Jahresbericht 2002/03

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Vereinsmitglieder,

es ist nun ein gutes Jahr vergangen, seit wir uns hier im Gasthof „Zur Schranne“ versammelt hatten, um unseren langjährigen 1. Vorsitzenden Karl-Heinz Schneider zu verabschieden und mit Bernhard Mall einen neuen Lenker der Vereinsgeschicke zu wählen. Einem neuen Vereinsvorstand sollte man eigentlich etwas Zeit geben, sich in Ruhe einzuarbeiten in die komplexen Probleme der Denkmalpflege in Rothenburg, man sollte ihn nicht gleich vor schwierige Entscheidungen stellen, die ihm schlaflose Nächte verursachen.

Und zunächst ging es ja auch relativ harmlos zu, man konnte sich seine Arbeitsfelder selbst aussuchen, der Verein wurde nicht von außen mit Konflikten konfrontiert. So trieb Herr Mall die Arbeit an der Internet-Homepage des Vereins energisch voran, so dass im Sommer des Jahres 2002 eine übersichtliche und sorgsam gestaltete Vereinsseite ins Internet gestellt werden konnte, die seitdem regelmäßig erweitert und verbessert wurde. Mehreren Ausschussmitgliedern sei hier gedankt, die sich um diese mühsame Arbeit angenommen haben. Genannt seien die Herren Lothar Schmidt, Dr. Möhring und Konopatzki. Im Internet können Sie, meine Damen und Herren, nun neben den offiziellen Verlautbarungen des Vereins, neben Terminen und allgemeinen Informationen über den Verein auch Texte und Bilder finden, die von einzelnen Ausschussmitgliedern stammen und unbedingt lesenswert sind. Sie sind namentlich gekennzeichnet und nicht unbedingt das offizielle Sprachrohr des Vereins, aber sie geben Aufschluss über manche Aktivitäten, Anliegen und Sorgen des Vereins und stellen teilweise beachtliche Diskussionsgrundlagen dar. Ich denke etwa an die Fotos der gefährdeten (im Winter immer noch ungeschützten) städtischen Brunnen, an die Planungen um das Brauhaus, nicht zuletzt an die Überlegungen von Architekt Knoll zur derzeitigen Situation und künftigen Entwicklung der Stadt, die man im Zusammenhang mit dem aktuellen und überraschend lebhaften innerstädtischen Gespräch zu diesem Thema unbedingt einmal lesen sollte.

Das Internet füllt eine Lücke in unserem Vereinsleben. Wir haben ja kein eigentliches Publikationsorgan, in dem wir den Mitgliedern und der Öffentlichkeit kurzfristig Informationsmaterial zukommen lassen können. Die „Linde“ dient als kleine wissenschaftliche Zeitschrift mit meist recht hohem Niveau überwiegend den Zwecken der Geschichtsforschung – und das soll auch so bleiben. Bei ihrem doch recht begrenztem Umfang wäre es schade, würde man der Forschung kostbare Seiten rauben. Aber im Internet können durchaus solche Beiträge erscheinen, die in der „Linde“ keinen Platz mehr finden oder deren Thematik eher im Bereich der „Tagespolitik“, der Denkmalpflege und der Stadtentwicklung liegt. Das Internet ist für den Verein eine Chance, sich besser und umfänglicher als bisher darzustellen, für sich zu werben, mehr und andere Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen. Noch einmal also Dank an die einzelnen Ausschussmitglieder, die dafür gesorgt haben, dass unsere Internet-Präsenz hergestellt werden konnte – nebenbei: sehr preiswert – und dass sie interessant und verantwortungsbewusst gestaltet wird.

Nachdem die Sache mit dem Internet endlich unter Dach und Fach gebracht worden war und man sich in aller Ruhe in mancherlei angedachten, teilweise auch aktiven Arbeitskreisen mit einer Erfassung der gefährdeten historischen Bausubstanz in der Stadt beschäftigen wollte, blitzte und donnerte es urplötzlich am Horizont. Das im Besitz einer Erbengemeinschaft befindliche, heruntergekommene Haus Judengasse Nr. 12 stand zum Verkauf, und der Verein griff zu, auch wenn seine momentane Finanzlage eine sachgerechte Instandsetzung in näherer Zukunft nicht erlauben wird. Warum haben wir diesen Schritt gewagt, der uns immerhin um fast 50.000.- Euro ärmer gemacht hat? Wir wollten einfach die Sicherheit haben, dass dieses Haus in einem Straßenzug, für den wir uns seit langem engagiert haben, in gute, d. h. zuverlässige Hände kommt. Das Haus gehört zu den typischen Judengassenhäusern aus der Zeit kurz nach 1400, als man den alten Stadtgraben im Zuge der damaligen großzügigen Stadterweiterung und Neubefestigung in der Zeit Heinrich Topplers zuschüttete und mit einer doppelten Häuserzeile bebaute. Wie in den vereinseigenen Anwesen 15, 19 und 21 steckt auch in der Nr. 12 noch viel spätmittelalterliche Bausubstanz. Das Fachwerkhaus ist zwar an manchen Stellen ramponiert, aber nicht im eigentlichen Sinne baufällig. Nach einigen Notsicherungsmaßnahmen am Dach, die inzwischen durchgeführt wurden, kann es noch lange Jahre so wie es ist stehen, ohne in Gefahr zu geraten. Wir haben im Moment nicht die finanziellen Möglichkeiten für seine Sanierung und Wiederbewohnbarmachung. Aber wir können das Haus jederzeit an verlässliche Interessenten verkaufen, die eine denkmalgerechten Sanierung in unserem Sinne gewährleisten. Und wenn dies nicht gelingen sollte, so sind wir vielleicht eines Tages, wenn die Finanzierung der anderen Häuser in der Judengasse abgeschlossen sein wird, in der Lage, selbst als Bauherren tätig zu werden. Warten wir’s ab; kommt Zeit, kommt Rat. Unser langfristiges Ziel, unsere „Vision“, um dieses Modewort ausnahmsweise einmal zu verwenden, ist es jedenfalls, ein weiteres spätmittelalterliches Haus in der Judengasse für die Nachwelt zu erhalten, zu dokumentieren und einer Wohnnutzung zuzuführen.

