29.06.2002 | Prämonstratenserinnenkloster Bruderhartmann

Karl Borchardt:
Prämonstratenserinnenkloster Bruderhartmann

gehalten 29.06.2002 in Hausen am Bach

Vor acht Jahrhunderten, im Jahre 1202, begann die Gründung des Klosters Bruderhartmann bei Hausen am Bach. Eine Originalüberlieferung aus dem Jahre 1202 allerdings gibt es nicht. Erst über zwei Jahrhunderte später wird in einem Verzeichnis der Einkünfte des Klosters Bruderhartmann beiläufig notiert (Quelle 1), im Jahre 1202 sei dieser Platz durch den Bruder Hartmann mit Spenden der Gläubigen begründet worden, zur Zeit von Papst Innozenz III., aus dessen Hand der Bruder Hartmann diesen Platz empfangen habe. Der Name des Platzes sei Zelle der heiligen Kunigunde. Dies sei geschehen zur Zeiten des römischen Königs Philipp und des Bischofs Konrad von Würzburg.

Anno incarnacionis dominice Mo CCo IIo initiatus est locus iste a fratri Hartmanno per elemosinas fidelium hominum tempore Innocencii pape, a cuius manu predictus frater suscepit eundem locum. Nomen loci Cella sancte Kunegundis. Temporibus Philippi regis Romani et Conradi Wirtzburgensis episcopi. Einen Bruder Hartmann, einen frommen Einsiedler, der die Kunigundenzelle bei Hausen am Bach begründete und nach dem das Kloster später Bruderhartmann hieß, hat es jedoch nie gegeben. In diesem Punkt ist die über 200 Jahre nach dem Ereignis angefertigte Notiz falsch.

Das Datum 1202 allerdings wird zutreffen, denn einen Hartmann, der im Jahre 1202 bei Hausen am Bach eine Klosterzelle stiftete, dürfte es tatsächlich gegeben haben. Knapp zwanzig Jahre später nämlich hat der Würzburger Bischof Otto von Lobdeburg eine Urkunde ausgestellt, die diesen Hartmann erwähnt (Quelle 2). Es ist Hartmann von Lobdeburg, der Bruder des Bischofs Otto, den die spätmittelalterliche Überlieferung fälschlich zu einem frommen Einsiedler gemacht hat. Leider ist die Urkunde des Bischofs Otto nicht über jeden Zweifel erhaben, denn sie liegt nur in einer spätmittelalterlichen Abschrift vor und ihre drei Datierungen passen nicht zusammen: Das Inkarnationsjahr lautet 1217, das Papstjahr ergibt 1218, das Bischofsjahr 1219.

Gegen den sachlichen Inhalt der Urkunde dagegen gibt es keine Einwendungen. Bischof Otto legte durch diese Urkunde einen Streit bei zwischen seinem Bruder Hartmann und dem Pfarrer zu Insingen Sigeloh, der entstanden war, weil sich die Einkünfte des Pfarrers durch die Stiftung der Kapelle St. Kunegundis vermindert hatten. Nebenbei erfahren wir, dass Hartmann von Lobdeburg die Kapelle St. Kunegundis auf Grund und Boden errichtet hatte, an den Platz Dirschbronn (Durzpurne), der ihm gar nicht gehörte, sondern drei Reichsministerialen, Konrad von Stollberg und seinen Brüder Ludwig und Heinrich von Nordenberg. Gerade diese Mitteilung, die ganz nebenbei gemacht wird und von der Sache her überflüssig ist, erhärtet den Verdacht, dass in der Überlieferung von der Gründung einer Klosterzelle im Jahre 1202 ein wahrer Kern steckt.

Um das zu verstehen, muss man etwas mehr wissen über Hartmann von Lobdeburg und Konrad von Stollberg. Die Lobdeburg liegt bei Jena, heute in Thüringen, doch die Herrn von Lobdeburg stammten aus dem Ries. Ihr Stammsitz Alerheim liegt nicht weit von Nördlingen. Ihr Familienbesitz grenzte deshalb im Süden wie im Norden an das Bistum Würzburg. Hartmann von Lobdeburg war verwandt und befreundet mit dem Würzburger Bischof Konrad von Querfurt (1198-1202), mit dem er politisch eng zusammenarbeitete. Konrad von Stollberg dagegen war ein staufischer Reichsministeriale. Seine Burg Stollberg lag im Steigerwald. Seine Brüder besaßen die Burg Nordenberg auf der Frankenhöhe.

