12.03.2010 | Rothenburg im Nationalsozialismus

 

 

Daniel Bauer

Nationalsozialistische Herrschaft in Rothenburg ob der Tauber

Die Veranstaltung wurde vom Evangelischem Erwachsenenbildungswerk Rothenburg ob der Tauber und dem Verein Alt-Rothenburg getragen.

Einleitung (Moderation) und Gesprächsführung:
Dr. Oliver Gussmann, Rothenburg ob der Tauber
12.03.2010
| 20.00 Uhr | Gasthaus Glocke | Plönlein | 91541 Rothenburg ob der Tauber | Eintritt frei.

 

 

 

Auf ausdrücklichen Wunsch des Referenten haben wir Fotos von ihm nicht veröffentlicht.

Rothenburg als rührige Nazistadt

Vergangenen Freitag (12.03.2010) sprach Daniel Bauer, Doktorand an der Universität Erlangen, im Rahmen der winterlichen Vortragsreihe des Vereins Alt-Rothenburg vor einem zahlreichen Publikum im Gasthof „Glocke“ über „Nationalsozialistische Herrschaft in Rothenburg ob der Tauber“. Organisiert wurde der Vortrag von Pfarrer Dr. Oliver Gußmann als Leiter des Evangelischen Bildungswerks.

Dr. Gußmann verwies in seiner Einführung auf die noch immer unzureichende Erforschung der Rothenburger NS-Vergangenheit. Lange Zeit habe man den Verlust der städtischen Registratur beim Rathausbrand 1945 als Begründung dafür hergenommen, dass angesichts der schlechten Quellenlage dieses Thema nicht mehr ausreichend in den Quellen dokumentiert sei. Dieter Balb hat Mitte der 80er Jahre immerhin die Lokalzeitung aus der Nazizeit ausgewertet und in seiner Artikelserie im „Fränkischen Anzeiger“ viele Fakten und Bilddokumente an die Öffentlichkeit gebracht. Die moderne geographische Dissertation von Joshua Hagen (Universität von Wisconsin/USA) über die Geschichte des Rothenburger Fremdenverkehrs, die sich auch umfassend mit dem 3. Reich beschäftigt, ist leider nur in englischer Sprache erschienen. Rothenburg wartet also auf eine nüchterne, wissenschaftliche Bearbeitung seiner NS-Vergangenheit.

aus: Die Linde, 89. Jahrgang, Nr. 2, S. 1

Daniel Bauer hat nun in seiner Zulassungsarbeit für das höhere Lehramt – nicht zuletzt auf der Basis zufällig entdeckter Spruchkammerakten im Nürnberger Staatsarchiv – begonnen, diese Lücke in der Stadtgeschichtsforschung zu schließen. In seinem klar gegliederten, auf dem Stand der aktuellen historischen Forschung stehenden Referat beschrieb er zunächst die Instrumente nationalsozialistischer Herrschaft in Rothenburg, nämlich die Organisation des NS-Apparates in Stadt und Umland. Auffällig ist, dass hier – im Unterschied zu anderen Gegenden Deutschlands – der NS-Apparat mit Kreisleitung, Ortsgruppenleitern, SA und den zahlreichen der NSDAP angegliederten Verbänden wie HJ, NS-Frauenschaft usw. schon sehr früh, nämlich 1934, vollständig ausgebildet war. Dies lässt darauf schließen, dass die Rothenburger Nazis besonders eifrig waren, sich große Mühe gaben, „dem Führer zuzuarbeiten“. Eine große Zahl faschistischer Organisationen, die letztlich die Bausteine der NS-Herrschaft darstellten, verbreiteten Hitlers Gedankengut und die des kriminellen „Frankenführers“, des „Stürmer“-Herausgebers Julius Streicher. In der Regel hatten die einzelnen Leiter dieser Gruppierungen mehrere Ämter inne, Kreisleiter Zoller nahm z. B. neun verschiedene Posten wahr. Einzelne örtliche NS-Funktionäre waren besonders „aktiv“, manche denunzierten als Terroristen im Staats- und Parteidienst übereifrig ihre Mitbürger. Allein von 1934 bis 1936 wurden 21 Rothenburger „Fälle“ vor NS-Sondergerichten verhandelt, bei denen es beispielsweise darum ging, dass Bürger sich beim Beflaggen der Stadt oder beim Blumenschmuck nachlässig zeigten oder dem „Winterhilfswerk“ Spenden verweigerten. Zwei oder drei Monate „Schutzhaft“, auch mehrwöchige Einweisung in ein KZ waren die Folge für die Opfer, die sich dem Regime auch nur ein bisschen verweigert hatten. (Bei Kommunisten, Sozialdemokraten oder Juden schlug man noch wesentlich härter zu.) Überdurchschnittlich aktiv war wohl die Hitlerjugend in Rothenburg und Umgebung mit ihren Veranstaltungen und „Kampfspielen“, Nazilehrer wollten ihre Schüler am Kirchgang hindern.