Beim Thema Judengasse möchte ich kurz innehalten, um einen Dank abzustatten. An wen, verrate ich gleich. Gedulden Sie sich noch einige Sekunden. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder – und zu Recht – beklagt, wie sehr sich die Vereinsarbeit auf die Vorstandschaft verengt, wie zwar Anregungen, Vorschläge, Kritik aus den Reihen des Ausschusses und der Mitglieder nach dem Motto „Nun macht man schön!“ auf uns niederprasseln, wie wenig tatsächliche Unterstützung und konkrete Mithilfe im Einzelfall wir hingegen erfahren. Immerhin habe ich gelegentlich die Tatsache nicht unerwähnt gelassen, wie sehr uns Herr Parr im Stadtarchiv an seinen ungezählten Feierabenden in der Vereinsverwaltung und bei der Verteilung der Jahresgaben geholfen hat. Herr Parr hat nach dem Tod von Wilhelm Staudacher einen Großteil der Alltagsarbeit des Vereins unauffällig und ohne Heischen nach Dank und Anerkennung weiter erledigt. So unauffällig, dass es uns erst nach seinem Abschied aus Rothenburg erst bewusst wurde, dass wir keine Vereinsgeschäftsstelle mehr haben. So manche kleine Panne in der Mitglieder- und Adressenverwaltung, bei der Erledigung der Korrespondenz und anderem mehr haben hier ihre Ursache. Doch das ist nicht das Thema, über das ich jetzt sprechen möchte.

Mein Dank an diesem Abende gilt den Leuten, die sich ohne großes Tamtam und genauso unauffällig und ebenso effektiv um die Bausachen des Vereins gekümmert haben und kümmern. Und die das hoffentlich in Zukunft noch tun werden. Ich spreche hier von den Ausschussmitgliedern Knoll und Konopatzki. Beide erledigen uneigennützig und unauffällig Angelegenheiten, die in anderen Gremien zu viel Rauch und wenig Feuer führen würden. Reparaturen an den Judengassenhäusern? Kein Problem, pragmatisch erledigt. Die Sicherungsarbeiten an der archäologischen Baustelle in der unteren Judengasse – unproblematisch erledigt. Der Röderturm. Feuerschutz – schon vor Jahren über die Bühne gebracht. Ebenso wie kleinliche Streitereien wegen der Stromabrechnung daselbst im verflossenen Vereinsjahr. Das alles ohne die Verrechnung von Unkosten. Das alles für den Verein. Ich will das gar nicht weiter ausführen, denn ich gehe davon aus, dass die Herren Knoll und Konopatzki keinen besonderen Wert auf eine Vereinslaudatio legen, zumal sie dafür noch zu jung sind. All dies kann an diesem Abend nur erwähnt werden. Aber dieser Dank muss auch einmal erfolgen, da der Vorstandschaft durch die genannten Ausschussmitglieder doch ein enormes Maß an Arbeit abgenommen und sie entlastet wird. Bleiben wir noch ein wenig in der Judengasse. Das Ausgrabungsareal im unteren Bereich des Straßenzuges erschien uns nach den aufwendigen Forschungsarbeiten von Frau Köber denn doch zu schade, um es einfach wieder zuzuschütten. Gewiss, und damit hat das Landesamt für Denkmalpflege Recht, wird dadurch das mittelalterliche Mauerwerk am besten konserviert und der Nachwelt erhalten. Aber eben im nicht-sichtbaren Zustand. Einige Ausschussmitglieder, nicht zuletzt Hans-Gustaf Weltzer, regten folglich an, man solle sich Gedanken darüber machen, wie man die bedeutenden Reste der ältesten Rothenburger Stadtmauer so sichern und gestalten könne, dass sie für die Zukunft der Öffentlichkeit präsentiert werden könnten. Ein erster Schritt wurde unternommen, indem man eine Informationstafel konzipierte und an der Judengasse aufstellte, damit Einheimische wie Fremde überhaupt erst einmal erfahren, worum es bei dieser Ausgrabung ging. Dann erarbeiteten die Architekten Kern und Konopatzki zwei verschiedene Vorschläge, wie eine Art archäologisches Schaufenster ins Mittelalter, ein kleiner archäologischer Park aussehen könnte. Übers Internet zu wurde zu Spenden für diesen Zweck aufgerufen, belaufen sich die zu erwartenden Kosten immerhin auf rund 50.00.- Euro. Mit den Grundstücksbesitzern, die schon sehr lange Geduld mit den Archäologen gezeigt hatten, kam man überein, das Grundstück noch einmal ein Jahr ungenutzt liegen zu lassen, bis man vielleicht eine Lösung im Sinne eines vorzeigbaren Dokuments sowohl der ältesten Rothenburger Stadtgeschichte als auch der Arbeitsweise moderner Stadtarchäologie finden würde. Bei einer recht knappen Mehrheitsentscheidung im Ausschuss erreichte man dann schließlich auch die Bereitstellung von rund 4000.- Euro, mit denen man eine solide zimmermännische Abdeckung des Geländes errichten lassen konnte, so dass es unbeschadet über den Winter kam. Wir gingen damit natürlich ein Risiko ein, denn niemand kann mit Sicherheit sagen, ob es tatsächlich möglich sein wird, das Grundstück als stadtgeschichtliche und auch als touristische Attraktion herzurichten und die dafür notwendigen Gelder aufzutreiben. Wir haben für das Erreichen dieses Zieles noch einen Sommer lang Zeit. Falls unsere Bemühungen vom Erfolg gekrönt werden sollten, wäre dies allerdings eine Sensation. Ein Stück ältestes Rothenburg würde ungefähr ein Dreivierteljahrtausend nach seinem Entstehen und rund 600 Jahre nach seinem Verschwinden im Erdreich wieder präsent, ein einmaliges, ein schier unvergleichliches Stück von dem, was Rothenburg in der Touristenwerbung immer vorgibt zu sein: Mittelalter, aber eben echtes Mittelalter. Wenn Sie, liebe Vereinsmitglieder, Ideen haben, Beziehungen besitzen, die unser gewagtes, vielleicht utopisches Vorhaben befördern könnten, lassen Sie es uns wissen, treten Sie an uns heran, informieren Sie uns. Wir benötigen in diesem Falle Schützenhilfe aus allen Winkeln.

