29.10.2010 | Ernst Unbehauen

Ulrich Herz (Bad Windsheim)

„Maler, Macher, Mensch: Ernst Unbehauen 1899 – 1980“
20.00 Uhr | Gasthaus Glocke | Plönlein | 91541 Rothenburg ob der Tauber | Eintritt frei

 

 

Das Manuskript (und die Powerpoint-Präsentation) stellen wir hier ein und bedanken uns vielmals beim Referenten für dessen Überlassung (siehe unten)

 

Der Maler und Mensch Ernst Unbehauen

Vortrag über Ernst Unbehauen von seinem Großneffen Ulrich Herz (Bad Windsheim) bei der Wintervortragsreihe des Verein Alt-Rothenburg (Foto: Jochen Ehnes)

 

 

 

 

 

 

 

Wer kennt diesen Mann?

Dieses Portrait hat ein Besucher des Vortrages zu Ernst Unbehauen mitgebracht. Er hat es ersteigert und wollte von Ulrich Herz in Erfahrung bringen, wer dieser Mann auf der Radierung war. Das einzige, was sich erschließen ließ, war das Datum (20.04.1947). Das Portrait ist im Arbeitslager in Nürnberg-Langwasser entstanden, in dem Ernst Unbehauen acht Monate verbrachte. Dies ist die Rückseite des Portraits. Es zeigt einige Männer um einen Tisch sitzend. Wir sind gespannt, ob sich das Rätsel lösen lässt und es jemand gibt, der hier erhellende Auskünfte geben kann.

Beide Grafiken können Sie durch einen Klick darauf vergrößern.

(c) Ernst Unbehauen, 20.04.1947 | Foto: Jochen Ehnes  

 

     
     
     
   

 

Der Maler und Mensch Ernst Unbehauen

Vortrag über Ernst Unbehauen von seinem Großneffen Ulrich Herz (Bad Windsheim) bei der Wintervortragsreihe des Verein Alt-Rothenburg (Foto: Jochen Ehnes)

Vergangenen Freitag (29.10.2010) sprach Ulrich Herz aus Bad Windsheim im Rahmen der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg vor einem zahlreichen Publikum in der „Glocke“ über Ernst Unbehauen, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang im kulturellen Leben Rothenburgs eine beachtliche, allerdings auch umstrittene Rolle spielte.

Unbehauens Biographie umgreift vier politische Systeme: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die Nazidiktatur und die Bundesrepublik. Geboren als Sohn eines aus Rothenburg stammenden Volksschullehrers 1899 in Zirndorf, nach dem frühen Tod des Vaters in ärmlichen Verhältnissen in Rothenburg aufgewachsen, Soldat im 1. Weltkrieg, dessen Ende er als auffallend junger Unteroffizier der Artillerie erlebte. Das nationalprotestantisch geprägte Rothenburg hat seine Weltsicht bestimmt: Er war Mitglied der Jungwandervögel, die neben der Liebe zur „deutschen“ Heimat und Natur auch ein gewisses rebellisches Aufmucken gegen das bürgerliche „Establishment“ vermittelten, in der Jugendwehr absolvierte er eine vormilitärische Ausbildung.

1919 zeigte seine Tätigkeit im Freikorps „Oberland“ (zeitweise auf der Burg Hoheneck bei Ipsheim stationiert), wo er seine politische Heimat gefunden hatte. Als nach der Niederwerfung der Räterepublik die siegreichen „Weißen“ ins „rote“ München einmarschierten, war Unbehauen dabei. Er schloss seine Lehrerausbildung in Schwabach ab und war seit 1924 Berufsschullehrer in Rothenburg.

Schon damals hatte er als bildender Künstler Erfolg: So entwarf er 1923 die städtischen Notgeldscheine und trat mit Wandmalereien, einem seiner „Markenzeichen“, in Erscheinung, nahm an Ausstellungen und Wettbewerben teil und konnte 1925/26 sogar an der Münchener Akademie studieren. Er fand Aufnahme in die einschlägigen städtischen Vereine (Hans-Sachs-Spiele – er war Gründungsmitglied, Meistertrunk, Alt-Rothenburg) und war Fachberater der Stadt für künstlerische Fragen. Familiengründung, Tod der ersten Ehefrau und zweite Heirat stehen am Ende der Weimarer Republik, in der die Karriere des jungen Mannes einen – gemessen an seiner Herkunft – ungewöhnlich steilen Aufstieg genommen hatte.

Modernen politischen wie künstlerischen Tendenzen stand er fremd oder gar feindselig gegenüber. Dies zeigt seine traditionsverhaftete, an einer Art „Heimatstil“ orientierte Maltechnik ebenso wie die „altdeutsche“ Wahl seiner Motive, zum anderen sein spezifisches Engagement für den Denkmalschutz: Hier warnte er vor der „Modernisierung“ und redete „deutschen“ Schriftzügen, Tänzen und „deutscher“ Musik das Wort. Eine gefährliche Nähe zum Nationalsozialismus, der ähnliche „Ideale“ propagierte, wird sichtbar.

Unbehauen, offenbar ein kaum „politischer“ Mensch, hatte sich vor 1933 nicht für die Nazis engagiert. 1933 allerdings wurde er SA- und Parteimitglied. Wegen seiner kurzen Mitgliedschaft in der Ansbacher Freimaurerloge bekam er dann Schwierigkeiten, wurde aus der NSDAP ausgeschlossen, nach Intervention der Stadt Rothenburg und der örtlichen NS-Führung wieder aufgenommen, durfte allerdings keine Parteiämter bekleiden. In den Dienst der Nationalsozialisten stellte sich Unbehauen offenbar bereitwillig, auch wenn er das nach dem Krieg beharrlich leugnete und sich als „Opfer“ darstellte. Schon als Hitler auffallend früh – im März 1933 – von der Stadt Rothenburg zum Ehrenbürger ernannt wurde, durfte Unbehauen die Urkunde schreiben.

1935 verfertigte er die Kopie eines Bildes von Michael Wolgemut, das den angeblichen Ritualmord an einem (christlichen) Kind durch Juden darstellt; 1936 entwarf er die antisemitische „Rothenburger Mahntafel“ am Rödertor ebenso wie einen „Schrein“ (zu „Gauleiter“ Streichers Geburtstag), 1937 folgten seine unsäglichen „Judentafeln“ für die übrigen vier Stadttore. Andere Rothenburger Maler wie Philippi oder Böhme ließen sich nicht so eng mit den Nazis ein, kompromittierten sich nicht durch derart vulgär in Szene gesetzte Auftragskunst. In der Folgezeit wurde Unbehauen zur Wehrmacht eingezogen und arbeitete bis 1945 als „Kriegsmaler“. Festzuhalten bleibt: Wenn die Rothenburger Nazis etwas zu schreiben, malen oder gestalten hatten – dann war Unbehauen ihre erste Adresse.

