätzlicher Ansätze zu einer Gesamtschau gab es bis vor kurzem keine Monographie, die sich mit der Entstehung des renaissancezeitlichen Westtrakts des Rathauses aus der Zeit kurz nach 1570 beschäftigte.

Dies hat Dr. Karl-Heinz Schneider mit seiner 2010 fertiggestellten kunsthistorischen Dissertation geleistet, die wegen der teilweise unvollständigen Quellenlage sicher nicht alle offenen Fragen klären kann, aber manche bisher vertretenen Antworten relativiert und neue Fragen stellt. Vor allem aber wird er an zahlreichen Details die Beteiligung bedeutender Architekten der Zeit belegen, Einflüsse aus anderen Städten und Regionen dokumentieren und den Rathausneubau in einen größeren Kontext stellen.

Dr. Karl-Heinz Schneider
Das Rothenburger Renaissance-Rathaus – ein Bauwerk von europäischem Rang
21.03.2014, 20.00 Uhr
Hotel Gasthof „Zur Glocke“, Rothenburg ob der Tauber

Der Eintritt ist frei.
Sie sind herzlich willkommen.

 

Wie ein Schloss

Der Renaissancetrakt des Rothenburger Rathauses

Dr. Karl-Heinz Schneider referiert beim Verein Alt-Rothenburg.

Dr. Karl-Heinz Schneider stellte im Rahmen der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen zum Rothenburger Rathaus im Gasthof „Zur Glocke“ vor.

Klar wurde dabei, dass die Suche nach dem einzigen Schöpfer, dem Genie, dem das Bauwerk von europäischem Rang seine Entstehung verdankt, vergeblich sein wird. Denn an seiner Konzeption und Errichtung waren zahlreiche Architekten und kunstsinnige Handwerker beteiligt, die Planungen wurden mehrfach abgeändert, Einflüsse aus unterschiedlichen Bautraditionen und aus benachbarten (oder weiter entfernten) Regionen wirkten nebeneinander und folgten aufeinander und sorgten schließlich zu dem hochinteressanten und vielschichtigen Gebäude, das wir heute vor uns haben.

Vielleicht gab es schon 1566 erste Planungen für einen neuen Rathausbau. Von 1570 stammt dann ein Kostenvoranschlag von Niklas Hofmann aus Halle, einem Stararchitekten der damaligen Zeit. Eines seiner Meisterwerke ist das Schweinfurter Rathaus. Er stellte sich wohl einen schlossähnlichen, an sächsischen Vorbildern orientierten, streng symmetrischen Bau vor, der mit der Schauseite traufseitig zum Marktplatz stand, zwei hohe Eckerker, einen mittig aus der Front deutlich vorspringenden (Wendel-)Treppenturm und mehrere kräftige Zwerchhäuser im Dachbereich beinhalten sollte.

Der ursprüngliche, stark an sächsische Fürstenschlösser (nach Vorbildern aus Frankreich) erinnernde Plan musste offenbar nach dem Aufkommen statischer Probleme im nördlichen Bereich des Neubaus modifiziert werden. Man verzichtete nun auf die Symmetrie, ließ den Nordosterker und die Zwerchhäuser weg und gelangte zu der noch heute bewunderten Zweifronten-Lösung: Das neue Rathaus hatte nun nicht nur eine Schauseite (zum Marktplatz hin), sondern eine weitere, die reich gestaltete Giebelseite an der Herrengasse. An dieser sich während der Baumaßnahmen entwickelnden Konzeption waren mehrere Baumeister beteiligt: Neben Niklas Hofmann und seinem Sohn sicherlich immer wieder der Rothenburger Leonhard Weidmann, ferner Wolf Loscher aus Nürnberg und Hans Helwag aus Annaberg/Erzgebirge.

Die „Kernbauzeit“ des Rathauses lag zwischen 1572 und 1578. Neben den Einflüssen der „deutschen Renaissance“, die beispielsweise Niklas Hofmann repräsentierte, kamen deutliche Anlehnungen an die damals populären „antiken“, in „Musterbüchern“ aus Italien zugänglichen Gestaltungsprinzipien zur Geltung. Diese fanden sich auch in der 1945 weitgehend zerstörten Innenausstattung, etwa in der Möbelschreinerei, die um 1600 in Rothenburg eine Blüte erlebte. Auch ihre Vorbilder haben bei zahlreichen Baudetails am Rathaus mitgewirkt.