Zur Judengasse ist noch eins anzumerken. In einem Brief an den Oberbürgermeister haben wir darauf hingewiesen, dass durch den LKW-Verkehr straßenaufwärts die Gehsteige ramponiert werden, denn so manche schwere und breitere Fahrzeuge müssen angesichts der linksseitig parkenden Pkws einfach auf den Gehsteig ausweichen. Die Gehsteige können uns eigentlich ziemlich egal sein, sind sie doch selten sehr historisch. Doch durch den enormen Druck, den die schweren Fahrzeuge nun einmal ausüben, werden die Erdgeschosse der angrenzenden Häuser in Mitleidenschaft gezogen, nach innen gedrückt, während im Gegenzug die Obergeschosse sich nach außen bewegen. Soll heißen: Die Statik der alten,. der historischen, teilweise bis in die Topplerjahrzehnte um 1400 zurückreichenden Häuser erscheint gefährdet, wenn sich viele schwere Fahrzeuge die Judengasse hinaufbewegen. Es erscheint mir paradox, dass man auf der einen Seite diese Häuser unter großen finanziellen Opfern – auch mit öffentlichen Mitteln – vor dem oft fast sicher scheinenden Untergang bewahrt und liebevoll wieder herrichtet, und sie gleichzeitig der Bedrohung durch schwere Fahrzeuge aussetzt. Wie überhaupt endlich einmal geprüft werden müsste, ob denn die Judengasse als überwiegend genutzte Wohnstraße das hohe Maß an innerstädtischem „Durchgangsverkehr“ noch länger ertragen muss. Im Rahmen der Diskussion um die zukünftige Stadtentwicklung sollte man auf keinen Fall zu dem Ergebnis gelangen, die Judengasse als eine der Haupterschließungsachsen für den Autoverkehr in der jetzigen oder in einer geänderten Form beizubehalten. Die Judengasse als fast reiner Wohnbereich muss verkehrsberuhigt werden, unnötiger LKW-Verkehr gehört raus aus diesem Straßenzug. Im Interesse der dort lebenden Menschen und der Baudenkmäler.

Mit Forderungen und Stellungnahmen des Vereins zu Fragen der Stadtplanung und Stadtentwicklung, mit denen wir etwa am Beispiel der Verkehrsberuhigung der Judengasse an die Öffentlichkeit treten, finden wir uns plötzlich in einem Gebiet wieder, das satzungsgemäß zu den Aufgaben des Vereins gehört. Die im letzten halben Jahr schier überraschend wiederauferstandene und umfassend geführte Diskussion um die Zukunft nicht nur der Altstadt, sondern des gesamten Stadtbereichs samt dem Umland ist bisher von uns mehr verfolgt als mitgestaltet worden. Erst in letzter Zeit haben wir uns in Gestalt von Arbeitsausschüssen intensiver mit der Materie beschäftigt und werden demnächst unsere Vorstellungen präsentieren. Das kann und wird nicht in dem Umfang geschehen, wie wir es vor mehr als 10 Jahren bei der damaligen Aufstellung des Bebauungsplanes für die Altstadt getan haben. Damals haben wir energisch darauf hingewiesen, dass eine bewohnte und bewohnbare Altstadt Voraussetzung auch für eine engagierte, von innen her geborene, nicht von außen aufgepfropfte Denkmalpflege sei. Dass eine Altstadt mit Zukunft auch eine Einzelhandelsstruktur besitzen müsse, die sich nicht allein am Fremdenverkehr, sondern auch an den Bedürfnissen der Einheimischen orientiert. Dass Verkehrslösungen bewohnergerecht sein müssten. Dass der Bedarf an Massentourismus mehr als gedeckt sei. Und so weiter.

Der Bebauungsplan hat die Erwartungen nur zum Teil erfüllt, er konnte viele Entwicklungen nicht verhindern, die seit seiner Formulierung stattgefunden haben. Gerade im verflossenen Jahr kam es erneut zur weiteren Ausdünnung des Einzelhandelssortiments in der Altstadt. Da es sich diesmal nicht um kleinere Läden des Fachhandels handelte, sondern auch um große Geschäfte wie „Mainkauf“ und „Kupsch“, war die Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Presse entsprechend aufgeregt. Dabei hätte man es eigentlich wissen müssen. Das „Zentro“ am Bahnhof besitzt einfach eine Eigendynamik, der noch mehr Betriebe des Einzelhandels, aber auch Dienstleister zum Opfer fallen werden.

