28.11.2003 | Die Luitpoldschule in Rothenburg odT.
Vortrag von Hans Gustaf Weltzer M.A. in der Luitpoldschule am 28. 11. 2003.
Qualitätvolle Architektur um 1900:
Die Luitpoldschule – ein bedeutendes Werk von Theodor Fischer
In der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg stellte Hans-Gustaf Weltzer vergangenen Freitag einem kleinen Publikum die Luitpoldschule vor, eine architektonische Kostbarkeit,die die meisten Rothenburger lediglich aus der Perspektive des Schülers oder Wählers kennen.
Im Zusammenhang mit der 100-Jahr-Feier der Schule hat sich der Referent ausgiebig mit diesem Bauwerk beschäftigt und konnte Neues und Interessantes hohe ästhetische, kunst- und stadtgeschichtliche Bedeutung des Schulhauses berichten. Viele Quellen – etwa die Baupläne und Korrespondenz -, die offenbar 1945 im Rathaus verbrannt sind, haben sich in München erhalten und konnten von H.-G. Weltzer eingesehen werden.
Der Rothenburger Magistrat hatte im Jahr 1901 beschlossen, eine neue Schule zu bauen und diese nach dem beliebten Prinzregenten Luitpold zu benennen. Zwei Jahre später wurde die Schule eingeweiht. Rothenburg erlebte in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg einen Modernisierungsschub ersten Ranges. Nach Jahrhunderten der demographischen Stagnation wuchs die Bevölkerungszahl aufs Doppelte an, die Industrie zog ein, und gleichzeitig mit der touristischen Entdeckung der „mittelalterlichen“ Stadt entstand eine moderne Infrastruktur: Kanalisation, Elektrizität, neue Verwaltungsgebäude.
Für die Luitpoldschule leistete sich die Stadt einen der prominentesten Architekten der damaligen Zeit, Theodor Fischer, Professor in München und Stuttgart, zeitweise auch Berater der Stadt Rothenburg in denkmalpflegerischen Fragen, ein sehr aktiver und zugleich bescheidener Mann, der unzählige Schüler ausgebildet hat und entsprechenden Einfluss auf die Nachkommenden hatte, etwa im „Werkbund“, dem Vorläufer des Bauhauses. Auch als Stadtplaner war er tätig und gestaltete etwa die Entwicklungspläne der Stadt München maßgeblich. In der Umgebung von Rothenburg steht z. B. die eigenwillige „Jugendstilkirche“ von Gaggstatt bei Kirchberg an der Jagst.
Beim Gang durch die Luitpoldschule demonstrierte H.-G. Weltzer, wie Fischer die Anliegen der Moderne mit Elementen des Historismus verband. Die katastrophalen hygienischen Zustände in den Großstädten des 19. Jahrhunderts waren unübersehbar; noch um 1880 kam es in Hamburg zu einer schlimmen Cholera-Epidemie. Die Reaktion der modernen Architekten bestand darin, mehr Licht und Luft in die Gebäude zu lassen, den Menschen mehr Platz einzuräumen. In der Luitpoldschule hat Fischer diese Ziele verwirklicht: Brandsicherheit, Pausenhof, große, lichte Klassenzimmer, ein Belüftungssystem, ausreichende Toilettenanlagen (in denen zur Zeit allerdings die Belüftung außer Kraft zu sein scheint – mit unbeschreiblichen Konsequenzen !). In großer Zahl finden sich abwechslungsreiche und liebenswerte Baudetails, Architektur und Design sind gleichermaßen gediegen und verspielt.
Ein Vergleich mit den wenig später entstandenen Großbauten (Amtsgericht am Rödertor, Topplerschule und Gymnasium am Bezoldweg) zeigen die herausragende Qualität und Originalität der Architektur der Luitpoldschule. Das Amtsgericht ist in vielen Teilen nur eine Kopie des Renaissance-Rathauses, das Gymnasium einem wuchtigen, gelegentlich düsteren Historismus verpflichtet.
Im anschließenden Dia-Vortrag zeigte der Referent die Spuren von Fischers Wirken an der Leichenhalle im Friedhof. Auch hier gibt es Interessantes zu entdecken.
Das Vorbild der Luitpoldschule machte offenbar in Rothenburg Schule. An vielen Häusern der „Vorstadt“, die sich von 1900 bis ca. 1930 in Richtung Bahnhof entwickelte, konnte H.-G. Weltzer Elemente des Fischerschen Gestaltungswillens wieder entdecken, so wie sie sich eben an der Luitpoldschule zeigen: Massive Eckquaderung, Fensterlaibungen, Fachwerk, Türgewände, ausgearbeitete Balkenköpfe, durchgehender Steinsockel im Unter/Kellergeschoss.
Auch als Stadtplaner hat Fischer sich mit Rothenburg beschäftigt. In München existiert eine Art Stadtentwicklungsplan aus seiner Hand, der offenbar ein hohes gestalterisches und funktionales Niveau erreicht hat und zukunftsweisende Ideen enthielt.
Es ist zu hoffen, dass H.-G. Weltzer seine Forschungsergebnisse und Beobachtungen einer breiteren Öffentlichkeit in gedruckter Form zugänglich machen wird, beleuchtet er doch ein bisher fast unbeachtetes und weitgehend unbekanntes Kapitel der Rothenburger Stadtgeschichte. Der Rektorin der Luitpoldschule, Frau Volkamer-Spatze, muss gedankt werden für die Bereitwilligkeit, mit der sie ihr Haus und ihre Freizeit zur Verfügung stellte, damit dieser ungewöhnliche Vortrag stattfinden konnte.
Dr. Richard Schmitt