11.12.2009 | Zwangsarbeit im ländlichen Franken

11. Dezember 2009

 

Herbert May, Bad Windsheim

„Zwangsarbeit im ländlichen Franken“

Herbert May bei seinem Vortrag zum Thema „Zwangsarbeit im ländlichen Raum“ in der gut besuchten Johanniterscheume in Rothenburg ob der Tauber. Mehr Fotos sehen Sie hier unten in der Bildergalerie. Foto: JoE

Herbert May, Mitarbeiter des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim, berichtete im Rahmen der Wintervortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg, diesmal auch in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Bildungswerk Rothenburg, anhand umfangreichen Bildmaterials über Zwangsarbeit im ländlichen Franken.

Johanniterscheune (Kriminalmuseum), Rothenburg o.d.T. | 20.00 Uhr | Eintritt frei.

Veranstalter:
Verein Alt-Rothenburg
in Zusammenarbeit mit dem
Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Rothenburg ob der Tauber.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Kurzfassung des Vortrages (f. Fränk. Anzeiger)

 

Massiver Einsatz von Zwangsarbeitern

im 2. Weltkrieg im Rothenburger Raum

 

Vergangenen Freitag (11.12.2009) sprach Herbert May, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freilandmuseum in Bad Windsheim, Lehrbeauftragter an der Universität Bamberg für Archäologie und Bauforschung, profilierter Wissenschaftler und Denkmalschützer, im Rahmen der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg über „Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939 – 1945“. Organisiert wurde der Vortrag von Pfarrer Dr. Oliver Gußmann als Leiter des Evangelischen Bildungswerks Rothenburg.

Dr. Gußmann erinnerte in seiner Einführung an die aktuelle Lage der Menschenrechte weltweit. Auch im selbstgerechten Europa gebe es Missstände. Der Termin des Vortrags von Herbert May wurde bewusst an den „Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember angelehnt.

Der Referent erläuterte zunächst die Quellenlage zur Problematik der Zwangsarbeiter im 2. Weltkrieg. Für den fränkischen Raum stellt es einen Glücksfall dar, dass die Gestapo-Akten für Unterfranken im Staatsarchiv Würzburg weitgehend erhalten sind. In fast allen anderen Gebieten Deutschlands wurden solche Akten am Ende des Krieges von den Nazis vernichtet. Im Rahmen einer im Freilandmuseum stattgefundenen Ausstellung zum Thema wurden – nicht zuletzt von Schülern des Ansbacher Carolinums – rund 50 Zeitzeugen befragt.

Auf dieser Grundlage konnte man sich einer Materie nähern, die lange Zeit zu den am schlechtesten erforschten des Dritten Reiches gehörte. Als man sich erbärmlich spät mit den in Deutschland eingesetzten Arbeitssklaven wissenschaftlich beschäftigte, interessierten in erster Linie die in der Industrie ausgebeuteten, oft zu Tode geschundenen Menschen aus Polen, der Sowjetunion, aus Frankreich, Italien und anderen Ländern. Die im ländlichen Raum eingesetzten Männer und Frauen blieben bis vor kurzem fast ohne Beachtung.

Dabei ersetzten schon seit 1939 Kriegsgefangene aus Polen die zur Wehrmacht eingezogenen Männer in der Landwirtschaft. Im Lauf der Zeit wuchs das Heer der Zwangsarbeiter in die Millionen. Neben den Kriegsgefangenen gab es zahllose Menschen – darunter viele junge Frauen, oft halbe Kinder -, die mit Gewalt „rekrutiert“ wurden. Nur wenige kamen freiwillig und ließen sich von Versprechungen anwerben.

Fast jeder Bauernhof im Altlandkreis Rothenburg arbeitete im Verlauf des Krieges mit einem oder mehreren Zwangsarbeitern, so dass schließlich eintausend und mehr Menschen aus fremden Ländern in der hiesigen Landwirtschaft tätig waren. Ihre Lebensbedingungen waren fast immer besser als die der in der Rüstungsindustrie erbarmungslos verheizten Fremdarbeiter. Die meist jungen Ausländer bekamen in der Regel genügend zu essen, nicht selten aßen sie am Tisch der Bauernfamilie, sie hatten oft menschenwürdige Schlafplätze, gelegentlich entwickelte sich ein geradezu familiäres Zusammenleben, das sich in der Nachkriegszeit in Briefwechseln und Besuchen dokumentierte.