Es ist nun die Frage, ob und wie man diesen fraglos eintretenden bzw. sich fortsetzenden Prozess zu steuern versuchen wird. Der „Fränkische Anzeiger“ hat sich ausgiebig in die Diskussion eingemischt, hat informiert, hat auch in der ihm eigenen Art versucht Meinung zu bilden. Die von ihm in mehreren Artikeln referierte stadtplanerische Diplomarbeit von Christine Wittemann spekuliert über ein neues städtisches- und ökonomisches Zentrum vor den Toren der alten Stadt im Bereich zwischen Zentro und Stadion. Neben Alt-Rothenburg, das dem Tourismus vorbehalten bleibt, würde dann ein Neu-Rothenburg fast unmittelbar vor den alten Mauern entstehen. Mit vorbildlicher, zukunftsweisender moderner Architektur, wie wir sie am Zentro bestaunen können, mit einem Wiedergewinn an „Urbanität“, wie eines der in der Diskussion immer wieder auftauchenden Zauberworte heißt. Dumm ist bei solchen Überlegungen allerdings, dass der Friedhof im Wege ist. Über seine kostenneutrale oder noch besser: profitable Verlegung müsste man sich Gedanken machen. Aber auch dieses Problem sollte heutzutage lösbar sein.

Verstehen Sie mich recht, meine Damen und Herren. Ich will derartige Visionen, wie man solche Gedankenspiele ja gerne und euphemistisch betitelt, keineswegs lächerlich machen. Wenn der große Wurf bevorstehen sollte, der unter Einbeziehung der Denkmalpflege Rothenburgs Zukunft als Touristenstadt wie als attraktiver Mittelpunkt eines weiten Umlandes sichern könnte, wird sich der Verein Alt-Rothenburg gewiss nicht dagegen aussprechen. Beim momentanen Stand der Diskussion kann ich jedoch nur zu einem behutsamen, gründlich durchdachten Vorgehen seitens der Stadtverwaltung und des Stadtrates raten. Schnellschüsse helfen keinem. Und schon gar nicht uns, die wir mit in den Augen der breiten Masse der Zeitungsleser peripheren Anliegen wie Denkmalschutz und Stadtbildpflege eine kleine und vielfach als antiquiert betrachtete Vereinigung darstellen.

Mein Rat sieht demnach folgendermaßen aus:

Zunächst einmal ist eine Bestandsaufnahme angesagt in der Altstadt. Welche Leute wohnen hier, worin besteht ihr Interesse?

Dann sollte man sich auf klare und unmissverständliche Zielvorgaben einigen. Das geht natürlich nicht ohne Konflikte, die man eben durchstehen muss, und nicht ohne Verluste für die eine oder andere Seite, die am Gewinn- und Verlustspiel „Alt-Rothenburg“ mitmischt.

Schließlich muss man diese Zielvorgaben auch durchsetzen, ohne Wenn und Aber. Allerdings muss ein möglichst hohes Maß an Planungssicherheit vorhanden sein, die Betroffenen müssen rechtzeitig davon wissen, was auf sie zukommt, sie müssen das Vorgehen von Stadtpolitik und -verwaltung einschätzen können. Dies ist einfach ein Gebot der Fairness.

Zu diesen Vorgaben gehört in einer Stadt wie Rothenburg selbstverständlich – wer möchte darüber streiten ? – der Denkmalschutz. Diese Forderung klingt für manche vermutlich überflüssig – Wir Rothenburger schützen doch unsere mittelalterliche Stadt doch schon seit mehr als hundert Jahren, wir haben das schon zu einer Zeit getan, als andere noch gar nicht daran dachten. Andere, und das sind nicht wenige, betrachten den Denkmalschutz eher als Hemmnis für eine zukunftsweisende, moderne Stadtentwicklung und verweisen auf zahlreiche angebliche Hemmnisse, die der baulichen und ökonomischen Erneuerung der Stadt im Wege stehen. Beide Standpunkte erscheinen mir als kaum gerechtfertigt. Die Rothenburger haben auf dem Gebiet der Denkmalerhaltung in der Vergangenheit viel geleistet, aber zur Selbstgefälligkeit ist das noch lange kein Grund. Auch die Liste der Sünden, der lässlichen wie der schweren, ist lang. Auf der anderen Seite konnte mir bisher noch niemand schlüssig erklären, inwiefern Ansprüche der Denkmalpflege den Investitionswillen in der Altstadt tatsächlich vermindert haben. Es schwebt ein unbewiesenes und womöglich unbeweisbares Gerücht herum, das den Denkmalschutz verantwortlich machen möchte, wenn das alte Rothenburg als Wohn- und Einkaufsstadt mehr und mehr ausblutet. Es gibt dafür keine Beweise, es handelt sich um dämliche und verantwortungslose Propaganda. Im Einzelfall mag es Härten gegeben haben und geben, grundsätzlich aber ist es doch die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Umwandlung der Stadt zu einer Metropole des allzu oft billigen Massentourismus, die Wohnnutzung und traditionellen Einzelhandel verdrängt hat.