Nach dem Krieg lebte Ernst Unbehauen fast zehn Jahre als freier Künstler in Wiesentheid, wo er offenbar im Umkreis des Grafen Schönborn eine nach außen hin gemütliche Bleibe fand. Viele seiner Bilder entstanden in dieser Zeit. In manchen zeigte sich Unbehauen (überraschend? oder typisch für ihn?) als Adept der „klassischen Moderne“ und des Surrealismus. Das Wiesentheider Exil war allerdings die Zeit des Kampfes gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen, von denen er betroffen war. Zunächst als Schwerbeschuldigter zu acht Monaten Arbeitslager (in Nürnberg-Langwasser tatsächlich zugebracht) und zu 30% Vermögensverlust verurteilt (daneben bestand selbstverständlich ein Berufsverbot als Lehrer), wollte sich Unbehauen mit dieser Strafe nicht abfinden und ging erfolgreich in die Revision. 1949 wurde er lediglich als „Mitläufer“ eingestuft. Bis zu seinem Lebensende war von ihm allerdings kein Wort der Reue oder der Zerknirschung zu hören. Wenn er sich selbst in einer Karikatur als Esel darstellt, dann bezog sich das wohl darauf, dass er auf die falsche Karte gesetzt hatte und sich nunmehr ungerechtfertig verfolgt sah.

1954 kam Unbehauen als Berufsschullehrer nach Rothenburg zurück. Die Stadt, die ihm schon 1950 einen Auftrag zur Ausmalung der – im demokratischen Sinne aufzubauenden! – Topplerschule zuschanzen wollte, hatte eigens für ihn eine neue Beamtenstelle geschaffen. Nun konnte er bis zu seiner Pensionierung 1963 wieder als Lehrer arbeiten, knüpfte aber vor allem als „Kulturgröße“ an die Vorkriegszeit an – offenbar von niemandem auch nur im Ansatz in Frage gestellt. Für den Meistertrunk gestaltete er 1966 das bis heute erfolgreiche Historiengewölbe, von 1966 bis 1974 war er Stadtheimatpfleger, er erhielt die Bürgermedaille, einzigartige Ehrungen des Festspiels und 1977 das Bundesverdienstkreuz. Ausstellungen seiner Bilder erfuhren außergewöhnlichen Zuspruch. Unbehauen und Rothenburg – Hier hatten sich zwei gefunden, die anscheinend perfekt zueinander passten. Der ebenso begabte wie ehrgeizige Maler, der seine Heimatstadt liebte und in ihr ein profitables Betätigungsfeld fand, und die „deutscheste aller Städte“, die in Unbehauen über Jahrzehnte hinweg „ihren“ Maler und Heimatpfleger gefunden hatte und ihn entsprechend förderte.

Im Stadtarchiv und bei unseren Vorträgen erhältlich: Das Buch über Ernst Geißendörfer von seinem Großneffen Ulrich Herz.

Gerade deswegen bleibt er eine zwielichtige Figur. Seine künstlerische Begabung steht außer Frage, seine Produktivität war enorm; fast könnte man von „Arbeitswut“ sprechen. Der menschliche Verkehr mit ihm scheint nicht einfach gewesen zu sein. Man schildert ihn als gesellig und sinnenfroh, aber offenbar war er zugleich überaus empfindlich, aufbrausend, eitel, ehrgeizig im Übermaß, vielleicht der typische und letztlich vom Erfolg gekrönte „Wendehals“.

Unbehauens Lebenslauf kann exemplarisch stehen für die Schicksale vieler seiner Zeitgenossen in Rothenburg und anderswo. Seine Biographie hat angesichts seiner exponierten Stellung im öffentlichen Leben besonderes Gewicht. Insofern ist die Forschungsarbeit von Ulrich Herz ein wichtiger Beitrag zur Rothenburger Geschichtsschreibung.

Der Verein Alt-Rothenburg wird die Forschungen von Ulrich Herz über seinen Großonkel Ernst Unbehauen demnächst in Buchform veröffentlichen.

01.11.2010
Dr. Richard Schmitt

 

Der Link zur Online-Ausgabe des Fränkischen Anzeigers

 


 

Das Manuskript zum Vortrag über Ernst Unbehauen

Der Maler und Mensch Ernst Unbehauen (1899 – 1980)
– Auch ein Stück Rothenburger Zeitgeschichte

Verwandtschaft: ich bin ein Großneffe von Ernst Unbehauen

Unbehauen hat die Rothenburger Zeitgeschichte mit geprägt
Stand schon früh im Blickpunkt der Öffentlichkeit, engagierte sich im Sektor Kunst, brachte sich in diversen Vereinen und Gremien ein. à man kann immer wieder hinter die Kulissen sehen und erkennen, wie in Rothenburg bestimmte Dinge betrieben wurden und Entscheidungen fielen. Folie

Unbehauens Biographie mag oft genug exzentrische Züge aufweisen (typisch Künstler), aber über weite Strecken ist sie exemplarisch. Über weite Strecken war Unbehauens Auftreten nicht ungewöhnlich für Männer seiner Generation, zumal wenn sie im protestantischen ländlichen Milieu aufwuchsen und lebten. Seine Vita lässt immer wieder den Zeitgeist erkennen, sie steht, gerade was ihre Grundstrukturen anbelangt, exemplarisch für viele um 1900 geborene, im protestantischen Franken beheimatete Männer (z.B. national-konservatives Denken, Enttäuschung über verlorenen 1. Wk., Distanz zur Weimarer Republik, Liebäugeln mit dem NS, Sich-Einlassen auf den NS, Einstellung zur Entnazifizierung, Verhalten in der Wirtschaftswunderzeit…) à dieses Exemplarische soll herausgearbeitet werden

Es geht aber nicht nur darum, den exemplarischen Charakter der Vita herauszuarbeiten und die Bedeutung Unbehauens für einzelne Entwicklungen aufzuzeigen, die Rothenburg im 20. Jh. genommen hat, d.h. diese Biographie in einen größeren historischen Kontext einzubetten, sondern auch darum Unbehauen als Ganzes vorzustellen.

Primär als Künstler, als Kunstmaler und Graphiker, der zahlreiche Stilrichtungen beherrschte und in Rothenburg sowie weit über die Region hinaus wirkte: So verstand sich Ernst Unbehauen selbst und so wurde er üblicherweise auch öffentlich wahrgenommen.

Unbehauen war aber mehr: Berufsschullehrer, Buchillustrator, Autor, freier Mitarbeiter in der Feuilleton-Redaktion des „Fränkischen Anzeigers“ sowie engagiertes Mitglied in zahlreichen städtischen Gremien und Rothenburger Vereinen. Auch diese Punkte sollen heute zur Sprache kommen.