Eigentlich hätte es vollkommen anders sein sollen. Die Regelungen der Nazis für den Umgang der deutschen Bevölkerung mit den Zwangsarbeitern waren hart, ja brutal. Jeglicher persönlicher Kontakt war verboten, Vergehen wie Arbeitsverweigerung wurden streng bestraft, Liebschaften zwischen Deutschen und Ausländern konnten zur Hinrichtung des Fremden oder zu seiner Einweisung in ein KZ führen. Deutsche Frauen, die sich der „Rassenschande“ schuldig gemacht hatten, trieb man mit geschorenem Kopf durch die Dörfer und stellte sie an den Pranger. Und sicherlich kam es auch zu vielen Übergriffen von Bauern gegenüber den Zwangsarbeitern, die man drangsalierte und vorschriftsmäßig schäbig behandelte. Insgesamt überwiegt aber der Eindruck, dass es den Kriegsgefangenen und sonstigen Fremdarbeitern in der Landwirtschaft besser ging als den Industriesklaven.

Nach dem Ende des Krieges waren die ehemaligen Zwangsarbeiter zunächst „displaced persons“, die man seitens der amerikanischen Besatzungsmacht in ihre Heimat zurückführen wollte. Sehr viele Polen und Ukrainer fürchteten jedoch (zu Recht) erneute Gewalt und Diskriminierung und wanderten z. B. nach Amerika aus. Andere blieben in Deutschland, integrierten sich, heirateten Deutsche und bauten sich eine neue Existenz auf.

Herbert May mischte in seinem lebendigen Vortrag den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Forschung immer wieder mit lebendig vorgetragenen Zitaten aus Zeitzeugenberichten, die einerseits seinen Ausführungen ein hohes Maß an Anschaulichkeit verliehen, andererseits Betroffenheit und Staunen erzeugten.

Die abschließende Aussprache im doch mehr als 50 Besucher zählenden Publikum zeigte, dass viele Erinnerungen der älteren Generation an die Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkrieges noch vorhanden sind. Unsere lokale Geschichtsforschung hat hier ein lohnendes Aufgabenfeld.

 

Impressionen von diesem Vortrag

     
     
     
   

 

Der vollständige Vortrag im Wortlaut

Herbert May
Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939-1945
Manuskript des Vortrags.
Gehalten am 11.12.2009

Eine Veranstaltung des Evangelischen Bildungswerk Rothenburg
in Zusammenarbeit mit dem Verein Alt-Rothenburg

In der Johanniterscheune des Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber

Leseprobe
Warum interessiert sich ein Freilichtmuseum für das Thema: Ein Freilandmuseum ist in erster Linie ein Museum alter Häuser, in dem jedoch nicht nur die bauliche Gestalt, sondern auch die Geschichte der dort „Behausten“ im Mittelpunkt steht. Ausführliche Befragungen von älteren Hausbewohnern und –nachbarn zu baulichen Veränderungen der Gebäude und zum Leben und Wohnen der letzten 50 bis 70 Jahre auf dem Hof gehören längst zum Standard intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung mit den Häusern, die in die Freilandmuseen übertragen werden. Kommt bei diesen Befragungen die Zeit während des Zweiten Weltkrieges zur Sprache, stellt sich oft heraus, dass in dieser Zeit Kriegsgefangene oder zivile Fremdarbeiter die Hauptlast der Hof- und Feldarbeit mitgetragen haben, da die männlichen Hofbewohner als Soldaten an der Front standen. Meist kennen die befragten Zeitzeugen von den ausländischen Landarbeitern nur noch die Nationalität und die Vornamen – wenn überhaupt. Die Fakten sind in der Erinnerung nicht selten verwischt, zu lange ist das alles her. Es gibt also gute Gründe für die Freilandmuseen, dem Bild vom Alltag der ausländischen Arbeitskräfte auf dem Land deutlichere, schärfere Konturen zu verleihen.

Dazu kommt, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeiter in der Landwirtschaft von der Forschung lange Zeit relativ wenig berücksichtigt wurde, obgleich das Thema an sich, der „Arbeitseinsatz“ von Ausländern in Deutschland, mittlerweile zu den am besten erforschten Bereichen der Geschichte des Nationalsozialismus’ und des Zweiten Weltkriegs gehört. Doch hatte man zunächst vor allem die Situation der Zwangsarbeiter in der Industrie im Blick, und hierzu sind in bereits in den 1980er Jahren einige hervorragende Untersuchungen erschienen.

