04.11.2004 | Baugeschichte d. Rothenb. Rathauses

Dr. Karl-Heinz Schneider:
Zur Baugeschichte des Rothenburger Renaissance-Rathauses 1572-1945

Das Rathaus von 1572

Der Verein Alt-Rothenburg eröffnete am Freitag, dem 4. November 2004, seine diesjährige Wintervortragsreihe mit einem Paukenschlag. Karl-Heinz Schneider, der Leiter des hiesigen Kriminalmuseums, berichtete über erste Ergebnisse seiner Würzburger kunsthistorischen Dissertation über das Renaissance-Rathaus von 1572, die der Verein als Jahresgabe 2006 druckte.

Fast zwei Stunden lauschten über 80 Zuhörer gebannt dem freien Vortrag des Referenten und staunten über die seltenen Fotos und Pläne, die das Rathaus außen und innen zeigten, wie es im 19. und frühen 20. Jahrhundert aussah sowie während des Wiederaufbaus nach 1945.

Das in der Topplerzeit geschaffene Rathaus wurde bekanntlich 1501 durch einen Brand schwer beschädigt. Nur der Westflügel weist heute noch wesentlich mittelalterliche Bausubstanz auf. Der Ostflügel wurde ab 1572 in den Formen der Renaissance völlig neu geschaffen.

Zwischen 1501 und 1572 muß es eine Interimslösung gegeben haben, von der ein Wappenstein von 1538 als Spolie vermauert sich heute an der Klingentorbastei befindet.Die Planungen für den Neubau werden 1570 archivalisch faßbar, dürften aber einige Jahre weiter zurückreichen. Anders als bisher angenommen gab es anscheinend keine wesentlichen Planänderungen, sondern lediglich zwei verschiedene Kostenvoranschläge, einen von dem seit 1562 in Rothenburg als Steinmetz und Bildhauer viel beschäftigten Leonhard Weidmann, den anderen von Niklas Hofmann aus Halle an der Saale, der in den 60er Jahren an den Rathäusern von Schweinfurt, Hof an der Saale, Altenburg in Thüringen und am Schloß der Grafen von Anhalt zu Bernburg baute. Wie Rechnungen belegen, gab es sogar ein Modell aus Lindenholz für das neue Rothenburger Rathaus.

Die Grundkonzeption für den Neubau in Rothenburg kann durch den Vergleich mit seinen anderen Werken überzeugend dem Niklas Hofmann zugewiesen werden, dessen Sohn Simon auch längere Zeit in Rothenburg mitarbeitete. Der früher nicht zuletzt aus Lokalpatriotismus in Rothenburg hochgepriesene Leonhard Weidmann darf nicht mehr als der entscheidende Baumeister für das Rathaus von 1572 gelten, obwohl er sicher beteiligt war.

Die Bauaufgabe war nicht einfach, denn zum einen mußten aus statischen Gründen wie zur Kostenersparnis vorhandene Grundmauern im Anschluß an den Westflügel möglichst weiterverwendet werden, zum anderen sollte die Anlage auf die Ansicht von der Südostecke des Marktplatzes aus berechnet werden, wo die Hafen- und die Schmiedgasse einsetzen.

Das Renaissance-Rathaus erhielt also zwei über Eck gestellte Schauseiten nach Osten und nach Süden, welche man durch die Fensteranordnung und die Geschoßgliederung zu einer Einheit zusammenfaßte. Nach Süden wiederholte man einen Giebel, den auch der Westflügel zeigte. Nach Osten betonte ein Treppenturm die zentrale Achse, freilich nicht genau in der Mitte, sondern nach Norden verschoben, was die bei Grabungen jüngst kurzzeitig sichtbaren Ansätze für die Vorgänger der heutigen Treppen und der 1681 erneuerten, nicht erst geschaffenen Arkaden erhärten.

Die Rathausfassade von Osten; kolorierte Lithographie um 1840/50 Ernst Bauer: Die Rathausfassade von Osten; kolorierte Lithographie um 1840/50.

Historische Ansichten: „Das Rathaus“
Diese Ansicht ist insofern ein Kuriosum, als sie einen Interimszustand zeigt: der bayerische Löwe, den die neuen Machthaber 1802 auf der Altane aufgerichtet hatten, ist verschwunden. Das alte Machtsymbol, der doppelköpfige Adler, ist noch nicht wieder an seiner alten Stelle.
An der Südostecke des Rathauses blieben, wie schon an dem spätmittelalterlichen Vorgängerbau, den Friedrich Herlin um 1466 malte, der Pranger und die Wachstube.

Auf den Getreideboden allerdings verzichtete man, denn um die gleiche Zeit entstand die große Schranne bei dem aufgelassenen Judenfriedhof. Wie die einzelnen Räume genutzt wurden, läßt sich vor allem dann erkennen, wenn anläßlich von Kaiserbesuchen die Quartiere für illustre Gäste eingerichtet und beschrieben werden.