Das muss die Denkmalpflege im Prinzip auch nicht stören. Wenn die Entwicklung der Altstadt zum mittelalterlichen Disneyland unter Schonung der überkommenen Bausubstanz erfolgt, wenn die Prinzipien moderner Denkmalpflege konsequent umgesetzt werden, dann stellt auch
eine noch mehr verkasperte und verkitschte Stadt als perfekt gepflegter, historisch und denkmalpflegerisch vorbildlicher Ort eine Möglichkeit für die Zukunft dar. Es wäre denkbar, dass eine florierendes Tourismusbranche durchaus finanziell in der Lage und willens ist, die Baudenkmäler der Stadt und ihr gesamtes Erscheinungsbild zu erhalten. Hier ist auch eine Allianz vorstellbar, die wir bisher noch kaum angedacht haben. Und die sähe folgendermaßen aus: Das Fremdenverkehrsgewerbe garantiert den Bestand von Alt-Rothenburg, wir beraten und helfen nach Kräften in Fragen der Denkmalpflege. Ob diese Lösung jedoch mit den Satzungszielen des Vereins: Alt-Rothenburg vereinbar ist, wage ich zu bezweifeln. Und es erscheint mir fast ausgeschlossen, dass wir sie befürworten können. Noch immer und wie vor mehr als 10 Jahren bei der Diskussion um den Bebauungsplan wünschen wir uns eine bewohnte und bewohnbare Altstadt, in der auch Kinder aufwachsen können, in der der Autoverkehr dergestalt in sinnvolle Bahnen gelenkt wird, dass die Bewohner zu ihrem Recht kommen und unnötige Belastungen von außen ferngehalten werden. Diese Altstadt sollte als attraktiver Ort von Dienstleistungen und nicht-touristischem Einzelhandel anziehend bleiben bzw. attraktiver gemacht werden für Rothenburg und sein weites Umland. Bemühungen, Initiativen, Zusammenschlüsse, um dies zu erreichen, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben, auch gerade im letzten Jahr. Bei der Bewertung, der Beurteilung diverser Aktionen seitens des Einzelhandels und der Stadtverwaltung hat meines Erachtens die Lokalpresse gelegentlich eine gelegentlich unnötig kritische Rolle gespielt. Es mag ja nicht alles sorgfältig durchdacht und perfekt – heute heißt das „professionell“ – durchgeführt worden sein, was da so im Einzelfall ablief. Aber ein bisschen mehr Sympathie und weniger Spott hätten die Initiatoren solcher Aktionen schon verdient. Im Grunde dient jede neu aufgestellte Ruhebank, jedes geschmackvoll dekorierte Schaufenster der Stadt mehr als Besserwisserei. Auf der anderen Seit ist allerdings sehr positiv zu vermerken, in welch großem Umfang sich der „Fränkische Anzeiger“ im letzten Jahr für die Fragen der Stadtentwicklung interessiert, welch breiten Raum der dieser Thematik eingeräumt hat. Die Zeitung kommt hier ihrer Verantwortung nach und berichtet ausführlich über eine wichtige, die Zukunft der Stadt bestimmendes Sujet. Die Machart der einzelnen Artikel erfreut leider nicht immer: Information und Kommentar fließen allzu oft ineinander.

Fassen wir zusammen, was wir zur gegenwärtigen Diskussion über die künftige Entwicklung der Stadt zu sagen haben! Dies ginge in einem einzigen Satz: Die Altstadt soll nicht sterben, sondern leben. Leben in erster Linie für die hier wohnenden Menschen.

Was das im Einzelnen heißen soll, werden wir demnächst in einer Stellungnahme des Vereins zur Frage der Stadtentwicklung formulieren, mit der wir uns noch rechtzeitig in die Diskussion einschalten wollen.

Dass hochgesteckte Ziele leicht formuliert sind, und dass der Teufel im Detail, in der Umsetzung liegt, ist mir sehr wohl bewusst. Und gerade deswegen halte ich den bisher beschrittenen Weg, auf dem in der Regel von Anfang an eine Unzahl von teilweise sehr pointierten Gedanken zur Verkehrsregelung, zur Kultur, zum Einzelhandel usw. eingebracht werden, für wenig gewinnbringend. Mit dieser Strategie werden von Anfang an sowohl idealistische Ansätze wie durchaus nachvollziehbare Einzelinteressen massiv in das Geschehen einfließen und den Gang der Dinge beeinflussen. Und es ist zu fürchten, dass am Ende der lauteste Schreier, der Lobbyist mit dem größten Durchhaltevermögen und der ausgeprägtesten Unverschämtheit obsiegt.

Dann wird sich letztlich nicht viel ändern. Dieser bekommt ein bisschen, jener mehr, der behält das, was er hat, ein anderer verliert ein wenig. Und am Ende verliert die Altstadt als Ganzes, als historisch gewachsener, noch immer liebenswerter Organismus, wird zu einem geschädigten Lebewesen mit immer mehr Prothesen und Silikoneinlagen.

Ich schlage statt dessen noch einmal vor: (Und ich rate Ihnen, sich einmal die diesbezüglichen Gedanken von Eduard Knoll aus dem Internet .herunterzuladen, ohne damit einer Meinungsbildung im Verein vorgreifen zu wollen.) Zunächst einmal eine solide Bestandsaufnahme der Altstadt in ihrem jetzigen Zustand erstellen, ohne jegliche Beschönigung, ohne statistische Tricks.
Dann eine Vorstellung entwickeln, wie man sich die Zukunft Alt-Rothenburgs denkt. Ein sogenanntes „Leitbild“, dem sich jede Detailplanung unterzuordnen hat, das wie ein Fels im Widerstreit der – nebenbei gesagt, überwiegend ökonomischen, d. h. egoistischen Interessen – unangreifbar zu sein hat.
Und dann erst die Auseinandersetzung um die konkreten Schritte, die zur Verwirklichung der übergeordneten Ziele dienen.