Ich will Ihnen in den nächsten ca. 60 Minuten die Persönlichkeit Ernst Unbehauen vorstellen sine ira et studio vor dem Hintergrund der allgemeinen lokalen historischen Entwicklung und unter Berücksichtigung vorherrschender Denkstrukturen und milieubedingter Faktoren.

Jugend im Kaiserreich (1899-1918)
Geboren 19.3.1899 als drittes Kind von Babette und Johann Michael Unbehauen, hatte zwei deutlich ältere Brüder (1890, 1893). Die drei Jungen wuchsen in einem kleinbürgerlichen, protestantischen Elternhaus auf. Ihr Vater Johann Michael Unbehauen war Volksschullehrer und Kantor in Zirndorf. Ernst Unbehauen besuchte die Volksschule Zirndorf, als der Vater 1907 verstarb. Daraufhin kehrte die Witwe mit ihren Kindern nach Rothenburg zurück. Hier waren sie und ihr Mann geboren, hier oder in der näheren Umgebung von Rothenburg war die Familie seit mehreren Generationen ansässig.

Milieu: Die Stadt war zu der Zeit wie weite Teile Westmittelfrankens eine protestantische Hochburg. Konfessionelles Denken war damals im westlichen Mittelfranken durchaus üblich. Im Wahlkreis Rothenburg: evangelische Dominanz, hoher Agraranteil, konservatives Wahlverhalten: Hier konnte die sonst in Bayern erfolglose Nationalkonservative Partei teilweise 88% der Stimmen für sich verbuchen und auch bei den letzten Landtagswahlen vor dem Ersten Weltkrieg, 1912, siegten die Konservativen. Man dachte national-konservativ – in Rothenburg und im Hause Unbehauen.

Er war jugendbewegt, gehörte der Rothenburger Ortsgruppe der Jungwandervögel an. Die Jungwandervögel, auf der Suche nach einem neuen Lebensstil, stärkten durch regelmäßige Wanderungen und das Führen eines naturgemäßen Lebens nicht nur ihre Naturverbundenheit, sondern auch ihre Vaterlandsliebe. So war der schon früh national gesinnte Ernst Unbehauen auch Mitglied in der Jugendwehr (1915) (3. Zug der Jugendkompanie „Rothenburg“)

Familie lebt seit 1907 in Rothenburg in ärmlichen Verhältnissen. Unbehauen besucht die dortige Volksschule, anschließend sechs Jahre lang die örtliche Realschule, dann mit 16 Jahren Ausbildung zum Volksschullehrer in Lehrerbildungsanstalt Schwabach (vgl. Vater, Oskar). Damals bereits große künstlerische Begabung Folie: Porträtstudie des 12-jährigen Unbehauen (1911)1917 unterbrach der achtzehnjährige Ernst Unbehauen seine Lehrerausbildung, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Volles Engagement bis Kriegsende: Ausbildung in Grafenwöhr, Einsatz als Kanonier an der Westfront 1918, schnelle Beförderung, bei Kriegsende Offizierslehrgang in Grafenwöhr à Enttäuschung über Kriegsende aufgrund seiner nationalen Gesinnung

In der Weimarer Republik (1919-1933)
Rückkehr ins Zivilleben, Fortführung der Ausbildung (1919 Freikorps Oberland
2 Folien à nationalistischer, antidemokratischer, antiliberaler, antisemitischer Kampfverband), Abschluss (durchschnittliche Beurteilungen bezüglich seines Fleißes, seines Unterrichts, Hervorhebung seiner künstlerischen Begabung) Folie: Selbstbildnis 1925

1924 nach Rothenburg berufen. Hier fand er an der Berufsschule eine feste Anstellung als Gewerbehauptlehrer, der für die Klassen der kunsthandwerklichen Berufe zuständig war.

Milieu: Denn in Rothenburg und seiner ländlichen Umgebung verlief damals das Leben weitgehend in den bereits durch die Kaiserzeit vorgezeichneten Bahnen. Bodenständig war man in der Region und konservativ, national gesinnt und dabei durchaus aufgeschlossen für militaristische Traditionen (Reichspräsidentenwahl 1925: im Bezirksamt Rothenburg über 90% der Wähler für Hindenburg). Dass er, der Militär, großen Zuspruch fand, zeigt auch, wie weit fortgeschritten die „Remilitarisierung der öffentlichen Meinung“ in Rothenburg und Umgebung war. Hier hatten die völkischen Kräfte großen Einfluss, in zahlreichen Orten und Dörfern existierten Ortsgruppen des Wehrverbandes „Reichsflagge“. Diesen Einflüssen konnte sich kaum jemand entziehen, auch nicht Ernst Unbehauen.

1932
Unbehauen ist vielfältig engagiert neben seiner Lehrertätigkeit.
Als Künstler: 1921 Notgeldscheine entwerfen, 1922 malte er das so genannte Krebsloch im Rothenburger Ratskeller aus (1925/26 Studium an der Staatsschule für angewandte Kunst und der Akademie der bildenden Künste in München), 1930 in Dinkelsbühl das Hotel „Deutsches Haus“ mit Wandmalereien, auf Ausstellungen des deutschen Malergewerbes in München, Nürnberg, Schweinfurt und Würzburg war er vertreten, nahm an Wettbewerben teil und wurde Redaktionsmitglied mehrerer Malerzeitungen.

Verankerung im Rothenburger Kulturleben: 1921 war er Gründungsmitglied der Hans-Sachs-Spiele, seit 1922 war er auch im Festspiel „Der Meistertrunk“ präsent, 1926 wurde er Ausschussmitglied im historischen Verein „Alt-Rothenburg“, im Jahr darauf künstlerischer Fachberater der Stadt Rothenburg und 1928 schließlich Mitglied im Rothenburger Künstlerbund. 1929 an der Organisation der Rothenburger Gewerbeausstellung beteiligt und noch Zeit fand eine Schreibfibel für Volksschüler zu verfassen, die 1930 erschien.