Die reichsweite Instrumentalisierung der Touristenstadt Rothenburg als „deutscheste aller Städte“, quasi als „nationaler Altar“, die schon Hagen festgestellt hat, wurde von Daniel Bauer bestätigt. Baumaßnahmen, finanzielle Zuwendungen durch den ehemaligen Rothenburger Bürgermeister Ludwig Siebert, im 3. Reich Bayerischer Ministerpräsident, mit großem Aufwand betriebene Propaganda, perfekt durchorganisierte Aufmärsche, Theateraufführungen, Wanderausstellungen oder Ernst Unbehauens antisemitische Schmierereien an den Stadttoren und vieles mehr sind Zeugnisse des überaus großen Eifers der einheimischen Nazis. Nicht zuletzt die im Oktober 1938 durchgeführte schändliche Vertreibung der kleinen jüdischen Gemeinde aus der Stadt – spektakulär und entwürdigend in Szene gesetzt – ist ein Beleg dafür, wie sehr Rothenburgs damalige „Elite“ nationalsozialistisch geprägt war. Im Rahmen der weiteren Forschungen für seine Doktorarbeit wird sich Daniel Bauer auch mit der „Arisierung“ des jüdischen Immobilienbesitzes in der Stadt beschäftigen.

Die nationalsozialistische Herrschaft in Rothenburg hatte natürlich auch ihre Grenzen, wie nicht zuletzt die bekannten Fälle von Denunziation und (sonder-)gerichtlicher Verfolgung belegen. Vor allem aber waren es Teile der evangelischen Kirche, die Resistenz gegenüber dem Regime bewiesen. Als Hintergrund ist natürlich zu berücksichtigen, dass sich die Kirche gegen die von den Nazis favorisierten „Deutschen Christen“, die auch in Rothenburg aktiv waren, wehren musste. Manche Bauern stellten noch 1936 den Umgang mit den jüdischen Viehhändlern nicht ein, obwohl dieser verboten war. Und während des Krieges ließ das Interesse der Rothenburger am „Parteileben“ stark nach, es kam zu Äußerungen wie „Man hätte die Juden nicht vertreiben sollen“, die Indoktrination durch die Partei konnte nicht mehr im alten Umfang aufrechterhalten werden, und in der „Hitlerjugend“ schwand die Disziplin.

Mit einer Reihe von in Diagrammform dargebotenen empirisch-statistischen Forschungsergebnissen konnte der Referent bestätigen, dass der Organisationsgrad der Rothenburger in Partei, SA und anderen Naziverbänden relativ hoch war. Er war aber in der Regel nicht wesentlich höher als in vielen vergleichbaren Städten, jedenfalls nicht so hoch, dass man der These von der „nationalsozialistischen Musterstadt“ ohne weiteres zustimmen möchte. Rothenburg konnte dieses Bild von sich nach außen hin vielleicht mit Erfolg vermitteln, ob es für das Zusammenleben innerhalb der Stadt ebenso zutrifft, muss zumindest vorerst offenbleiben.