Es soll hier nun auf der Grundlage der erhobenen schriftlichen und mündlichen Quellen ein grober Überblick zur Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939-1945 gegeben werden, wobei durchaus nicht bei 1945 halt gemacht wird, sondern auch über das Leben ehemaliger Zwangsarbeiter zu berichten sein wird, die nach dem Krieg in Deutschland geblieben sind.

Die Quellen
Hinsichtlich der Schriftquellen bilden die so genannten Gestapo-Akten des Würzburger Staatsarchivs eine wesentliche Grundlage für die vorliegende Darstellung, wobei aus dem gewaltigen Bestand von ca. 19.000 Personenakten allerdings nur eine relativ kleine Auswahl getroffen werden konnte. In ebenso reduzierter Weise berücksichtigt wurde ein weiterer, insgesamt ca. 6.000 Vorgänge umfassender Bestand an Personenakten der Gestapo Würzburg, der in den 1990er Jahren vom Berlin Document Center an das Staatsarchiv Würzburg abgegeben wurde. Stimmungsberichte verschiedener Außenstellen des SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS) sowie Zwangsarbeiter betreffende Akten der NSDAP-Gauleitung Mainfranken und vor allem einzelner fränkischer Landratsämter (früher Bezirke genannt) bilden einen weiteren wichtigen Teil der Quellenbasis, ebenso wie relevante Archivalien zu Zwangsarbeitern in zahlreichen Kommunalarchiven.

Quantitative Aussagen zu „Displaced Persons“ in allen drei fränkischen Regierungsbezirken konnten aus verschiedenen Quellen gewonnen werden: zum einen aus den – im Staatsarchiv Nürnberg auf Mikrofiche vorliegenden – Akten der amerikanischen Militärregierung (OMGUS), dann aus den Ausländer-Meldungen der Gemeinden an die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die für die Betreuung und Verwaltung der Lager zuständig war, und schließlich aus den Zusammenstellungen des Bayerischen Statistischen Landesamtes, die häufig in Akten der Landratsämter zum „Ausländerwesen“ eingestreut sind.

Neben den Schriftquellen sind es vor allem die mündlichen Quellen, aus denen wir Informationen zum Alltagsleben der Zwangsarbeiter schöpfen konnten. Vier Gruppen von befragten Zeitzeugen sind zu unterscheiden:

1. Einheimische, auf deren Höfen während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter beschäftigt waren.
2. Ehemalige polnische Zwangsarbeiter, die im ländlichen Raum Frankens zum „Arbeitseinsatz“ verpflichtet waren und nach dem Krieg in ihr Heimatland zurückgegangen sind.
3. Ehemalige Zwangsarbeiter, die ebenfalls in der Landwirtschaft eingesetzt waren, jedoch nach Ende des Zweiten Weltkrieges dauerhaft in Franken geblieben sind.
4. Kinder aus Beziehungen von (ehemaligen) Zwangsarbeitern und Deutschen.
5. Insgesamt wurden über 40 Befragungen durchgeführt, etwa die Hälfte davon betrafen Zeitzeugen der Gruppen 2, 3 und 4.

Die Zeitzeugen der Gruppe 2 wurden von den Kollegen des Mittelpommerschen Museums Stolp befragt, die dazu einen im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim entworfenen Fragenkatalog nutzten. Ermittelt wurden die Betroffenen aufgrund der Kartei eines Selbsthilfevereins ehemaliger Zwangsarbeiter in Stolp.

Die Beteiligten
Die Beteiligten an dem Projekt, das neben einer umfassenden Publikation auch eine vom 26. Juli 2008 bis 17. Mai 2009 gezeigte Ausstellung im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim umfasste, sind:
 Ein Team des Fränkischen Freilandmuseums unter der Projektleitung von Herbert May
 Eine Geschichts-AG des Carolinum-Gymnasiums in Ansbach unter der Leitung von Frank Fätkenheuer und eine Multimedia-AG (Film) des Carolinum-Gymnasiums unter der Leitung von Helmut Sacha.
 Kollegen des Mittelpommerschen Museums Stolp (Dorota Ciecholewska, Janina Cydzik-Brzezinska) haben Befragungen mit ehemaligen Zwangsarbeitern in Polen durchgeführt und die Antworten ins Deutsche übersetzt.