Der Renaissancetrakt des Rothenburger Rathauses ist trotz seiner komplizierten Entstehungsgeschichte kein „Konglomerat“, sondern ein geglücktes Beispiel dafür, wie sich aus unterschiedlichen Einflüssen und rivalisierenden Absichten ein harmonisches, beeindruckendes Bauwerk entwickelte, das einem fürstlichen Schloss in seiner Schönheit und seinem Repräsentationswillen gleichkam.

Quasi „im Schatten“ des Rathausbaus entstanden am Ende des 16. Jahrhunderts drei weitere große reichsstädtische Kommunalgebäude: das Spital, das Gymnasium und die Schranne. Gleichzeitig errichtete man das sogenannte Hegereiterhaus im Spitalhof und die halbkreisförmigen, pittoresken Ensembles der Torwächterhäuschen vor dem Burgtor und dem Rödertor. Jedes dieser Gebäude würde einen eigenen Vortrag verdienen. In seinen knappen, ergänzenden Anmerkungen berichtete Schneider etwa, dass man für den neuen Spitalbau den dortigen Friedhof aufließ und den Brückenturm am Turmseelein abriss, um Quadersteine zu gewinnen. Das ursprüngliche äußere Erscheinungsbild des Spitals war deutlich repräsentativer als heute. Der Volutengiebel an der Straßenseite war mit Löwenfiguren geschmückt, dem Westgiebel war ein Uhrtürmlein vorgelagert. Erhalten hat sich bis heute die innere Gliederung des Spitals, viele Baudetails sind von höchster Qualität, etwa die vielgestaltigen Türrahmungen. Neben der sicherlich maßgeblich beteiligten Hand Leonhard Weidmanns lassen sich Spuren anderer Künstler nachweisen, etwa die des Dinkelsbühlers Wolf Beringer. Dessen Bruder war gerade in Würzburg tätig und wurde, wie es damals bei Großbaustellen üblich war, zeitweise zum Bau der Lateinschule (1589/93) nach Rothenburg ausgeliehen. An Planung und Ausführung des Gymnasiums finden sich folglich Spuren, die nach Würzburg führen und auf die dortige, stark von den Niederlanden beeinflusste Baugesinnung verweisen. Auch am Gymnasium müsse man, so Schneider, Abschied nehmen von den heutigen Vorstellungen von Originalität und dem einmaligen großen Entwurf.

Das „Hegereiterhaus“ (1591 ff.) beinhaltete im Erdgeschoss die Spitalküche, im Obergeschoss die Wohnung des Spitalbereiters, der für die Ordnung im Spitalbereich sorgte. Die Autorschaft Leonhard Weidmanns an diesem Gebäude ist sehr wahrscheinlich, seine Gestalt ähnelt der des Rathauses in Altenburg (bei Leipzig), so dass man auch hier wieder den Einfluss dieses damals in Deutschland führenden Kulturraumes erkennen kann.
Kleinere gestalterische und technische Verbesserungen an der Stadtbefestigung fanden ebenfalls in der Zeit von Leonhard Weidmann statt. Bei der Textgestaltung des neuen „Turmweges“ kam es leider zu inhaltlichen Fehlern. So ist seit langem bekannt, dass das mächtige Rondell der Spitalbastei wesentlich älter ist als früher angenommen. Es ist ein Musterbeispiel fortifikatorischer Prinzipien vom Anfang des 16. Jahrhunderts und damit eine der selten gewürdigten Besonderheiten unserer Stadt.

Das halbe Jahrhundert vor dem 30jährigen Krieg zählt zu den Blütezeiten Rothenburgs. Die Wirren des Bauernkriegs und seine materiellen Schäden waren überwunden, die konfessionellen Auseinandersetzungen hatten einen vorläufigen Abschluss gefunden, die Agrarkonjunktur war gut, die Bevölkerungszahl stieg, es herrschte Frieden in Franken. Die gewaltigen Baumaßnahmen, die im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zur Verschönerung der Stadt führten und ihr Gesicht bis heute prägen, sind auch vor diesem allgemein-historischen Hintergrund zu sehen. Denn Rothenburg konnte es sich damals leisten, „modern“ zu bauen – auf höchstem künstlerischen Niveau.