Familiäre Situation:
Heiratet, Ehepaar bekommt 1929 eine Tochter, Ehefrau stirbt aber ein halbes Jahr später, 1932 2. Ehe

Als politisch denkender Mensch: Vordergründig unpolitisch (gehörte keiner Partei an, engagierte sich nicht politisch), aber nach wie vor stark national gesinnt, liebäugelte mit der NSDAP. Februar 1932 längererZeitungsartikel im „Fränkischen Anzeiger“ mit dem bezeichnenden Titel „Rothenburg erwache!“ Hier sah er sich z.B. veranlasst davor „dringend zu warnen, auf der abschüssigen Bahn der Zerstörung, der Technik, der Modernisierung weiterzuschreiten“. Er setzte sich wiederholt ein für die Wahrung alter deutscher Traditionen, für eine weitgehend autofreie, ihrer modernen Anbauten entkleidete Altstadt, forderte einen farblich verhältnismäßig einheitlichen, dezenten Anstrich ohne schreiende Reklamen, dier Rückbesinnung auf angeblich alte deutsche Schriften, deutsche Tänze und alte deutsche originelle Musik oder propagierte im Interesse eines florierenden Fremdenverkehrs die mittelalterlichen Vorzüge Rothenburgs àEr tangierte Bereiche, die auch im Sinne der NS-Ideologie verstanden werden konnten: Vereinheitlichung, Reglementierung, Ordnung, Betonung des Deutschtums, Ablehnung der Moderne, Rückbesinnung auf die mittelalterlichen Wurzeln, Akzentuierung Rothenburgs als „deutsche“ Stadt. Unbehauen formulierte seine Sichtweise im Sprachgebrauch der Zeit und begab sich somit sprachlich und inhaltlich in eine gefährliche Nähe zur NS-Weltanschauung.

Im „Dritten Reich“


1938:
1933 ließ sich Unbehauen auf den NS ein: Eintritt in NSDAP, SA und weitere Parteiorganisationen oder angeschlossene Verbände (dem Deutschen Frauenwerk, der NS-Volkswohlfahrt, dem Reichsbund der Deutschen Beamten, NS-Lehrerbund, Volksbund für das Deutschtum im Ausland, Kolonialbund, Sängerbund und der Reichskulturkammer)

Milieu:
1933 hatte sich die NSDAP im westlichen Mittelfranken längst etabliert. In dem hier überwiegenden agrarisch-protestantischen Milieu waren schon frühzeitig national-konservative und nationalistische Kräfte eine enge Verbindung eingegangen.“Mentale Machtergreifung“ in Rothenburg bereits im April 1929: Im Hotel „Bären“ kam es zu einer ersten großen Saalschlacht, als in einer SPD-Versammlung die zahlreich anwesenden Nationalsozialisten eine Schlägerei provozierten. Damit hatte sich die NSDAP in Rothenburg etabliert, wie alle Wahlergebnisse der Jahre 1929-1932 zeigen. Die Region Rothenburg war bereits lange vor 1933 eine absolute Hochburg der Nationalsozialisten – und sollte das bis 1945 bleiben. Höhepunkt: Reichstagswahl vom 5. März 1933, durch die das Bezirksamt Rothenburg mit 83% NSDAP-Wählern zum besten nationalsozialistischen Wahlbezirk Deutschlands avanciert war
Bezüglich seiner freudigen Zugehens auf den NS war Unbehauen sicherlich kein Einzelfall.

Er bekam aber bald Probleme mit dem NS als Mitglied einer Ansbacher Freimaurerloge. à 1935 erklärte das Kreisgericht Rothenburg der NSDAP Unbehauens Parteieintritt vom 1. Mai 1933 „für nichtig“. Stadt und Partei stellten sich hinter Unbehauen. So beförderte man ihn, den städtischen Beamten, zum 1. Mai 1935 zum Gewerbeoberlehrer, um ihn in Rothenburg zu halten. Wohl dank der Initiative des Rothenburger Kreisleiter Steinacker durfte Unbehauen in die NSDAP zurückkehren, allerdings entzog ihm das Gericht „auf Lebenszeit die Fähigkeit zur Bekleidung eines Parteiamtes“.

Tätigkeit als Künstler, in Vereinen, für die Stadt:
Wie gehabt: Als Kunstfachberater der Stadt erteilte Ernst Unbehauen immer wieder Kunstkurse für Stilkunde, Schrift- und Schaufenstergestaltung, leitete Bastel-, Maler- und Plakatkurse, veranstaltete diverse Ausstellungen, Hans-Sachs-Spiele Schäfertanz, „Der Meistertrunk“, er beriet die Stadt im Messewesen, im Verein „Alt-Rothenburg“, Redaktionsmitglied mehrerer Malerzeitungen, schuf eine Reihe Wandmalereien in und um Rothenburg sowie zahlreiche Porträts…

Antisemitische Kunst
Anfang 1935 zeichnete er im Auftrag der Kreisleitung einen Holzschnitt Michael Wolgemuts über den Mord an dem Kind Simon von Trient aus der „Weltchronik“ von Hartmann Schedel ab. FolieIm Februar 1936 wurde ein weiterer, von Unbehauen gefertigter Parteiauftrag in einer öffentlichen Feierstunde enthüllt, die „Rothenburger Mahntafel“, so die NS-Terminologie.

Zu Streichers 51. Geburtstag im Februar 1936 hatte sich die Stadt Rothenburg ein besonderes Geschenk ausgedacht, das dem Gauleiter vom Rothenburger Kreisleiter persönlich überreicht wurde: „Ein herrlicher schwerer Schrein, an dem Rothenburger Künstler und Handwerker gearbeitet hatten, enthielt eine kunstgeschmiedete Kassette mit dem in geschmackvoller Ausführung hergestellten Ehrenbürgerbrief der Stadt Rothenburg o. Tbr.“

1937 übernahm Unbehauen auf Weisung der Partei den Auftrag zur künstlerischen Gestaltung von vier antisemitischen „Judentafeln“, die an einzelnen Stadttoren, dem Klingen-, Galgen-, Spital- und Burgtor, angebracht wurden.

Als 1938 das antisemitische Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich. Rothenburg ob der Tauber im Kampfe gegen das Judentum“ aus der Feder von Martin Schütz erschien, enthielt es ein von Ernst Unbehauen entworfenes und von ihm wiederum mit seinem Namenskürzel signiertes Titelblatt.

Unbehauen hat sich massiv auf den NS eingelassen, viel intensiver als andere Rothenburger Künstler (z.B. Max Ohmayer (1903-1970), Rudolf Schacht (1900-1974), Hans Böhme (1905-1982), Peter Philippi (1866-1945). Das geht bereits 1933 los mit Parteieintritt und Anfertigung der Ehrenbürgerurkunde für Hitler (Folie) und erreicht seinen Höhepunkt in den Jahren 1935-1938. Danach ist Schluss. Unbehauen selbst sagt nach dem Krieg, er habe sich seit 1938 klar distanziert vom NS. Ihm kam der Kriegsausbruch zugute, der ihn aus Rothenburg und damit aus dem Einflussbereich der örtlichen NS-Repräsentanten wegführte (Wetterinspektor in Illesheim, Kriegsmaler in Paris/Berlin). Im Frühjahr 1945 wurden die Sanitätsoffiziere der Ärztlichen Akademie und Ernst Unbehauen nach Würzburg verschlagen, nach dessen Bombardierung fanden sie im April 1945 Aufnahme im Schönbornschen Schloss in Wiesentheid, wo Unbehauen bis 1955 blieb.