Die Rahmenbedingungen
Vorweg geschickt seien einige wenige Bemerkungen zu den Rahmenbedingungen des sog. Ausländereinsatzes in Deutschland: Schon vor Beginn des 2. Weltkriegs gab es einen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften in Deutschland. Die Mitte der 1930er Jahre stetig wachsende Wirtschaftskonjunktur im Deutschen Reich verursachte einen Arbeitskräftemangel, der vor allem landwirtschaftliche Arbeiter und Facharbeiter in der (Rüstungs-) Industrie betraf. In Verhandlungen zwischen der deutschen und polnischen Regierung wurden jährliche Kontingente polnischer Landarbeiter vereinbart, die zwischen 1937 und 1939 von 10.000 auf 90.000 Arbeitern anstiegen.

Nach dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939 zeigte die freiwillige Anwerbung polnischer Landarbeiter kaum mehr Erfolg. Dem weiter steigenden Arbeitskräftemangel begegnete das nationalsozialistische Deutschland nun mit Druck und Zwang bei der Rekrutierung von Arbeitskräften in den besetzten Gebieten. Über 90% aller in Deutschland eingesetzten zivilen polnischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene arbeiten Ende 1940 in der Landwirtschaft. Zahl sank stetig bis ca. 68% im August 1944: Der Bedarf an Industriearbeitern wurde immer größer, vor allem in der Rüstungsindustrie.

Um die Kompetenzen des „Ausländereinsatzes“ zu bündeln, wurde im März 1942 eine Sonderbehörde geschaffen, der ein „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ vorstand. Besetzt wurde diese Stelle mit dem in der unterfränkischen Kleinstadt Haßfurt geborenen Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel. Dessen wichtigste Aufgabe war es, innerhalb kürzester Zeit möglichst viele Ausländer nach Deutschland zu schaffen. Allein auf dem Gebiet der Sowjetunion rekrutierte Sauckel mit brutalen Methoden insgesamt 2,8 Millionen „Ostarbeiter“ für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich. Ihre Lebensbedingungen waren besonders schlecht, die Sterblichkeitsrate erschreckend hoch.

Im Rahmen der so genannten Polen- (8. März 1940) und Ostarbeitererlasse (2. Februar 1942) wurde ein strenges, auf der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus‘ basierendes Regelwerk erlassen. Die „Polenerlasse“ waren ein einziger Aufruf zum Rassismus: Die polnischen Arbeiter unterlagen einer Kennzeichungspflicht („P“ an der Kleidung), jeder Kontakt mit Deutschen außerhalb der Arbeit war verboten – und damit der Besuch von öffentlichen Einrichtungen (Gaststätten, Badeanstalten), das Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar von Fahrrädern. „Arbeitsbummelei“ konnte zur Einweisung in so genannte „Arbeitserziehungslager“ führen, bei Kontakten zu deutschen Frauen drohte polnischen Männern die Hinrichtung – darüber wird später noch ausführlicher zu berichten sein. Der Lohn für die polnischen Arbeiter richtete sich zwar nach dem der Deutschen, war aber mit einer 15prozentigen, an den Staat abzuführenden „Sozialausgleichsabgabe“ belegt. Bezahlt werden sollte auch nur die tatsächlich geleistete Arbeit, d.h. im Krankheitsfalle wurde nichts gezahlt. Westliche Zwangsarbeiter, vor allem Kriegsgefangene, waren diesem rassistischen Regelwerk bei weitem nicht in dem Maße unterworfen.

Doch wurde dieses von der Parteiführung geforderte „Herr-Knecht“-Verhältnis gerade im ländlichen Raum häufig nicht umgesetzt, worauf auch später anhand konkreter Beispiele aus Franken noch einzugehen sein wird.