Der Treppenturm führte im ersten und im zweiten Stock jeweils in einen großen Saal, deren Decken wiederholt stabilisiert werden mußten. Im ersten Stock, dem „piano nobile“, führte der Weg in den Sitzungssaal und zur Registratur des Inneren Rates, des wichtigsten Gremiums der Stadtregierung. Der Innere Rat tagte mit herrlicher Aussicht nach Südosten auf den Marktplatz. Dort logierte gegebenenfalls auch der Kaiser als der formale Stadtherr, die Kaiserin gegenüber auf der Nordseite, wo sonst der Äußere Rat tagte. Im zweiten Stock gab es entsprechend auf der Südseite ein Fürsten- und Grafenzimmer, auf der Nordseite die Rüstkammer für die feuchtigkeitsempfindlichen Harnische, die dem heutigen Sitzungssaal entsprach.

Der Vortrag bot darüber hinaus eine Fülle von bisher kaum oder gar nicht bekannten Details. Die Südwestecke des Neubaus hat einen niedrigen, tonnengewölbten Raum, in den man heute vom Kaisersaal aus mühsam hineinkriechen muß, der aber Putzreste der Ratsstube von 1572 zeigt. Der Kaisersaal selbst wurde um 1580/90 unter Mitwirkung von Martin Greulich prunkvoll ausgemalt, so daß Rothenburg bei festlichen Anlässen nicht zu sehr hinter Nürnberg mit seinem großen Rathaussaal zurückstand.

Diese Malereien sind auf den frühesten Fotos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts noch in Resten erkennbar, ehe sie einer pseudo-gotischen Purifikation zum Opfer fielen. Für das Stadtgericht, das auf der Südseite des Westflügels tagte, schuf Leonhard Weidmann um 1580/90 bedeutende Gerichtsschranken, von deren ursprünglicher Anordnung Fotos und Zeichnungen künden. Die Holztäflungen der Wände und der Decken stammten von Rothenburger Schreinern und müssen mindestens in den wichtigen Amtsräumen hohe Qualität aufgewiesen haben, wie rare Nachzeichnungen belegen.

Ebenfalls erkennbar waren auf alten Fotos die Wappentafeln der frühneuzeitlichen Ratsherrn, die dem Feuersturm 1945 zum Opfer fielen. Seltene Aufnahmen zeigten im Sitzungssaal des Rates Bilder vom Festspiel „Meistertrunk“ nach 1880 und den Nazi-Adler mit Hakenkreuz nach 1933. Beim Wiederaufbau nach 1945 wurden die alten Bodenplatten aus Sandstein ersetzt durch Kalksteinplatten, welche die Amerikaner aus dem Reichsparteitags-Gelände in Nürnberg zur Verfügung stellten.

Den eigentlichen Clou jedoch hob sich der Referent bis zum Schluß auf: So grundlegend die Bedeutung des Niklas Hofmann für den Bau des Renaissance-Rathauses in Rothenburg war, die Auftraggeber aus dem damaligen Rat verfolgten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dem Einsatz qualifizierter Auswärtiger offenbar ehrgeizige Ziele. Rothenburger Ratsherrn beobachteten genau die neuesten Entwicklungen in Architektur und Kunst, wie sie sich in teuren, von Handwerkern niemals anzuschaffenden gedruckten Skizzenbüchern niederschlugen.

Nur so läßt sich erklären, daß der Rothenburger Schreiner Hans Haid solche Vorlagen bei seiner 1560 für St. Jakob geschaffenen, jetzt in der Franziskanerkirche befindlichen Kanzel benutzte. Ähnliche Vorlagen stehen auch hinter dem Südportal des Renaissance-Rathauses, dessen Formen klar von dem Stil des Niklas Hofmann abweichen. Vor allem aber war der Neubau des Rathauses keine Einzelmaßnahme.

Vielmehr verfolgte der Rat ein übergreifendes städtebauliches Konzept, in das auch das neue Hauptgebäude des Heilig-Geist-Spitals, der Abbruch des Torturmes bei der Johanniskirche, das Baumeisterhaus in der oberen Schmiedgasse, das Gymnasium bei St. Jakob und die Schranne gehörten. Die Nord-Süd-Achse durch die ganze Länge der Stadt sollte durch prachtvolle Brunnenanlagen beim Spitaltor und beim Pulverturm betont werden, die in den 90er Jahren allerdings nicht mehr realisiert werden.

Trotzdem haben die nach der Reformation meist neu in den Rat gekommenen Familien durch ihre Bautätigkeit der Stadt nachhaltig ihren Stempel aufgeprägt. Unter ihrer Führung war Rothenburg zwischen 1550 und 1600 auf dem Wege, mit den Mitteln der Architektur und Kunst die gute christliche Gemeinde protestantischer Prägung in Franken zu verwirklichen.

Lothar Schmidt