Schwierige Jahre (1945-55)

Als Künstler in Wiesentheid
Familie in Rothenburg (1932 2. Ehe, 1938 Geburt eines Sohnes), Unbehauen blieb in Wiesentheid, richtete sich in einem der Schlosstüme ein Atelier ein. Verdiente sich seinen Lebensunterhalt durch seine Malerei (Verbot der beruflichen Tätigkeit als Lehrer). àAußenwirkung Unbehauens: kratzbürstig, teilweise ungepflegt, spricht dem Alkohol stark zu, besitzt aber große künstlerische Fähigkeiten

Viele Werke entstehen: Landschaftsmalereien, Porträts, Karikaturen (Wiesentheiter Narreteien Folie) (viele dekorative Arbeiten, Wand- und Deckengemälde, echte Freskos, Sgraffiten, Gipsschnitte, Glasfenster, Intarsien)
Selbstbildnis 1946 Folie à U. deutet sein Verhalten als „Eselei“

Entnazifizierung
Seit Anfang 1947 Ermittlungen der Rothenburger Spruchkammer gegen Unbehauen. Antrag des Klägers, Unbehauen in die Gruppe II der Belasteten einzuordnen.Unbehauen reagierte darauf mit einem 15-seitigen Schreiben, in dem er detailliert die einzelnen Vorwürfe zu entkräften versuchte. Zu seiner Entlastung führte er an, er sei politisch prinzipiell uninteressiert gewesen und habe nur auf mannigfachen massiven Druck von Seiten lokaler Parteigrößen sowie seines Dienstvorgesetzten und aus Furcht vor Entlassung gegen seinen Willen Wünschen und Forderungen der Partei entsprochen. Alle relevanten Vorgaben, z.B. bei den Judentafeln, seien von der Partei gemacht worden, er selbst sei lediglich ausführendes Organ gewesen, für Inhalte keinesfalls verantwortlich, quasi nur Kopist, der sich bemüht habe, die Ausführung der Aufträge zu verzögern und drastische Vorgaben möglichst abzuschwächen. Dies sei sein „großes Verdienst in der Sache“ gewesen, grundsätzlich habe er sich „widersetzt im Bereich des Möglichen, […] also schon Widerstand geleistet“. In den Augen der Partei habe er, der ehemalige Freimaurer, als politisch unzuverlässig gegolten. Prinzipiell sei er antinationalsozialistisch gesinnt und schon gar nicht antisemitisch eingestellt gewesen, wie seine unpolitische Unterrichtsführung und zahlreiche Zeugenaussagen belegen würden. Summa summarum schätzte Unbehauen „seine Tat als belanglos“ ein.

Beispiel Ritualmordbild Folie
Gegenüber der Spruchkammer Rothenburg erklärte Unbehauen 1947, Kreisleiter Steinacker habe sich „auf dieses Bild versteift“ und sei nicht davon abgegangen, „gerade [ihn] dazu auszuwählen“. Er habe sich dagegen gesträubt und „alles versucht, es abzubiegen“, sei aber durch den permanenten Druck „so mürbe gemacht“ worden, dass er, „um endlich […] Ruhe zu haben“, die Kopie gefertigt habe. Das Bild sei „seit Jahrhunderten in Tausenden von Exemplaren in der Welt verbreitet“. Demnach sei er, Unbehauen, „nicht der Urheber“. Instanz vor Spruchkammer Rothenburg im März 1947: Unbehauen wurde der Gruppe II der Belasteten zugeordnet mit einer Reihe empfindlicher Sühnemaßnahmen, deren einschneidendste ein 30%iger Vermögenseinzug und die Einweisung in ein Arbeitslager auf die Dauer von acht Monaten darstellten. à strenger Spruch; Verhaftung, Einweisung in Arbeitslager LangwasserRevisionsverhandlung November 1947: Konsequent bezeichnete Unbehauen sich als ein größtenteils unschuldiges Opfer des Nationalsozialismus, das, beruflich und wirtschaftlich unter Druck gesetzt, gegen seinen Willen Parteiaufträge habe ausführen müssen. Ritualmordbild: In seinem Berufungsverfahren wartete Unbehauen mit einem neuen Erklärungsversuch auf: Ihm sei es „nicht bekannt“ gewesen, „daß dieses Bild den Ritualmord darstellen sollte“.

Teilerfolg, die Einstufung in die Gruppe der Minderbelasteten (III).
Die Bewährungsfrist setzte er auf die Mindestlänge von zwei Jahren fest, in denen Unbehauen sich einer Reihe von Tätigkeitsbeschränkungen unterwerfen musste. So war es ihm etwa weiterhin verboten, als Lehrer tätig zu sein.Danach mehr oder minder formale Abwickelung des Verfahrens: Unbehauens Rechtsbeistand richtet im Oktober 1948 Schreiben über die Hauptkammer Ansbach an das Staatsministerium für Sonderaufgaben, in dem er darum bat, „die Bewährungsfrist für beendet zu erklären“ und „die Hauptspruchkammer Ansbach zur sofortigen Durchführung des Nachverfahrens […] anzuweisen.“ Art. 42 Befreiungsgesetz: Wenn der Betroffene „bewiesen hat, daß er sich vom Nationalsozialismus völlig abgewandt hat und geeignet und bereit ist, nunmehr an dem Wiederaufbau Deutschlands auf einer friedlichen und demokratischen Grundlage mitzuarbeiten“, konnte der Minister für politische Befreiung die gegen den Betroffenen ergangenen Entscheidungen mildern oder sogar ganz aufheben.Letztlich erklärte der Minister für politische Befreiung Unbehauens Bewährungsfrist mit dem 1. März 1949 für beendet. Abgeschlossen wurde das Nachverfahren im April 1949 mit dem Spruch der Hauptkammer Ansbach, der Unbehauen als Mitläufer klassifizierte.

Typisch für Verlauf der Entnazifizierung: man bemühte sich im Zeichen des heraufziehenden Kalten Krieges die zunehmend unbeliebte Entnazifizierung zu einem schnellen und damit für die noch schwebenden Verfahren üblicherweise glimpflichen Abschluss zu bringen.Wenn Unbehauen immer wieder Härte und Einseitigkeit des Verfahrens beklagte und seine Vergehen als belanglose Banalitäten bewertete, zeigte er nur, dass seine diesbezügliche Wahrnehmung getrübt war, er – wie so viele Deutsche – den tieferen Sinn der Entnazifizierung nicht verstanden hat oder nicht hat begreifen wollen. Sie dürfte ihm als unliebsame, oktroyierte Pflichtübung erschienen sein, die durchlaufen werden musste.