Die verlorene Schlacht bei Stalingrad Anfang 1943 markierte eine Zäsur nicht nur im Kriegsverlauf, sondern auch hinsichtlich der Ausländerpolitik der Nationalsozialisten. Zum einen verstärkte sich der Zwangscharakter: Die Rekrutierungsmethoden wurden noch verschärft, eine Rückkehr in die Heimat war für die ausländischen Arbeiter praktisch unmöglich, selbst nach Auslaufen der Verträge für die Zivilarbeiter. Auf diese Weise konnte das NS-Regime im Zeitraum von Anfang 1943 bis Kriegsende – trotz der militärischen Niederlagen – noch einmal 2,5 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene rekrutieren, darunter 600.000 Kriegsgefangene aus Italien, das nach dem Sturz Mussolinis vom Kriegsverbündeten zum Kriegsgegner geworden war. Zum anderen erfuhren die „Ostarbeiter“ eine bessere Behandlung, da mittlerweile auch den rassistischsten Parteigenossen klar geworden war, dass die Arbeitsleistung unterernährter Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft zu wünschen übrig ließ. Ideologisch-propagandistisch wurde dieser Kurswechsel nun derart erklärt, dass das Deutsche Reich nicht gegen das russische Volk Krieg führe, sondern „nur“ gegen den Bolschewismus, wodurch – ganz anders als zu Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion – „rassische“ Gesichtspunkte nun den politischen untergeordnet wurden. 1944 erreichte der „Ausländereinsatz“ mit 7.126.000 Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern (= 19.9 % aller Beschäftigten) seinen Höhepunkt, davon arbeiteten 2.401.000 Ausländer in der Landwirtschaft (= 22,1 % der dort Beschäftigten).

Das Ausmaß des Zwangsarbeiter-Einsatzes
Insgesamt waren zw. 1939 u.1945 etwa 13,5 Millionen ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ in den Grenzen von 1942 eingesetzt, davon ca. 20 % Frauen, wobei es ganz schwierig ist, verlässliche Zahlen zu erheben. Das gilt auch für den fränkischen Raum. Ich will jetzt nicht auf die Probleme im Detail eingehen, das würde zu weit führen. Die Überlieferung ist jedenfalls lückenhaft, besonders zu Unterfranken. Quellen sind v.a. die Arbeitsamtsstatistiken, die Meldungen der Landkreise und die Erhebungen der Flüchtlingsorganisationen nach dem 2.Weltkrieg.

Nach Auswertung dieser Quellen und auch der schon erhobenen Zahlen bspw. zu Nürnberg und Schweinfurt ist sicherlich von mindestens 200.000 bis 250.000 zivilen Ausländern auszugehen, die zwischen 1939 und 1945 in ganz Franken arbeiten mussten. Die Kriegsgefangenen und Häftlinge sind hierbei nicht berücksichtigt: Allein zwischen 1943 und Ende 1944 stand der Wirtschaft in Nordbayern ein durchschnittliches Arbeitskräftereservoir von ca. 32.000 arbeitspflichtigen Kriegsgefangenen zu Verfügung.

Zur Situation im (Alt-) Landkreis Rothenburg: (nach den Mitt. der Landkreise): 1941: 472 Zwangsarbeiter (darunter 434 Polen), 1944. 1.647 (darunter 961 Polen, 432 Russen).

Zur Rekrutierung in den Heimatländern
In der Anfangsphase setzten die Deutschen in den besetzten Gebieten zunächst auf die Anwerbung von Freiwilligen. Als diese Werbungsversuche nicht den erwünschten Erfolg erbrachten, ging man zu offener Zwangsrekrutierung über. Willkürmaßnahmen wie Straßenrazzien, die Verschleppung junger arbeitsfähiger Menschen aus Wohnhäusern und öffentlichen Einrichtungen sowie die bewusste Trennung von Familien kennzeichneten die Rekrutierungsmethoden der Besatzer. Ganze Geburtenjahrgänge – häufig noch im Kindesalter – wurden zur Arbeit gezwungen. Dörfer mussten Kontingente stellen und Familien die entsetzliche Entscheidung treffen, welche Angehörigen sie nach Deutschland ausliefern.

Die damals 18jährige Ukrainerin Feodosia M. erinnert sich an die Rekrutierungspraxis in ihrem Dorf im Frühjahr 1942: „Da haben sie erst einmal durchgegeben vom Bürgermeister, die sollen sich freiwillig melden, die Leute, nach Deutschland zu gehen. Und da hat sich keiner gemeldet. Und da haben sie wieder und wieder den Auftrag gegeben, der Bürgermeister soll schauen, dass er Leute zusammenbringt. Und dann haben sie gesagt, es muss. Da haben sie eine andere Methode angewandt und haben sich die Leute einfach rausgesucht, also der und der und der von der Familie, die müssen jetzt einfach fort. Die haben früh bekanntgegeben und am Abend haben wir fortgemusst […]Ob das Eheleute waren oder noch jüngere Kinder– das war ganz egal, die haben das alles ausgeräumt, die haben da alles mitgenommen.“ Auch die ukrainische Familie von Archip W. war von einer derartigen familienbezogenen Kontingentierung betroffen: sie wurde aufgefordert, ein Familienmitglied zum „Arbeitseinsatz“ zur Verfügung zu stellen. „Und sie haben gesagt, wo drei, vier Kinder, einer müsse mit. Und dann haben sie uns geholt, das war am 18. Mai 42.“ Es war ein Montag, die Nacht zuvor hatte Archip W. mit seiner Schwester auf einem Hochzeitsfest gefeiert. „Und am nächsten Tag waren sie da bei uns, haben sie mich geholt, da war der Rucksack schon zusammen gepackt, ein bisschen was zu essen, umgezogen, und auf’n Wagen drauf gehockt und dann sind wir fortgefahren. Da ist mein Vater noch ein Stückchen mitgefahren, so bis zu den Äckern […] Auf dem Stein hat er da gehockt und gegrint ganz arg. Gegrint hat er arg, mein Vater. Naja, und dann sind wir fort. Das war schon arg schwer. Und dann ist [der Vater] umgebracht worden im Krieg. Den hab ich nicht mehr gesehen.“