Als Parteigänger der Staufer versuchten Konrad von Stollberg und seine Familie, in Franken eine eigene kleine Adelsherrschaft aufzubauen. Ihr Verhältnis zu den Bischöfen von Würzburg als den Herzögen von Franken war deshalb gespannt. Der damalige Stauferkönig Philipp von Schwaben, ein Sohn Friedrich Barbarossas, war seit 1198 mit einem Gegenkönig konfrontiert, den der Papst Innozenz III. unterstützte. Um sich auf dem Thron zu halten, musste Philipp von Schwaben Zugeständnisse machen. Eines seiner Zugeständnisse war, dass er 1198 Konrad von Querfurt, den königlichen Kanzler, als Bischof von Halberstadt ins reichere Würzburg versetzte und ihm und seinen Freunden wie Hartmann von Lobdeburg freie Hand für ihre Politik in Franken gab. Staufischen Reichsministerialen wie Konrad von Stollberg dürfte das missfallen haben, aber solange Konrad von Querfurt treu zu König Philipp stand, konnten sie nichts machen.

Doch im Jahre 1202 wandte sich Konrad von Querfurt an Papst Innozenz III., der 1201 feierlich den Gegenkönig des Philipp von Schwaben anerkannt hatte, und bat um die kirchenrechtlich notwendige, aber bisher ausstehende Bestätigung seiner Versetzung von Halberstadt nach Würzburg. In dem Zusammenhang könnte Papst Innozenz III. tatsächlich 1202 die Klostergründung durch Hartmann von Lobdeburg bestätigt haben, obwohl darüber außer der obigen, über 200 Jahre späteren Notiz keine Quelle vorliegt. Dass Konrad von Querfurt sich an den Papst wandte, gab dem Gerücht Nahrung, er wolle zum Gegenkönig abfallen. Und die Klostergründung bei Hausen am Bach ging auf Kosten des Konrad von Stollberg und seiner Verwandten. So erklärt es sich, dass Bischof Konrad am Abend des 3. Dezember 1202 nahe beim Dom in Würzburg durch Reichsministerialen, die mit Konrad von Stollberg verwandte waren, ermordet wurde.

An der Mordstätte wurde später ein Sühnekreuz errichtet, das beim Bombenangriff 1945 zugrunde ging, das aber beim Wiederaufbau einen modernen Nachfolger erhielt; die Gedenkinschrift für den Bischofsmord am 3. Dezember 1202 können man daher heute noch am Eingang zum Domkreuzgang in Würzburg betrachten.

Durch den Bischofsmord in Würzburg blieb die Klostergründung bei Hausen am Bach zunächst liegen. Erst als im Zuge eines Ausgleichs zwischen den Staufern und ihren Gegnern Hartmanns Bruder Otto von Lobdeburg Bischof von Würzburg wurde, konnte die Klostergründung durchgeführt und die Klosterkirche geweiht werden. Die Notiz über die Weihe am 16. und 17. Mai 1214 durch Bischof Sigibodo von Havelberg, einen engen Freund der Lobdeburger, ist zwar auch erst über 200 Jahre später überliefert (Quelle 3), doch spricht nichts gegen die Echtheit der Angaben: Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1214, am 17. Tag vor den Kalenden des Juni, sind diese Kirche und dieser Altar geweiht worden zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria und des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes durch Sigibodo, den ehrwürdigen Bischof von Havelberg, … und am folgenden Tag, dem 16. Tag vor den Kalenden des Juni, ist dieser Choraltar geweiht worden zu Ehren des heiligen Oswald und der heiligen Königin und Jungfrau Kunigunde von dem gleichen Bischof Sigibodo. Anno incarnactionis domini millesimo ducentesimo quartodecimo decimoseptimo kalendas Junii dedicatum est hoc templum et hoc altare in honore sancte Marie virginia et beati Johannis apostoli et evangeliste a Sibebotone venerabili Habelbergensi episcopo … Sequenti die chori XVI kalendas Junii consecratum est hoc altare sancti Oswaldi et sancte Kunegundis regine et virignis ab eodem episcopo Sigebotone … Konrad von Stollberg war inzwischen verstorben, und so konnte Bischof Otto auch den erwähnten Ausgleich mit dem durch die Klostergründung geschädigten Pfarrer zu Insingen vermitteln.