Der Versuch, in Rothenburg wieder Fuß zu fassen
Offiziell eine Unperson,zu der man formal noch Abstand hielt; in Wirklichkeit war Ernst Unbehauen bereits 1950 in Rothenburg wieder wohl gelitten.

Fallstudie: Frühjahr 1950, Einweihung der Topplerschule. à Fallstudie dafür, wie sich der Zeitgeist nicht einmal fünf Jahre nach Kriegsende gewandelt hatte und wie weit die Bereitschaft, die dunklen Seiten der NS-Zeit zu verdrängen und zu vergessen, in großen Teilen der Bevölkerung fortgeschritten war.

Im Januar dieses Jahres war die Topplerschule als eine Bildungsstätte, die den neuen demokratischen Geist atmen sollte, feierlich eingeweiht worden. Entsprechende Wandgemälde sollten diese demokratische Ausrichtung symbolisieren. Zu dem Zweck waren Stadtschulrat und Stadtbaumeister an die Rothenburger Kunstmaler Constantin von Collande und Hans Böhme herangetreten. Den Auftrag erhielt aber nach einem etwas dubiosen Vergabeverfahren schließlich Ernst Unbehauen, der zwei lebensgroße Fresken im Eingangsbereich der Schule und im Treppenhaus fertigte. Er hatte zugesichert, quasi zum Selbstkostenpreis zu arbeiten, was für die politisch Verantwortlichen angesichts beschränkter Finanzmittel den Ausschlag gab. Am 2. Februar nahm sich die von den Amerikanern in ihrer Besatzungszone herausgegebene „Neue Zeitung“ in einem umfangreichen Artikel des Themas an. Sie stellte den Sachverhalt dar, warf den Entscheidungsträgern und der Lokalpresse vor, sie hätten Absprachen getroffen, um die Entscheidung für Ernst Unbehauen nicht publik werden zu lassen, und warf schließlich die Frage auf, ob Unbehauen mit seiner NS-Vergangenheit der richtige „Repräsentant dieses neuen Geistes“ sei.

Der Bericht zeitigte vor Ort natürlich große Resonanz und Aufregung. Der „Fränkische Anzeiger“ und die „Fränkische Landeszeitung“ verwahrten sich in längeren Artikeln gegen diese Vorwürfe. Der Rothenburger Künstlerbund, dem Ernst Unbehauen vor dem Zweiten Weltkrieg und dann wieder seit 1956 angehörte, votierte gegen ihn. Seine Mitglieder vertraten die Ansicht, „Unbehauen als auswärtiger Künstler hätte sich nicht einmischen sollen [, die] Bearbeitung des Auftrages [könne] von ortsansässigen Künstlern durchgeführt werden“. Auch im Stadtrat wurde ausgiebig diskutiert. Im Sitzungsprotokoll finden sich acht Stellungnahmen des Oberbürgermeisters, einzelner Stadträte und des Schulrats zu dieser Angelegenheit. Das Stadtoberhaupt bezeichnete die „Affaire“ als „äusserst bedauerlich“, weil der Stadt dadurch ein „ungeheuere[r] Schaden zugefügt“ worden sei, einzelne Stadträte artikulierten ihren Unwillen darüber, dass „das [Stadtrats-]Plenum nicht über den Gang der Verhandlungen informiert worden sei“, sondern über den Sachverhalt „lediglich dem 1. Ausschuss ganz formlos […] Mitteilung gemacht worden“ sei. Der Schulrat beteuerte, ihm sei es einzig darum gegangen, „der Bevölkerung und den Kindern dieser Stadt ein schönes Schulhaus zu erstellen“. Der Oberbürgermeister wies noch auf „einige irrtümliche Auffassungen des Artikelschreibers der NZ“ bezüglich der Auftragserteilung hin, die korrekt erfolgt sei. Zum Abschluss der Aussprache führte er aus, „dass den Initiatoren des NZ-Artikels der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie nicht ein einziges Mal versucht haben, sich mit dem Stadtrat ins Benehmen zu setzen, der von sich aus gewiß bereit gewesen wäre, die Streitfrage in einer alle Beteiligten zufriedenstellenden Weise zu lösen“

viel vermeintliche Unschuld, die sich von der „Neuen Zeitung“ zu Unrecht an den Pranger gestellt sah, dagegen wenig Selbsterkenntnis der politischen und moralischen Dimensionen der Affäre. Lediglich ein Stadtratsmitglied vertrat die Auffassung, „daß es politisch unklug gewesen sei, Unbehauen mit der Wandbemalung zu betrauen“. Mit Fragen der politischen Klugheit, die die Zeit des „Dritten Reichs“ tangierten, wollte man sich anscheinend 1950 im Rothenburger Stadtrat mehrheitlich nicht mehr befassen. Die „Lösung“ des Problems kam schließlich von Ernst Unbehauen, der, wie der Stadtschulrat das Plenum informierte, darum „gebeten habe, diese Bilder sofort entfernen zu lassen“. Das nahm der Stadtrat „zufrieden“ zur Kenntnis „und beschloß, in dieser Angelegenheit vorerst abzuwarten“.

Unbeeindruckt von den Rothenburger Reaktionen legte die „Neue Zeitung“ am 12. März 1950 nach. Sie bekräftigte ihre Einschätzung der Dinge, indem sie die bis ins Jahr 1920 zurückreichenden Verbindungen des örtlichen Stadtschulrates zur NSDAP offenlegte.

Auch bezüglich Ernst Unbehauen wartete das Blatt mit folgender neuer Information auf: „Um der Jugend in einem erzieherischen Fresko demokratische Ideen zu vermitteln, hat Unbehauen – wie er schriftlich erklärt – ‘ein passendes Bild etwas umgestaltet’. Dieses ‘passende Bild’ ist ein Gemälde von Arthur Kampff [sic!] ‘Hitlerjungen vor Ruine’. Der Zynismus dieses Verfahrens sollte eigentlich bei den Beteiligten nichts als Beschämung auslösen.“ Folie
Dem Rothenburger Stadtrat warf die „Neue Zeitung“ angesichts dieser Sachverhalte eine etwas wehleidige, am Wesentlichen vorbeigehende Reaktion vor. Schulrat und Stadtrat hätten, so die Bilanz des Redakteurs, „ihrer Stadt einen schlechten Dienst erwiesen“.

Die Episode belegt zweierlei:
Sie zeigt zum einen, dass sich die maßgeblichen politischen Kreise in Rothenburg, ja selbst die lokale Presse, unterm Strich keines Fehlverhaltens bewusst waren. Es scheint, als habe man 1950 in der Tauberstadt die NS-Zeit fast vergessen bzw. erfolgreich verdrängt. Wirtschaftliche Überlegungen hatten Vorfahrt vor moralischen Bedenken, wenn denn solche bei den Entscheidungsträgern überhaupt existierten.