Im Augenblick, so denke ich, zäumt man in Rothenburg das Pferd vom Schwanz her auf. Ich warne vor Schnellschüssen, ich warne vor übereilten Entscheidungen. Die Altstadt hat in den letzten Jahrzehnten gravierende Veränderungen erfahren; einerseits, weil ein Wille zur Steuerung nicht vorhanden war, andererseits, und auch das muss zugegeben werden, weil Steuerungsmechanismen nur bedingt zum Erfolg geführt haben. Siehe Bebauungsplan.

Wie immer die Gespräche über die Stadtentwicklung ausgehen, welche Ergebnisse sie zeitigen werden, so ist eines klar: Man muss als Vertreter des Vereins Alt-Rothenburg unbedingt und mit aller Deutlichkeit fordern, dass die Denkmalpflege einen sehr hohen, ja in der Regel kaum zu vernachlässigenden Rang im Rahmen der zukünftigen Stadtentwicklung einnehmen muss. Zum einen aus rein pragmatischen Gründen. Die Touristenstadt Rothenburg darf nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzt. Zum anderen aber aus ideellen Motiven. Es muss das Bestreben des Vereins sein, so viel wie möglich von der authentischen historischen Bausubstanz zu sichern und zu erhalten, die als historische Quelle wie als Kunstwerk an die Nachwelt weitergegeben werden muss. Insofern spielt die laufende Auseinandersetzung um die Entwicklung der Altstadt auch für uns eine Rolle, werden dabei schließlich auch Weichen gestellt für die Chancen, die Denkmalpflege in dieser Stadt hat.

Um diese Chancen scheint es mir derzeit nicht immer zum Besten bestellt. Wie ich dazu komme, solches zu behaupten? Ich könnte jetzt auf die sich gerade dem Ende zuneigende Affäre um die Rödertorbastei sehr ausführlich eingehen und das alte Klagelied wieder anstimmen, das ich in meiner siebzehnjährigen Tätigkeit als Chronist des Vereins und Beobachter der Szene wiederholt gesungen habe. Ich tue das nicht, wenngleich mir bewusst ist, dass es vielen Vereinsmitgliedern in der Tat weh getan hat, wie hier ohne viel Federlesens kurzer Prozess gemacht wurde.

Wie man eine denkmalpflegerisch höchst sensible Angelegenheit unter Dach und Fach gebracht hat, ohne den Verein zu informieren und zu beteiligen. Schließlich ging es nicht um irgendein Detail in irgendeinem verborgenen Winkel der Stadt, sondern um exponiertes, jährlich vieltausendfach fotografiertes Aushängeschild der Stadt. Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob und inwiefern die Erhöhung des Torbogens dem Gesamtbild der Rödertoranlage geschadet hat. Viele in unserem Verein sind der Auffassung, dass hier ein typisches Stück Alt-Rothenburg beschädigt wurde, indem man das so markante, gedrungene Erscheinungsbild der Vorbefestigung des Rödertores geändert hat. Das Rödertor hat auch in meinen Augen in seiner ästhetischen Qualität und in seinem Charakter als Dokument der Rothenburger Befestigungsanlagen Schaden genommen. Wie bereits gesagt, man kann da auch anderer Auffassung sein und den angeblichen Nutzen höher ansetzen als den Verlust. Man hätte darüber streiten können. Man hat es fahrlässig oder absichtlich nicht zugelassen, dass es auch nur im Ansatz zu dieser notwendigen Auseinandersetzung kam. Und das ist schade, ganz einfach schade.

Eine kleine Anmerkung sei noch angefügt: Natürlich hat man in der Zeit des Wiederaufbaus der Stadt Rothenburg nach dem 2. Weltkrieg und wohl noch öfter in der Zeit um 1900 immer mal wieder Eingriffe an Baudenkmälern praktiziert, die bewusst ahistorisch waren und meist ganz einfach den sogenannten „mittelalterlichen“ Charakter der Altstadt verstärken sollten. Aber für solche Veränderungen bestand fast immer ein breiter Konsens innerhalb der Bevölkerung, das geschah eigentlich immer nach einer gründlichen, ernsthaften und öffentlichen Diskussion. So wie es eben nach 1945 der Fall war, als der wieder neu gegründete Verein massiv bei der Wiederherstellung des Röderturmes mitmischte und demzufolge seine heutige Gestalt mit zu verantworten hat. Aber wie intensiv man damals um eine Lösung gerungen hat, wie sehr man um den Rat von allen Seiten bemüht war – das können Sie in der seinerzeitigen Presse nachlesen. Heute, im Jahr 2003 dagegen befremdet mich nicht zuletzt die lapidare, schier desinteressierte Stellungnahme der zuständigen Vertreterin des Landesamtes für Denkmalpflege.

Ich möchte die Angelegenheit hier nicht im Detail durchkauen, sondern verweise lediglich auf die in der Lokalpresse erschienenen Artikel, aus denen Sie sich informieren können. Wir haben auch im Internet Stellung bezogen. Summa summarum und wieder einmal: Vorstände von Alt-Rothenburg benötigen einen breiten Buckel, der viel aushalten, viel tragen kann. Ich hätte mir gewünscht, dass unser neuer 1. Vorsitzender diese Erfahrung nicht gleich im ersten Jahr seines Wirkens hätte machen müssen.