Und dennoch ist die Klostergründung zunächst gescheitert. Schuld daran war der Sohn des Klostergründers Hartmann, der Hermann von Lobdeburg hieß und wie sein Onkel 1225-54 Bischof von Würzburg wurde. Hermann beging in den Jahren 1234/35 einen kapitalen politischen Fehler, indem er den jungen Stauferkönig Heinrich (VII.) bei dessen Aufstand gegen seinen Vater Kaiser Friedrich II. unterstützte Der Kaiser siegte, das Bistum Würzburg, die Lobdeburger und ihre Freunde verloren alle ihre Positionen im Süden Frankens, zumeist an die Herren von Hohenlohe. Auch die Klostergründung bei Hausen am Bach dürfte damals eingegangen sein.

Allerdings bestand an dem Platz nun eine geweihte und mit vielen Reliquien ausgestattete Kirche. Die staufischen Reichsministerialen, die den Besitz anscheinend übernahmen, wurden beständig daran erinnert, dass der Ort eigentlich kirchlichen Zwecken dienen sollte. So fand sich im Jahre 1290 eine Lösung, die ihr Gewissen beruhigte, ihren Interessen diente und zugleich den Prämonstratenserorden zufrieden stellte, dem Hartmann von Lobdeburg wahrscheinlich seine Klosterstiftung übertragen hatte. Der damalige Besitzer, Walther von Sulz, übergab (Quelle 4) die Kirche in Hausen volkssprachlich Dirschbronn genannt, ecclesiam in Huzen, que Dursbrune vulgariter nuncupatur, seinen drei Töchtern, welche dort einen Konvent von Prämonstratenserinnen unter der Aufsicht des Abtes von Oberzell bei Würzburg begründeten. An den Dirschbronn, den Brunnen mit den vielen Stengeln oder Strünken, erinnert übrigens heute noch der Name Hirschberg, verballhornt aus ursprünglich Dirschberg.

Die Herren von Sulz, ihre Verwandten und Freunde hatte nunmehr ihr eigenes Nonnenkloster, wo sie überzählige Töchter standesgemäß unterbringen konnten. Beim Eintritt einer Nonne machte die Familie Güterschenkungen, doch die Güterverwaltung der Nonnen beaufsichtigten die Stifter und ihre Nachfolger als weltliche Schutzherrn des Klosters. Als Name für das neue Prämonstratenserinnenkloster setzte sich Bruderhartmann durch. Anscheinend wusste man nicht mehr oder wollte im Hinblick auf die in Thüringen und Böhmen weiter existierenden Herren von Lobdeburg nicht mehr wissen, wer jener Bruder Hartmann gewesen war, der 1202 zum ersten Male bei Hausen am Bach ein Kloster geplant wenige später auch eingerichtete hatte.

Das Prämonstratensernonnenkloster Bruderhartmann bei Hausen am Bach hat von 1290 bis 1539 existiert. Zwölf Meisterinnen und zwölf weitere Nonnen sind namentlich bekannt, meist aus dem fränkischen Niederadel oder dem Patriziat der Reichsstädte Rothenburg, Hall und Dinkelsbühl. Die weltliche Schutzherrschaft hatten zunächst die Gründer, die Herren von Sulz bei Kirchberg an der Jagst, dann im 14. Jahrhundert die im benachbarten Gammesfeld ansässigen Herren von Bebenburg und schließlich die Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber, welche die Herrschaft Gammesfeld 1388 kaufte. Das Verhältnis der vornehmen Nonnen zu den Bauern in den umliegenden Ortschaften war häufig gespannt. Immer wieder gab es Streit wegen der Entrichtung von Abgaben, wegen des Viehtriebs und wegen der Waldnutzung. Im Bauernkrieg 1525 wurde das Kloster deshalb radikal geplündert und zerstört.