Fast alle befragten ehemaligen Zwangsarbeiter gaben an, dass sie nicht freiwillig nach Deutschland gingen, sondern deportiert wurden. Die polnische ehemalige Zwangsarbeiter Eugenia N. war erst 15 Jahre, als sie im März 1940 zu Zwangsarbeit verpflichtet und nach Deutschland gebracht wurde. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage hatte ihre Mutter kurz vor Kriegsbeginn – also etwa ein gutes halbes Jahr vorher – Polen verlassen, um in Frankreich zu arbeiten. Als Eugenia N. dann deportiert wurde, hielt sie brieflichen Kontakt zur Mutter, die sich große Sorgen um ihre Tochter machte. Während die Tochter auf einem Bauernhof bei Ansbach arbeiten musste, erkrankte die Mutter schwer und verstarb. Eugenia N. hat noch heute ihre damalige entsetzliche Lage vor Augen: die Trennung von der Familie, der Tod der Mutter, die Angst vor der ungewissen Zukunft.

Der Transport nach Franken erfolgte in der Regel in geschlossenen oder gar offenen Güterwagen, ein Kübel in der Ecke diente zur Verrichtung der Notdurft. Verpflegung musste nach Aussagen einiger Befragter von zuhause mitgebracht werden. In den Durchgangslagern wurden die Deportierten unter entwürdigenden Umständen „entlaust“ und medizinisch auf Tauglichkeit untersucht. Eines der auch für die Verteilung nach Franken zuständigen größten Durchgangslager befand sich ab März 1942 in Neumarkt (Oberpfalz) – das Lager haben bis Kriegsende 128.000 Zwangsarbeiter durchlaufen. Unterhalten wurde diese Verteilungslager von den Landesarbeitsämter (ab 1943: Gauarbeitsämter)

Vor Ankunft der Züge in der Region wurden die Bauern vom Arbeitsamt bereits informiert, um sich die passenden Arbeitskräfte auszusuchen. Beim Auswahlverfahren zur rücksichtslosen Trennung von Familien, deren Angehörige auf verschiedene Höfe verteilt wurden. kam es nicht selten zu Szenen regelrechter „Menschenmärkte“, wie die Schilderung eines ehemaligen polnischen Fremdarbeiters belegt, der als 16-jähriger Junge in der niedersächsischen Ortschaft Unterlüß (Landkreis Celle) „erworben“ wurde: „Zu mir ist ein großer Mann, wie Goliath gekommen, fragte mich wie alt ich bin. Ich sagte ihm: ‚16‘, er prüfte meine Muskeln und sagte ’Komm mit‘. So kaufte er mich wie einen Kohlkopf“. Auch eine Bäuerin aus Seubersdorf (Landkreis Ansbach) wurde über die Ankunft eines Fremdarbeitertransportes in Neustadt/Aisch informiert. Dort angekommen, sah sie, wie die jungen, kräftigen Männer sogleich von weit vorne stehenden Einheimischen – meist Parteimitglieder der NSDAP – ausgewählt wurden: bei diesem Auswahlprozess sind Familien rücksichtslos zerrissen worden. Ihr selbst blieb ein altes russisches Ehepaar, das mit Tochter und Enkelkindern nach Deutschland kam. Die Bäuerin konnte den Hof in Erfahrung bringen, auf dem die Tochter arbeiten musste, so dass zumindest der innerfamiliäre Kontakt nicht abriss.