Die Geschichte um die Röderturm-Bastei war und ist kein Streit um des Kaisers Bart, es geht nicht um Belangloses, nicht darum, ob Barbarossas Bart im Alter weiß wurde, ob er einen langen oder einen kurzen Bart trug. Vielmehr geht es um das Thema einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Der Stärkere kann den Schwächeren immer aushebeln, kann drohen, erpressen. Der Schwächere kann auf seine Verdienste verweisen, kann Dank erwarten, auf zivilisierte Umgangsformen hoffen. Doch nur, solange es dem Stärkeren ins Zeug passt. Zukunftsweisend im Sinne einer demokratischen, bürgernahen Gestaltung von Lokalpolitik kann die Farce um die Rödertorbastei nicht sein. Hier muss sich einiges ändern.

Wir werden dennoch nicht die Flagge streichen, nicht resignieren und den Bettel einfach hinschmeißen, sondern die Fahne Alt-Rothenburgs hochhalten.

Was gibt es aus dem Vereinsgeschehen des letzten Jahres außerdem zu berichten? Im Vordergrund steht natürlich die Würdigung unserer winterlichen Vortragsreihe, die mustergültig von Prof. Borchardt, unserem 2. Vorsitzenden, gestaltet wurde. An dieser Stelle möchte ich mich einmal bei unserem Vereinsmitglied und meinem Freund Herbert Krämer bedanken, der mir seit Jahren bei der Berichterstattung über die einzelnen Veranstaltungen zur Seite steht und mich nicht unerheblich entlastet.

Wir konnten wie gewohnt fünf Vorträge in der „Glocke“ abhalten, die meist sehr gut besucht waren. Wie im Vorjahr war das 200jährige Jubiläum der Mediatisierung der alten Reichsstadt ein Schwerpunkt.

Zusätzlich sprach Gertrud Schubart, sicherlich keine Wissenschaftlerin, andererseits eine Dame mit Herz und Verstand, über den Rothenburger Dialekt, der hier wie anderswo allmählich verschwinden wird. Ihr Vortrag ist demnach weniger als Bestandsaufnahme zu bewerten, denn als nostalgische Reminiszenz an das Verflossene. Es war sicherlich für viele Besucher eine Reise in die Vergangenheit, als Frau Schubart ihre Beobachtungen zur mundartlichen Sprache früherer Jahrzehnte vorstellte. Das geschah zwar heiter – was ja schließlich nicht verwerflich ist -, es wurde im Publikum viel gelacht, aber man sollte auch den hohen Wert der jahrzehntelangen Sammlertätigkeit, ihre Mitarbeit an wissenschaftlichen Projekten wie etwa dem Ostfränkischen Wörterbuch würdigen.

Der Vortrag von Herrn Steinmetz über die Stauferburg in Rothenburg hatte natürlich einen ganz anderen Anspruch. Auch er ist ein Laie, kein „Studierter“. Sein Interesse gilt dem Burgenbau des Hochmittelalters, und er hat erfrischend neue Thesen mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein abgeliefert. Sie können das in seinem Buch über die Rothenburger Burg nachlesen. Nicht alles, was er von sich gibt, überzeugt bei genauerem Hinsehen. Aber er hat ein vorläufiges Resümee gezogen, auf dem sich weiterarbeiten lässt, das wahrscheinlich und hoffentlich Widerspruch aus lokal-rothenburger Perspektive wie von allgemein-burgenforschericher Seite erzeugen wird. Ich warte auf eine kritische Rezension in der „Linde“!

Unser Ausschussmitglied Dr. Möhring konnte mit einem Dia-Vortrag über Rothenburger Stadtansichten seit dem späten 15. Jahrhundert manch Neues ausgraben und an Bekanntes erinnern. Wir hoffen, dass wir in der heurigen Jahresgabe den von ihm zusammengetragenen Bilderschatz unseren Mitgliedern und einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen können.

Die beiden übrigen Vorträge beschäftigten sich mit dem frühen 19. Jahrhundert. Prof. Gotschmann von der Universität Würzburg, ein namhafter Erforscher der Geschichte des Parlamentarismus sprach über die mittelfränkischen Landtagsabgeordneten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Grenzen und Möglichkeiten bürgerlicher Mitspracherechte im einerseits noch in spätabsolutistischen Strukturen verhafteten, andererseits doch im Besitz einer recht frühen Konstitution befindlichen Königreich der Wittelsbacher wurden sehr deutlich und klar herausmodelliert.. Prof. Borchardt referierte über die Mediatisierung der Reichsstadt Rothenburg. Sein mit bisher kaum bearbeiteten Quellen untermauertes Resümee können Sie im Katalog der Anfang 2003 im Reichsstadtmuseum stattgefundenen Ausstellung zum Ende der Reichsstadtherrlichkeit nachlesen. Was mich am meisten bei seinem Vortrag überraschte war die Einschätzung Rothenburgs durch den preußischen Ministers Hardenberg – sicherlich ein Rationalist, einer, der rechnen konnte, und alles andere als ein Romantiker Nach seiner Meinung wäre Rothenburg kurz vor 1800 im Gegensatz zum hoffnungslos überschuldeten Nürnberg ein überlebensfähiges, ein Staatswesen mit Existenzberechtigung gewesen, das den damaligen Flurbereinigungsplänen im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses nicht unbedingt hätte zum Opfer fallen müssen. Hat Borchardt hier an einer Legende gekratzt, an der Legende des heruntergekommenen, heruntergewirtschaftete, maroden, in mittelalterlichen Verhältnissen erstarrten, den Anschluss an die Zeit seit ewigen Zeiten verloren habenden Stadtstaates? Für die Forschung eine echte Herausforderung, einmal genau die Rothenburger Verhältnisse um 1800 aus erster Hand zu studieren. Eine Frage, der man durchaus einmal nachgehen sollte.