Die Nonnen hatten sich kurz vor Beginn des Aufstandes 1525 nach Rothenburg geflüchtet und kehrten nicht mehr zurück. Weil inzwischen die Reformation ausgebrochen war, bekam der Konvent keinen Nachwuchs mehr und starb im Jahre 1539 mit der letzten Meisterin Margarethe Geißler aus (Quelle 5). Margaretha Geißlerin maisterin obiit anno 1539 octava Corporis Christi [Juni 22] ad sepulchrum trahatur. Die Reichsstadt Rothenburg war damals noch katholisch – erst 1544 wurde dort die Reformation eingeführt –, nutzte aber dennoch die Gelegenheit, um als weltlicher Schutzherr die Klostergüter zu beschlagnahmen.

Bruderhartmann bei Hausen am Bach wurde daraufhin als Wirtschaftshof dem Neuen Spital zu Rothenburg übergeben. Das Neue Spital zu Rothenburg setzte dort nicht etwa wie üblich einen Bauern zu Erbrecht ein. Vielmehr wurde Bruderhartmann ein Gutsbetrieb, den das Neue Spital entweder durch Verwalter oder durch auf Zeit bestellte Pächter bewirtschaften ließ. Was an alter Bausubstanz den Bauernkrieg 1525 überlebt hatte, wurde spätestens während des Dreißigjährigen Krieges 1618-48 vernichtet. Danach musste das Neue Spital erheblich investieren, um seinen Gutshof Bruderhartmann wieder in Schuss zu bringen. Wappen und Inschriften des Spitalmeisters Johann Baptist Pürckhauer sowie der drei aus dem Rat bestellten Spitalpfleger Johann Balthasar Staudt, Martin Hagen und Johann Wolfgang Renger erinnern bis heute daran. Auf einer um 1700 gezeichneten Karte mit Wildbannsteinen (Quelle 6) kann man den Gutshof Bruderhartmann zwischen Hausen am Bach und Brettheim erkennen, zusammen mit zwei kleinen, zugehörigen Seen oder Teichen.

Was im Jahre 1202 geschah, lässt sich mithin trotz der schlechten Quellenlage erahnen. Die Klosterstiftung durch Hartmann von Lobdeburg war noch nicht der Anfang von Bruderhartmann, das erst 1290 entstand, aber doch die Voraussetzung dafür, dass bis heute der Klosterhof bei Hausen am Bach existiert. Der Ort Hausen am Bach hat dadurch eine besondere Geschichte und hebt sich ab von anderen Dörfern und Weilern der Gegend. Die 800 Jahre Ortsgeschichte sind insofern nicht nur für Hausen am Bach, sondern für die ganze Region ein Grund zum Erinnern und Feiern.

Quellen:
sechs Kopien aus dem Stadtarchiv Rothenburg.

Literaturhinweise:

Gustav Bossert:
„Kloster Bruderhartmannszell bei Gerabronn“
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 10 (1887), 144-155, 214-218.

Paul Schattenmann:
„Aus der Geschichte des Klösterleins Bruderhartmann“

Linde 19 (1929), 6-8, 14-18. Karl Borchardt:
Die geistlichen Institutionen in der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber und dem zugehörigen Landgebiet von den Anfängen bis zur Reformation.

Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX/37, 2 Tle. (Neustadt/Aisch 1988), bes. 395-401, 562f.; ders., „Das Kloster der Prämonstratenserinnen zu Bruderhartmann und sein Gründer Hartmann von Lobdeburg,“ Jahrbuch für fränkische Landesforschung 59 (1999), 37-56; ders., „Die Renovatur von Bruderhartmann 1674,“ Linde 82 (2000), 1-7, 13-16; ders., „Ordensgeschichte, -identität und Spendensammeln bei den Prämonstratenserinnen,“ Würzburger Diözesangeschichtsblätter 62/63 (2001), 597-612.

Prof. Dr. Karl Borchardt