Richtet man den Fokus auf Ernst Unbehauen, so fällt auf, dass er in Rothenburg kaum etwas von seiner ursprünglichen Bedeutung eingebüßt hatte, handelte es sich bei der Topplerschule doch um „die erste ‘Versuchsvolksschule für demokratische Erziehung’“, d.h. ein exponiertes Projekt mit Symbolcharakter. Dass sich Ernst Unbehauen angesichts dieser Ausgangslage ein bekanntes Gemälde des dem Nationalsozialismus sehr nahestehenden Historienmalers Arthur Kampf zum Vorbild für ein eigenes Fresko nahm, war über die Maßen unklug. Hier verkannte der Künstler die dem ganzen Vorgang zugrunde liegende moralisch-historische Dimension völlig – was aber wiederum sehr gut passt zu der Art und Weise, wie er sich zu seiner eigenen Entnazifizierung gestellt hatte. Allerdings war er es dann auch, der eine weitere publizistische Eskalation verhinderte, indem er dem von der „Neuen Zeitung“ ausgeübten Druck nachgab und von sich aus die Entfernung seiner Wandmalereien erbat. Oberbürgermeister und Stadtrat, die sich in dieser Kontroverse denkbar ungeschickt verhielten, mussten ihm für seinen Verzicht dankbar sein, weil er so weiteren Imageschaden von der Tauberstadt abwendete.

Es wird Ernst Unbehauen durch diese Kontroverse wohl klar geworden sein, dass in Rothenburg in den entscheidenden Gremien durchaus Leute saßen, die ihm wohlgesonnen waren. Zwar scheiterte 1950 Unbehauens offizieller Wiedereinstieg in das Kulturleben seiner Heimatstadt, aber die dort herrschende Stimmung dürfte ihm Hoffnung auf eine baldige Rückkehr gemacht haben: Ende 1954 Rückkehr Unbehauens an die städtische Berufsschule in Rothenburg; mit Wirkung vom 1. Mai 1955 Beamter auf Lebenszeit; Unbehauen wird unter Schaffung einer neuen Studienratsstelle zum Gewerbestudienrat beförderte. Umzug nach Rothenburg, Bau eines Hauses am Heckenacker.

In der Bundesrepublik angekommen (1955 – 1963)
Hier, in seiner neuen alten Heimat Rothenburg, knüpfte Ernst Unbehauen nahtlos an sein Engagement der 20er und 30er Jahre an. In den acht Jahren bis 1963, als er aus dem aktiven Schuldienst in den Altersruhestand trat, leistete Unbehauen im Rothenburger Kulturleben Vortreffliches, fungierte als kultureller Motor und Ideengeber – kurz, er wurde, noch mehr als in den 30er Jahren, durch sein vielfältiges Engagement zu einer festen Größe in Sachen Kultur (z.B. Meistertrunk, Alt-Rothenburg). Begünstigt wurde diese Reintegration durch das Wohlwollen, das die Öffentlichkeit und politische Mandatsträger ihm gegenüber an den Tag legten. Seine NS-Verfehlungen wirkten sich für ihn nicht mehr negativ aus, sie waren zu der Zeit kein diskussionswürdiges Thema (typisch).

Juni 1963 große öffentliche Ausstellung in Rothenburg.
Sie zeigte in zwei Räumen insgesamt 182 Werke Unbehauens. Von Ölgemälden über Monotypien, Aquarelle und Zeichnungen spannte sich der Bogen bis hin zu dekorativen Entwürfen für Wandmalereien, Fresken, Mosaike, Intarsien und Glasfenster

Künstlerische Entwicklung: Impressionistisches, ja sogar Surrealistisch-Visionäres in seine Werke integriert. Seine Anklänge an das Abstrakte seien allerdings begrenzt, er, Unbehauen, vermeide das allzu Modernistische. Gegenstandslose Kunst ist die schlimmste aller Feindschaften, die uns bedrohen. Eine Kunst ohne Gesicht ist lebensfeindlich und weltfeindlich. Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Wer mit anderem Maß mißt, mißt falsch. Seine künstlerische Entwicklung habe ihn, so Unbehauen, von einem Impressionisten der Münchner Schule zu „ein[em] Verehrer der Wiener Schule eines Ernst Fuchs“ geführt. Die damit umschriebene, dem Surrealismus nahestehende Kunstströmung des Phantastischen Realismus entwickelte sich Mitte der 50er Jahre. Ihre Vertreter bannten mythische Themen, kosmische Träume, apokalyptische Visionen oder phantastisch-erotische Kreationen, oft ins Groteske übersteigert und ironisch gebrochen auf die Leinwand. All das fand sich auch in einzelnen Bildern, die Unbehauen 1963 der Öffentlichkeit präsentierte – und die nicht immer auf Gegenliebe stießen. Vor allem sein 1961 entstandenes Triptychon „Neue Apokalypse“ („Triumph des Häßlichen“ – „Vergebliches Opfer“ – „Atomtod“ Folie) warf bei vielen Besuchern die Frage auf: „Mußte Ernst Unbehauen all´ das Häßliche malen?

Aber: zahlreiche Ehrengäste aus Gesellschaft, Politik bei Vernissage; große Resonanz (musste wegen des regen Besucherandrangs verlängert werden und als sich nach vierwöchiger Dauer endgültig die Pforten schlossen, ca. 15.000 Besucher); viele umfangreiche bebilderte Presseberichte über Ausstellung.

Unbehauen allseits geschätzten Rothenburger Kunstautorität des Jahres 1963 (Reintegration kein Problem, NS spielt keine Rolle)

Aktivitäten im Ruhestand (1963 – 1980)

Befreit von schulischen Fesseln wandte sich Ernst Unbehauen jetzt stärker denn je der Kulturarbeit zu. Noch 17 Lebensjahreals freischaffender Künstler. anlässlich seines 75. Geburtstages: auf „weit über 2.000 Arbeiten“ und „800 Portraits“ als Ergebnis seines „bisherigen künstlerischen Schaffen[s]“ verweisen. (Porträts, impressionistische Landschaftsgemälden, große Decken- und Wandmalereien, Aquarelle, Illustrationen und Skizzen, Tempera-, Rötel- und Buntstiftarbeiten. àBald skurriler Humor, bald heitere Farbigkeit, dann wieder nachdenklich Stimmendes oder Exotik, Surrealistisches (Salvador Dali) vgl. „Urangst“ oder die „Rosarote Wolke“ FolieDaneben fungierte Unbehauen als Denkmalpfleger und Berater in städtischen Gremien und schuf zahlreiche kalligraphische Pergamenturkunden für die Stadt, örtliche Vereine und Privatleute.