Möhring und Borchardt haben, unterstützt von unserem Vereinsmitglied Heinz Ott aus Lohr, eine kleine, sehr aussagekräftige Ausstellung im Reichsstadtmuseum in kurzer Zeit und ohne große Hilfe von außen auf die Beine gestellt und einen ansprechenden, sehr informativen und reich bebilderten Führer dazu aus dem Boden gestampft. Eine erstaunliche, eine Leistung, die Dank verdient angesichts der Tatsache, dass dieser Zeitraum, der doch die Stadt Rothenburg und ihr Umland grundlegend und dauerhaft veränderte, bislang im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt.

Wenn wir schon von Ausstellungen reden, möchte ich auf zwei weitere im letzten Jahr hinweisen. Bescheiden gab sich die mehr oder weniger improvisierte Darbietung der Dorfkirchen-Aquarelle von Willi Foerster in der Sparkasse, die ich zu vertreten habe. Hier handelte es sich um eine punktuelle Begegnung mit einer Rothenburger Lokalgröße vergangener Zeiten, einem offenbar persönlich sympathischen, nicht unbedingt immer geschäftstüchtigen, obwohl sehr umtriebigen Mann, dem öffentliche Anerkennung in größerem Umfang erst im Herbst seines Lebens und nach Beendigung der Nazi-Diktatur zuteil wurde. Beim genauen Betrachten der Kirchenbilder haben mich ganz einfach die Schönheit der Bilder und ihr großer dokumentarische Wert überrascht, so dass ich es im Nachhinein nicht bedaure, dass wir diese Aquarelle vor einigen Jahren für gutes Geld erstanden haben.

Eine weitere Ausstellung berührte die „Alt-Rothenburger“ recht stark. Hier handelt es sich um die Fotografien, die Alfons Ohmeyer vor mehr als 60 Jahren einige Jahre vor dem verheerenden Luftangriff des Frühjahrs 1945 gemacht hat. Hunderte von Bildern dokumentieren den Zustand der Stadt. Das alte Rothenburg, von dem die Reiseführer der Vorkriegszeit schwärmen, die Stadt auch der Gründerväter unseres Vereins wird in diesen Bildern wieder lebendig. Ich verfalle durchaus nicht nostalgischer Verklärung, aber diese Ausstellung hat mich stutzig gemacht, wenn ich an die Bewertung des Wiederaufbaus der Altstadt in den Jahren nach 1950 denke. In Rothenburg singt man immer noch das Hohe Lied von der mustergültigen, einem großen patriotischen Plan folgenden Wiedergeburt nach 1945. Ich habe dieses Lied bislang mitgesungen, habe an die idealistischen Helden von damals geglaubt, obschon mir hin und wieder beim Gang durch die alten Gassen doch einiges sauer aufgestoßen war. Man muss ja nicht gleich an den architektonischen und ästhetischen Missgriff in der oberen Wenggasse denken; auch an anderer Stelle finden sich Häuser, die auf verschiedene Art und Weise, grobschlächtig oder allzu glatt, das Gebot der Harmonie und des Maßes in der Altstadt verletzen. Dass es daneben sehr viele gelungene Bauten gibt, die sowohl für sich genommen stimmen wie auch in ihre Umgebung hinein passen, bleibt natürlich unbestritten.

Es scheint mir jedoch so, als ob auch der Wiederaufbau und die damit befassten Leute sich eines Tages vor den Gerichtsschranken der Geschichtsschreibung wiederfinden werden. Das Urteil wird sicherlich nicht „schuldig“ lauten, man wird viel Sympathie und mildernde Umstände geltend machen können. Zu einer Verurteilung wird es nicht kommen, denn zu schwer wiegen die positiven Leistungen der Beteiligten. Aber vielleicht war nicht alles Gold, was sich im Heiligenschein des Wiederaufbaus sonnt.

Zum Abschluss dieses Jahresberichts möchte ich Sie noch einmal an unsere Jahresgabe erinnern. Es war eine ausgesprochen gute Idee, die Ekkehart Tittmann vor einigen Jahren hatte, als er vorschlug, man möge ein zweites Mal einen Sammelband mit Aufsätzen von Dr. Schnurrer herausbringen. Eine Fülle von an entlegener Stelle veröffentlichten Texten wurde hier von Dr. Schnurrer redigiert und von Herrn Parr zu einem schön gestalteten Buch geformt. Beiden – sie zählen, wie Sie alle wissen, nicht mehr zu den Jünglingen im Verein – sei hier ausdrücklich gedankt. Die Verteilung der Jahresgabe übernahmen wieder einige Ausschussmitglieder, daneben unser Vereinsmitglied Gregor Goebbel, nicht zuletzt, da andere Lösungen wegen der in den Vorweihnachtstagen drängenden Zeit nicht mehr in Frage kamen. Auch ihnen gebührt ein herzliches Dankeschön.

Gedankt sei am Ende dieses Jahresberichts auch all denen, die dem Verein die Treue halten, teilweise seit Jahrzehnten. Sicherlich teilen sie nicht alle immer die Meinung der Vorstandschaft. Dennoch gibt es kaum verärgerte Austritte aus dem Verein. So können wir also davon ausgehen, dass der Verein Alt-Rothenburg als kritischer Beobachter, als kompetenter Ratgeber, als Bürgerinitiative ohne Profitinteresse auch weiterhin erwünscht ist.

Möge das so bleiben! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gab auch Neuwahlen.
Lesen Sie den Bericht im Fränkischen Anzeiger.

Dr. Richard Schmitt, 24.03.2004