Nach wie vor war er im „Meistertrunk“, bei den Hans-Sachs-Spielen und dem Schäfertanz präsent und aktives Mitglied in Vereinen und Organisationen wie im Verkehrsverein, dem Rothenburger Künstlerbund und dem Verein „Alt-Rothenburg“, wo er jeweils im Ausschuss bzw. Vorstand saß. Mitglied der Kulturredaktion des „Fränkischen Anzeigers“Tätigkeit als BuchillustratorMaßgebliche Mitgestaltung der Historiengewölbe.

Im September 1966 glanzvolle Einweihung durch Ministerpräsident Goppel. Publikumsmagnet: Bis 1975 hatten bereits 400.000 Besucher einen Blick in die Gewölbe geworfen. Ein positiver Nebeneffekt für das Festspiel bestand darin, dass es durch die Eintrittsgelder „eine wirkungsvolle Finanzspritze“ erhielt und „finanziell auf eigenen Füßen“ stand. Im Rückblick erscheinen die Historiengewölbe wohl als das bedeutendste Projekt Ernst Unbehauens, dem die größte Nachhaltigkeit beschieden war – und als das Unternehmen, das in der öffentlichen Wahrnehmung untrennbar mit seinem Namen verbunden war und bis heute ist.

Aber:
Unbehauen war ein schwieriger Mensch:
leicht aufbrausend, seine Ellbogen benutzend, pflegte eine „harte Sprache“, war teilweise überheblich und urteilte von oben herab, polarisierte à Verbindlichkeit war ihm fremd.

Episode: Auseinandersetzung Unbehauens mit dem Verein Alt-Rothenburg im Herbst 1974
Trotz der Unterstützung, die Ernst Unbehauen hier durch den Verein „Alt-Rothenburg“ erfahren hatte, und der Ernennung zum Ehrenmitglied des Vereins als Würdigung seiner Verdienste um selbigen zog sich auch der Verein Unbehauens Unwillen zu. Im Herbst 1974 warf er in einer Ausschusssitzung den Alt-Rothenburgern vor, er könne mit der gegenwärtigen Arbeit des Vereins „nicht einverstanden sein. Er vermisse wirklichkeitsnahe Arbeit. Die Hauptaufgabe des Vereins, nämlich Erhaltung der Stadt Rothenburg sei zugunsten eines reinen Geschichtsvereins zu sehr in den Hintergrund gedrängt.“ Deshalb habe auch „die Ausstrahlungskraft des Vereins in der Öffentlichkeit nachgelassen. Dabei gebe es massenhaft Probleme.“ Nach Erläuterung einiger Defizite forderte Unbehauen als Quintessenz seiner Ausführungen „Selbstkritik und eine Kehrtwendung in der bisherigen Arbeitsweise. Auch der Heimatpfleger bedürfe noch mehr der Unterstützung durch den Verein.“

Die massive Kritik traf den Verein völlig unerwartet. Wogen schon die inhaltlichen Vorwürfe schwer, so vertiefte Unbehauen durch den Ton, den er anschlug, die aufgerissene Kluft. Protokollant der Ausschusssitzung: Vokabeln wie „heftig“ oder „leidenschaftlich“ – deutliche Indizien dafür, dass Unbehauen verbal den Bogen überspannt hatte. Temperamentvoll wie er war vergriff er sich im Ton.

Als sich kurz darauf der Vereinsvorstand in einer Sitzung mit Unbehauens Kritikpunkten auseinandersetzte, heißt es im Protokoll vielsagend: „Es ist beabsichtigt, in der nächsten Ausschuß-Sitzung darauf einzugehen, wenn auch nicht in der gleichen polemischen Art.“ In ihr brachte der Vereinsvorsitzende, wie im Protokoll ausdrücklich vermerkt, „sachlich“ Unbehauens Einwände zur Sprache, um sie zurückzuweisen und zu widerlegen.

Das Tischtuch zwischen dem Verein „Alt-Rothenburg“ und Ernst Unbehauen war zerschnitten.

Derart undiplomatisches Verhalten wurde ihm aber anscheinend verziehen angesichts seines Einsatzes in Sachen Kultur und seines ehrenamtlichen Engagements.

Beleg dafür zahlreiche Ehrungen ab 1964 (65. Lebensjahr):Den Anfang machte die Stadt Rothenburg, die Ernst Unbehauen im April 1964 die Bürgermedaille verlieh. Zwar Parteienstreit, wer die Medaille bekommen soll. Aber alle waren sich bei Unbehauen einig, dass er sie verdient. Thema NS-Belastungen spielte in der gesamten Diskussion bei keinem der Kandidaten eine Rolle.„Der Meistertrunk“. 1965 erhielt er dessen goldenen Ehrenring, 1969 schließlich das Goldene Hauptausschusszeichen des Festspiels und zehn Jahre später, an seinem 80. Geburtstag, das Symbol und Emblem des Spiels in Gold. Auf wohl einzigartige Weise ehrte ihn das Festspiel, als das Historiengewölbe 1976 sein zehnjähriges Jubiläum feierte. Während einer Festveranstaltung im Kaisersaal des Rathauses wurde im Beisein prominenter Gäste ein Gedenkstein enthüllt mit der Aufschrift: „Dem Schöpfer und Gestalter dieses Museums Ernst Unbehauen gewidmet.“

Gerade diese Leistungen führten schließlich dazu, dass ihn der Bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel für das Bundesverdienstkreuz vorschlug. So nahm Ernst Unbehauen am 15. November 1977 in München das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus den Händen des damaligen bayerischen Kultusministers entgegen.

So verbrachte er seinen Ruhestand absolut aktiv, bis zum Ende gesund, öffentlich hoch geschätzt, aber nach wie vor oder mehr denn je ein unbequemer Zeitgenosse

80. Geburtstag 1979: Große Veranstaltung mit Prominenz und öffentlichen Ehrungen, Gratulationen1980 erhielt er für seinen Einsatz für den fränkisch-hohenlohischen Kulturkreis den mit 1.000 DM dotierten Kulturpreis zugesprochen
1980 Ausstellung eines Querschnitt seines Schaffens von 1920 bis 1980 in der Reichsstadthalle à bei Eröffnung zahlreiche Prominenz anwesend, sogar Ministerpräsident Goppel, reger Besuch, viele positive Presseberichte über die Ausstellung

Kurz darauf überraschender Tod. Unbehauen musste sich im Sommer 1980 einem kleinen operativen Eingriff unterziehen. Komplikationen, an deren Folgen Ernst Unbehauen am 23. September 1980 verstarb. So fand dieses, wie er selbst angesichts seines 75. Geburtstages resümiert hatte, „interessante, aufregende, aber auch erfüllte Künstlerleben seltener Art“ sein jähes Ende.